Die Suche nach Freiheit

An welchen Song denken Sie beim Stichwort Mauerfall?

Freiheitslieder gibt es ja so einige. Kaum eine Sängerin, kaum eine Band, kein Liedermacher hat kein Lied, in dem sie über den Drang, den Wunsch oder die Schönheit der eigenen Entscheidungsmacht singen.

Neben meinem geliebten »I want to break free« von Queen und dem hinreißenden »Free as a bird« von den Beatles ist beim Thema 30 Jahre Mauerfall natürlich ein ikonischer Name an erster Stelle zu nennen. Um ihn ranken sich Mythen, manche sagen, er sei der Grund für den Mauerfall: David Hasselhoff, der Mann, der betrunken Burger isst.

Hinter dem Song steckt allerdings eine viel interessantere Geschichte als ein einfaches, melodramatisches Freiheitslied. Erstmals nämlich erschienen ist das Meis­terwerk bereits 1978, interpretiert von Marc Seaberg, einem Mann, der im zarten Alter von 6 Jahren das erste Mal auf einer Bühne in seiner Heimatstadt Erlangen stand. Produziert hat das Ganze ein gewisser Mann namens Jack White.

Jack White?, mag man sich da fragen. Wissentlich, dass der White-Stripes-Seven-Nation-Army-Jack-White da gerade einmal drei Jahre alt war und wahrscheinlich noch nicht einmal eine Gitarre halten konnte. Der Jack White, geborener Horst Nußbaum, hingegen war anfangs ein Fußballspieler. Beim SC Viktoria Köln entdeckt wechselte er später zur niederländischen Liga und holte dort sogar einen Vizemeistertitel, bevor er »Looking for Freedom« dann 1978 als Musikproduzent eben mal auf Platz 14 der deutschen Charts katapultierte.

Und genau dieser Jack White produzierte 1989 den Song und das gleichnamige Album, das den damals vielleicht noch nüchternen David Hasselhoff auch als Sänger so berühmt machte. Und auch wenn er wohl maßgeblich am Fall der Mauer beteiligt war, frage ich mich, ob er nicht lieber bei seinem Knight Rider hätte bleiben sollen.

Fragen über Fragen, doch am Ende bleibt nur noch die spannendste zu klären: Zufall oder Schicksal? Hat sich John Anthony Gillis, der Gitarrist und Sänger der White Stripes, nach dem Produzenten von »Looking for Freedom« benannt? Und wenn ja: Warum?

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Wahrheiten in der Dachstube

Peter S. Kaspar über die erstaunliche Geschichte der Rahel Varnhagen von Ense

Der Pförtner in dem früheren Pförtnerhaus der Friedhöfe am Halleschen Tor hatte einen etwas unheimlichen Job. So hatte er unter anderem auf neun Glöckchen zu achten, die in seinem Raum hingen. Es ist nicht überliefert, dass auch nur einmal eines geläutet hätte.

Die Glöckchen waren über Schnüre mit dem benachbarten Kolumbarium verbunden, einem Raum, in dem Tote in ihren Särgen aufgebahrt waren. All diese Särge hatten ein kleines Loch, durch das die Schnüre führten, die mit den Zehen der Leichen verbunden waren. So sollte sichergestellt werden, dass nicht aus Versehen ein Scheintoter beerdigt wird.

Rahel Levin, später Varnhagen, war eine der ersten Saloniéren. Porträt von Moritz Daffinger 1800

Auch die bekannte Saloniére Rahel Varnhagen von Ense hatte eine so panische Angst davor, bei lebendigem Leibe begraben zu werden, dass sie sich nach ihrem Tod nicht bestatten, sondern im Kolumbarium aufbahren ließ.

Den leicht exzentrischen Wunsch verwehrte ihr niemand, noch war jemand davon besonders überrascht. Sie galt schon zu Lebzeiten als eher ungewöhnliche Frau.

Sie wurde am 19. Mai 1771 in Berlin als Rahel Levin geboren. Ihr Vater war Bankier und Juwelenhändler. Die Familie war zwar wohlhabend, aber auch jüdisch, was einen gesellschaftlichen Aufstieg schwierig machte.

Rahel gelang es trotzdem. Sie war eine der ersten Frauen, die einen literarischen Salon eröffneten. 1790 war das, und die Namen auf ihrer Gästeliste konnten sich wahrhaft sehen lassen. Namen wie die der Dichter Heinrich von Kleist, Adalbert von Chamisso, Jean Paul und Ludwig Tieck fanden sich darunter, aber auch von Wissenschaftlern wie den Brüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt. Der Neffe des Alten Fritz’, Louis Ferdinand, zählte ebenso zu dem Kreis. Für den Prinzen war die regelmäßige Begegnung mit »normalen« Menschen offensichtlich eine sehr wichtige Erfahrung. Rahel schrieb 1800 in einem Brief: »Wissen Sie, wer jetzt noch meine Bekanntschaft gemacht hat? Prinz Louis. Den find’ ich gründlich liebenswürdig. Solche Bekanntschaft soll er noch nicht genossen haben. Ordentliche Dachstuben-Wahrheit wird er hören.«

Das mit den Dachstubenwahrheiten darf durchaus wörtlich genommen werden, denn Rahels erster Salon war nicht in einem prächtigen Saal in einem pompösen Stadtpalast, sondern in einer vergleichsweise bescheidenen Wohnung im Dachgeschoss.

Das alles hatte sie ganz ohne männliches Zutun geschafft. Ihre Liebesgeschichten endeten immer tragisch, bis 1814, als sie Karl August Varnhagen kennen und lieben lernte. Die Beziehung hatte einen kleinen Schönheitsfehler: Er war 14 Jahre jünger als sie. Der Liebe tat das keinen Abbruch.

Nachdem ihr Gatte geadelt wurde, wurde aus der früheren Rahel Levin endgültig Rahel Varnhagen von Ense.

1819 gründete Rahel in der Mauerstraße ihren zweiten Berliner Salon. Und wieder lockte er zahlreiche große Namen an, wie etwa Heinrich Heine oder den Fürsten Pückler.

Mit 63 starb Rahel und wurde in einem Zinnsarg mit Sichtfernstern aufgebahrt. Erst 25 Jahre nach ihr starb ihr Mann – und erst neun Jahre nach seinem Tod wurde Rahel schließlich an seiner Seite beerdigt. Die beiden liegen nun gemeinsam in einem Grab, das 1956 vom Land Berlin zu einem Ehrengrab erklärt wurde.

 

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

»bUm« statt Google Campus

Das Umspannwerk wird zu einem Haus für die engagierte Zivilgesellschaft

Kunstprojekt »Streetlife« im bUmDas Kunstprojekt »Streetlife« von Erik Sturm und Jugendlichen von KARUNA. Foto: bUm

Einst wollte Google das Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer selbst beziehen. Es wäre der weltweit siebte Google-Campus geworden, mit einem Betreuungsprogramm für Start-ups und einem Google-Café. Jetzt hat dort stattdessen das bUm eröffnet, ein Haus für die engagierte Zivilgesellschaft, in dem gemeinnützigen Organisationen und sozial engagierten AkteurInnen Raum zum Arbeiten geboten wird. Die Trägerorganisationen sind betterplace und Karuna, denen Google das Umspannwerk fünf Jahre mietfrei zur Verfügung stellt. Dass es dazu kam, ist ein Verdienst der organisierten Kiezbewohner Kreuzbergs.

Der Widerstand gegen einen Google-Campus in Kreuzberg wurde von Initiativen wie Bizim Kiez, Lause bleibt, GloReiche Nachbarschaft und Fuck Off Google geführt. Die Kritik wurde unter verschiedenen Gesichtspunkten betrieben. Für manche ist Google das Böse schlechthin, ein Überwachungskomplex und Datendealer. Für andere stand die Befürchtung einer beschleunigten Gentrifizierung im Mittelpunkt. Als das Beispiel für die Wohnraumaufwertung und Verdrängung, die Googles Einzug in eine Stadt oder Nachbarschaft auslösen kann, gilt ihnen San Francisco, wo steigende Mietpreise zu einer Obdachlosenkrise beitrugen. Wenn Kreuzberg gegen einen Google-Campus protestiert, protestiert es zum einen ganz konkret für den Bäcker an der Ecke, für den alten Schallplattenladen und dafür, dass langjährige Mieter nicht wegziehen müssen. Zum anderen protestiert es gegen Google als Symbol der Monopolisierung und der Überwachungsgesellschaft.

Nachdem zahlreiche Demos abgehalten, angeblich ein paar Kaffeebecher und Farbbeutel geworfen wurden und letzlich sogar die Baustelle am Umspannwerk besetzt wurde, gab Google den Plan eines Campus in Kreuzberg auf. Kurz darauf verkündete die Firma, dass das Umspannwerk der Spendenplattform betterplace und der Sozialgenossenschaft Karuna fünf Jahre mietfrei zur Verfügung gestellt werden würde. Statt einem Google-Campus und Inkubator für Start-ups sollte im Umspannwerk also ein Haus für soziales Engagement entstehen – das bUm.

bUm, so wurde auf der Eröffnungsfeier Anfang Oktober verkündet, steht für den Herzschlag der Stadt. Auf insgesamt 3000m², davon 1000m² Gemeinschaftsfläche, ist dort nun eine Art Coworking- und Eventspace für den sozialen Sektor entstanden. Fest eingezogen sind das betterplace lab, die Straßenzeitung Karuna Kompass und die Jugendinitiative MOMO Voice of disconnected Youth. Die restlichen 80 sogenannten flexiblen Arbeitsplätze werden langfristig sowie kurzfristig zu reduzierten Preisen an gemeinnützige Organisationen und sozial engagierte AkteurInnen vermietet. Ein reduzierter Tagespass kostet zum Beispiel 6 Euro, ein Monatspass 45 Euro. Mit dem Solipreis (15 bzw. 60 Euro) kann jeder dazu beitragen, dass auch Organisationen ohne nennenswertes Budget kostenfrei Räume nutzen dürfen. Auch profitorientierte Unternehmen können begrenzt Arbeitsplätze mieten, jedoch zu Normalpreisen.

Dass es keinen Google-Campus in Kreuzberg geben wird, wurde unterschiedlich aufgenommen. »Der 100-Milliarden-Dollar-Umsatz-Tech-Konzern aus Amerika ist vor ein paar Kreuzberger Nachbarschaftsaktivisten in die Knie gegangen«, stand als eine Hypothese bei der Zeit Online. Die taz zelebrierte es ebenfalls als eine »Kapitulation«. Der Fraktionschef der FDP im Abgeordnetenhaus dagegen nannte den Schritt eine »fatale Botschaft an alle zukünftigen Unternehmen und Investoren«.
Als die Aussicht auf einen Kreuzberger Campus endgültig vernebelt wurde, hatte Google den Mietvertrag bereits unterschrieben. Dass Google für das verlorene Investment in Imagekapital entschädigt werden möchte, liegt auf der Hand. Aber das sagt natürlich erstmal nichts über die Arbeit aus, die im bUm geleistet werden wird. Diese Arbeit erscheint sehr vielversprechend. Wer sich einen eigenen Eindruck machen will, kann jeden Mittwoch um 18 Uhr an einer Tour durch das Gebäude teilnehmen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Mr Postman, look and see, is there a parcel in the bag for me?

Marcel Marotzke erleidet eine postapokalyptische Belastungsstörung. Ein posthumes Protokoll

Freitag, 20:11 Uhr. Per E-Mail erfahre ich, dass mein DHL-Paket in der Postfiliale in der Bergmannstraße liegt.

Samstag, 8:30 Uhr. Voller Motivation reihe ich mich in die bereits 30 Meter lange Schlange vor der Post ein. Die Filiale öffnet erst in einer Stunde, aber die guten Plätze in der Schlange sind heiß begehrt.

9:30 Uhr. Pünktlich öffnen sich die Tore. 20 Meter Schlange passen in den Vorraum. Ich stehe vor der Tür, genau wie die rund hundert Menschen hinter mir.

9:45 Uhr. Ein Mitarbeiter vom DRK verteilt alkoholfreien Glühwein gegen die Kälte.

10:00 Uhr. Ich rücke in den Vorraum auf. Hier gibt es kein Problem mit der Kälte, eher im Gegenteil.

Flaschenpost am StrandMit einer Flaschenpost wäre das nicht passiert. Foto: Settergren / Pixabay

10:15 Uhr. Die junge Frau vor mir, von der ich inzwischen weiß, dass sie Miriam heißt, bittet mich, kurz ein Auge auf ihre Kinder zu haben, die vor den Postfächern Pokémon jagen, und ihren Platz in der Schlange freizuhalten, damit sie in der benachbarten Bäckerei mal auf die Toilette gehen könne.

10:40 Uhr. Miriam ist zurück. In der Bäckerei gab es wohl eine längere Kloschlange mit Postkunden. Außerdem hatte sie etwas länger mit den Beamten der Einsatzhundertschaft diskutieren müssen, die draußen den Zugang kontrollieren.

10:55 Uhr. Ein vollbärtiger Typ mit Holzfällerhemd und riesigen Kopfhörern um den Hals hat es irgendwie an der Eingangskontrolle vorbeigeschafft und erklärt den Wartenden, er müsse nur kurz ein Paket abholen. Die Stimmung droht zu kippen, aber bevor es zu einer Schlägerei kommen kann, flüchtet der Hipster nach draußen.

11:10 Uhr. Die beiden Punks, die sich in den letzten Stunden mit dem netten syrischen Flüchtling angefreundet haben, versuchen, ihm den Zungenbrecher mit dem Potsdamer Postkutscher beizubringen. »Der Postdamer Potskutser …«, versucht er es und muss lachen. Die Stimmung ist allgemein etwas gelöster.

11:30 Uhr. Der Mensch mit dem Gitarrenkasten, der bislang eher gelangweilt herumgestanden hat, packt endlich seine Klampfe aus, und wir singen alle gemeinsam »Hoch auf dem gelben Wagen«.

12:00 Uhr. Noch eine Stunde Zeit, bis die Filiale schließt. Mal sehen, ob das reicht.

12:02 Uhr. Mir fällt ein, dass ich keinen Personalausweis dabei habe. Scheiße!

12:04 Uhr. Miriam hat ihren Ausweis dabei. Auf der Rückseite eines Flyers, der den Top-Kundenservice der Postbank bewirbt, schreibe ich ihr eine Vollmacht zur Abholung meiner Post.

12:30 Uhr. Am Horizont verschwindet gerade der einzige Mitarbeiter der Filiale mit einer Benachrichtigungskarte im Lager.

12:35 Uhr. Der Mitarbeiter ist zurück, allerdings ohne Paket. Aber die Zeit ist trotzdem rekordverdächtig.

13:02 Uhr. Es hat geklappt! Miriam wird als letzte Kundin noch bedient und übergibt mir mein Paket. Vor der Tür erteilt die Polizei gerade Platzverweise an die letzten renitenten Wartenden. Das DRK baut seine mobile Suppenküche ab.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Berlin ist doch ein Paradies

Rolf-Dieter Reuter findet einen prominenten Fürsprecher für die Hauptstadt

Mark TwainEr war ein Berliner: Mark Twain lebte fünf Monate in der Stadt. Foto: Library of Congress

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber mir geht dieses permanente Berlin-Bashing inzwischen ziemlich auf den Keks. Berlin soll eine grässliche und gefährliche Stadt sein. Ja, ja, der Flughafen wird nicht fertig, die Straßen sind kaputt, die Parks vermüllt und jetzt kommt auch noch der Mietendeckel, der Berlin endgültig in Not, Elend und Chaos stürzen wird.

Jetzt reicht’s, finde ich. Wenn die Stadt so schlimm wäre, dann würde sie doch nicht wachsen wie Unkraut, dann wären die Wohnungen nicht so begehrt und dann bräuchte es keinen Mietendeckel. Es würde ein kleinerer Flughafen ausreichen. Weniger Menschen würden weniger Dreck machen und die Straßen würden auch länger halten.

Berlin ist nicht schlimm, Berlin ist nicht grässlich, Berlin ist eine Erfolgsgeschichte und dafür gibt es prominente Zeugen. Nun ja, mindestens einen.

Es handelt sich um Samuel Langhorne Clemens, der 1891 mit seiner Familie nach Berlin reiste und hier immerhin fünf Monate verbrachte. Samuel Langhorne wie? Clemens. Dahinter verbirgt sich kein geringerer als Mark Twain. Und der hat Berlin gemocht, ja geliebt – und besungen. Nicht wirklich, eher im übertragenen Sinne.

»Ja«, werden Sie nun mit Recht sagen, »das ist jetzt bald 130 Jahre her, da kann sich vieles verändern.« Ja, kann es, muss es aber nicht. Twain schwärmte: »Berlin ist die neueste Stadt, die mir jemals vorgekommen ist.« Und er verglich Berlin mit Chicago – und Chicago kam dabei nicht gut weg.

Und wie wenig sich in 130 Jahren ändert, verdeutlicht Twains hymnische Verehrung der Berliner Straßen, die er noch nirgendwo auf der Welt so breit gesehen hat. Unter den Linden seien eigentlich drei nebeneinander liegende Straßen, mutmaßte er und: »Die Potsdamer Straße ist von beiden Seiten mit Bürgersteigen eingefasst, die breiter sind, als die berühmten Hauptstraßen der größten Städte in Europa.«

Und nun, London, Paris, Rom, Uppsala? Der amerikanische Dichterfürst adelt die Berliner Straßen ausgerechnet am Beispiel der Potse.

Nun gut, er hat um die Ecke in der Körnerstraße gewohnt und hätte es nicht weit zum Gleisdreieckpark gehabt, hätte es den damals schon gegeben. Und er hätte ihm gefallen. Die damalige Nachbarschaft gefiel ihm allerdings weniger. Er nannte seinen Kiez »Paradies der Lumpensammler.« Nun ja, er war halt ein großer Spötter vor dem Herrn.

Und dann die Straßenbeleuchtung, die er mit begeisterten Worten bedachte: »Allabendlich findet eine wahrhaft verschwenderische Beleuchtung mit Gas und elektrischem Licht statt, Berlin bietet daher zur Nachtzeit einen entzückenden Anblick. Überall hat man eine Doppelreihe glänzender Lichter vor sich, die nach allen Seiten in gerader Linie weit in die Nacht hinausläuft.« Das alles schrieb er über 100 Jahre bevor das »Festival of Lights« überhaupt erfunden war.

Twain war voll des Lobes, obwohl er von November bis März in Berlin war. Was hätte er erst geschrieben, wäre er in den Sommermonaten hier gewesen? Außerdem stellte er bewundernd fest, dass Berlin »in jeder Beziehung gut und zweckmäßig verwaltet wird.« Nun ja, auch ein Genie kann sich mal irren.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Der Osten und der Westen

Dreißig Jahre Mauerfall – was bedeutet das?

Die Geschichten der Menschen, die dabei waren, als die Mauer fiel, sind spannend. Aber davon haben wir mittlerweile die meisten gehört.

Also fragen wir unsere beiden Redaktionsküken. Was bedeutet Ost und West für Menschen, die nach 1990 geboren sind? Ist die Wiedervereinigung ihrer Meinung nach geglückt? Oder ist Deutschland immer noch gespalten?

Zwei Geschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Geschichten von Ost und West.

Zu den Artikeln:

Ninell Oldenburg: Mein Osten
Victor Breidenbach: Mein Westen

Feiernde Menschen auf Berliner Mauer. Pop-Art von TutuTutu ist Pop-Art-Künstlerin und betreibt seit 2012 eine Atelier-Galerie in der Mittenwalder Straße 16. Dem Thema Mauerfall hat sie eine ganze Bilderserie gewidmet. Diese und ihre anderen Werke kann man in ihrem gemütlichen Ladengeschäft oder auf ihrer Webseite bewundern und Originale, Poster und Postkarten kaufen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Mein Osten

Ninell ist in Frankfurt (Oder) aufgewachsen

Dass der Osten den objektiv gesehen Kürzeren gezogen hatte, war mir sehr lange nicht klar. Ich fand immer, aus dem Osten zu sein, hatte sowas Lässiges. Ich war immer schon stolz auf die FKK-Kultur, ich mag den Brandenburger Dialekt und diese unprätentiöse Art. Die Eltern meiner beiden besten Freunde kamen aus dem Westen. Somit kannte ich die Vorurteile gegenüber Wessis. Sie waren CDU-Wähler, verbeamtet und privatversichert. Sie kannten das Wort »Broiler« nicht und sprachen »vierzehn« komisch aus. Eher so »vier« und »zehn«. Generell war es immer ein Thema, wer Wessi war und wer nicht. Als Kind dachte ich, es gäbe weniger Wessis als Ossis auf der Welt, heute habe ich oft das Gefühl, eine Exotin zu sein.

Ich wuchs in Frankfurt (Oder) auf, konnte nach Polen laufen. Wenn wir ins Skilager nach Österreich fuhren, sangen wir »Von den blauen Bergen kommen wir« mit unserem eigenen Text: »Ja, aus Frankfurt (Oder) kommen wir / trinken Schnaps und literweise Bier / rauchen Polen-Zigaretten / schlafen nachts in fremden Betten« und so weiter. Einer meiner ebenfalls aus Frankfurt stammenden Mitbewohner hat auf dem Rücken einen halb-abgerissenen Plattenbau und unsere Postleitzahl tätowiert. Viele meiner Freunde stammen aus der Schulzeit, sogar aus der Grundschule. Wir reden manchmal darüber, dass alle Frankfurter in unserem Alter den gleichen Humor hätten. Treffe ich in Berlin Leute aus der Stadt, finde ich sie meistens sympathisch. Kurz: Frankfurt is a nice town, to be (from).

Zum Urlaub fuhren wir im Sommer an die Ostsee, im Winter ins Fichtelgebirge. Bis heute kann ich die westdeutschen Städte, in denen ich war, an einer Hand abzählen.

Die meisten meiner ostdeutschen Freunde identifizieren sich auch als solche. Wir sehen uns als direkt, lebenslustig und offen. Dinge werden geteilt, das ist selbstverständlich.

Das erste Mal mit einem negativen Klischee gegenüber dem Osten wurde ich mit 13 konfrontiert, als ich meine Lüneburger Brieffreundin traf. In ihrer Klasse gab es einen Ossi, Nick, von der anderen Seite der Elbe. Ossis galten als Nazis. Nick war ein Nazi.

Nazis hatten wir in Frankfurt auch. Die habe ich zwar nie gesehen, aber immer gegen sie demonstriert, alle meine Freunde waren links. Mein Opa war in der PDS.

Als ich in der 9. Klasse war, sollte meine Schule, das Karl-Liebknecht-Gymnasium, in etwas nicht so Politisches umbenannt werden. Am Ende scheiterte es an ein paar Linken im Stadtrat. Ich dachte lange, der Osten sei so etwas wie die linke Hochburg Deutschlands.

Mich macht es traurig, dass sich das Gerücht hält, die Wiedervereinigung sei geglückt. Ich habe Freunde aus und in allen Teilen des Landes, ich habe nicht das Gefühl, dass sie grundlegend anders sind: direkte, lebenslustige, offene Menschen, die alles teilen, gibt es überall, darum geht es mir nicht. Nur kommt es mir oft so vor, als würde die erstarkende Rechte eher als genetischer Defekt denn als strukturelles Problem gesehen werden. Und damit wird sowohl das Ost-West- als auch das AfD-Ding eher verhärtet als gelöst.

Könnte ich mir eines für die nächsten dreißig Jahre Mauerfall wünschen, dann wäre es mehr Verständnis untereinander. Nächstenliebe brauchen Ost und West zugleich, den Versuch, sich in die andere Seite hineinzuversetzen, um zu erkennen, dass Vorurteile eben nur Vorurteile sind, dass gute Menschen überall sind und Wende-Verlierer nicht nur Nazis sind. Und, na ja, auch ein bisschen den guten Willen, zu verstehen, was »dreiviertel zwei« auf der Uhr bedeutet.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Mein Westen

Victor ist in Westberlin aufgewachsen

An erster Stelle stehen die Erinnerungen Anderer. Als wäre ich selbst dabei gewesen, sehe ich meine Eltern am 9. November 1989 gebannt vor ihrem Fernseher in Berkeley, Kalifornien sitzen. Ich stelle mir auch meinen Großvater vor, wie er, nach dem Mauerfall, »die beste Zeit [seines] Lebens« damit verbrachte, im Auftrag der Treuhand ostdeutsche Industrien, die »nicht mehr wirtschaftlich waren«, stückweise an westdeutsche Investoren zu veräußern.

Dass Deutschland noch immer ein gespaltenes Land ist, habe ich als Kind nie wahrgenommen. Das liegt daran, dass ich in einer Westblase aufgewachsen bin: Charlottenburg, dann Nikolassee und die Internationale Schule in Dahlem. Ob jemand aus einem Ost- oder Westhaushalt kam hat dort keine Rolle gespielt, wir hätten es nicht einmal voneinander gewusst. Entweder schien uns der Unterschied inmitten von Diplomatenkindern aus Ägypten, Frankreich und Amerika unwesentlich, oder die deutschen Eltern von Privatschulkindern kamen ohnehin alle aus dem Westen. Mit Ausnahme eines Arbeitskollegen meines Vaters, können auch meine Eltern sich nicht erinnern, in dieser Zeit viel Kontakt mit Ostdeutschen gehabt zu haben. Ich habe also nie gelernt, Menschen in Ossis und Wessis einzuteilen, einfach weil es nicht genug Fallbeispiele in meinem Umfeld gab. Bis heute habe ich nur eine durch Film und Buch informierte Vorstellung davon, was überhaupt damit gemeint ist.

Erst als Jugendlicher gewann der Begriff des Ostens für mich an Gehalt. Und das im Grunde nur im Kontext von »Partymachen«. In den Osten Berlins fuhr ich, um zu feiern. Dort war es, wie man sagte, »abgefuckter« – unverputzte Industriehallen, freigelegte Rohre und Technomusik waren cooler als weiße Hemden und Champagner. Die Welt der Ostklubs war anziehender, aber auch bedrohlicher. Meine frühen Streifzüge durch den Osten assoziiere ich teils mit der Angst, nicht in den Club zu kommen, teils mit schrecklicher Kälte. Besonders eingeprägt haben sich die langen, frostigen Wintermorgenstunden am sonst völlig leeren Ostbahnhof, in denen ich darauf wartete, dass die Züge, die während der Woche erst ab 04:30 Uhr wieder fuhren, mich endlich nach Hause brachten.

Auch von Ostdeutschland habe ich fast nichts gesehen. Einmal bin ich mit mehreren Freunden für ein Wochenende nach Ferchels gefahren. Im Radio warnten sie, es könnte im Umkreis zu Überflutungen kommen, aber das kümmerte uns nicht. Während wir uns drei Tage lang betranken, stieg das Wasser um uns immer höher, bis der Fleck Land, auf dem wir standen, eine Insel geworden war. Ein Amphibienfahrzeug der Bundeswehr hat uns schließlich zum nächsten Bahnhof befördert. Das war mein letzter Eindruck vom östlichen Land, ein paar trostlose Dörfer die unter Wasser stehen, gesehen von einer riesigen Ladefläche aus.

Zu welchem Grad die Wiedervereinigung gescheitert ist, war mir auch später nie richtig klar. Es hat mich zum Beispiel sehr verwundert, als ich erfuhr, dass der Mindestlohn im Osten niedriger ausfällt als im Westen. Dass mir diese Einteilung nie etwas bedeutet hat, ist natürlich ein Westprivileg, und wahrscheinlich würde man sagen, dass ich, ohne mich je darüber identifiziert zu haben, ein richtiger Wessi bin. Langsam wird mir bewusst, wie wichtig es für mich ist, die ersten Schritte zu machen und meine Perspektive auf die Ost-West-Beziehung zu reflektieren. Dazu war mir dieser Artikel eine willkommene Gelegenheit.

Victor Breidenbach, 1995 in Westberlin geboren, lebte bis zum 18. Lebensjahr in Charlottenburg und Nikolassee, studierte Philosophie in New Mexico, USA und zog 2018 nach Kreuzberg, wo er seit Ende des gleichen Jahres für die KuK schreibt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Als Liebling vor der Mauer stand

Peter S. Kaspar erinnert an eine über 30 Jahre alte Fernsehserie

Als vor 30 Jahren die Mauer fiel, lief in der ARD schon seit drei Jahren eine sehr erfolgreiche Serie: »Liebling Kreuzberg« mit dem 1977 aus der DDR ausgebürgerten Manfred Krug in der Titelrolle des Rechtsanwalts Robert Liebling.

https://www.youtube.com/watch?v=3OyVleencME&list=PLYI5O7yN9LGbQ5T68NbWGtcbvFwIAp7fb&index=2

Für Kreuzberger Lokalpatrioten sind die drei ersten Staffeln heute ein Quell beständiger nostalgischer Freude. Viel wurde in SO36 gedreht. Der Görlitzer Bahnhof, der Kotti und das Hallesche Tor sind Orte des Geschehens, und wenn Liebling in der Waldemar- oder Adalbertstraße unterwegs ist, dann hört die Welt auch ganz schnell auf. Immer wieder gerät die Mauer ins Blickfeld der Kamera.

Thematisch ist vieles auch heute noch erstaunlich aktuell. Miethaie und Wohnungsnot werden ebenso behandelt wie Drogen oder Polizeigewalt. Es war eben auch früher nicht alles besser.

Mit der vierten Staffel ändert sich alles. Die Mauer ist inzwischen gefallen, Liebling als Sozius in einer Ostberliner Kanzlei untergekommen, bei einer Kollegin aus dem Osten, die von Westrecht ebensowenig Ahnung hat, wie Liebling vom Recht in der ehemaligen DDR.

Und damit wird die Serie auf ein ganz anderes Niveau gehoben. Viele Schauspieler aus der ehemaligen DDR tauchen nun in den Folgen auf, wie Jenny Gröllmann, Günter Schubert, Jackie Schwarz oder Jörg Schüttauf, die dann auch konsequenterweise Charaktere aus dem Osten darstellen.

Und auch dieses Mal sind viele Themen noch beklemmend aktuell, wie Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Immer wieder geht es auch um diese andere Mauer, nämlich die, die in den Köpfen noch steht.

Über 30 Jahre ist die Serie nun alt, und wenn man sie sich heute noch einmal anschaut, erscheint sie wie ein ganz außergewöhnliches Stück Zeitgeschichte.

Trotzdem ist »Liebling Kreuzberg« kein Museumsfernsehen. Die Drehbücher von Jurek Becker sind voller Wortwitz, unerwarteter Wendungen und wahnwitziger juristischer Fallstricke. »Liebling Kreuzberg« macht auch heute noch jede Menge Spaß.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Moviemento in Gefahr

Deutschlands ältestes Kino droht zum Opfer von Immobilienspekulation zu werden

Eckhaus Kottbusser Damm / Boppstraße. Im ersten Stockwerk befindet sich das Kino MoviementoSpekulationsobjekt: Im Eckhaus am Zickenplatz gibt es seit 1907 ein Kino. Foto: rsp

Die Immobilienspekulation macht auch vor Deutschlands ältestem Kino nicht Halt. Nach mehrfachem Besitzerwechsel des Eckhauses am Kottbusser Damm steht jetzt die Gewerbeeinheit, in der das Kino Moviemento residiert, zum Verkauf – für gut zwei Millionen Euro.

Die Nachricht, die die Kino-Betreiber Iris Praef­ke und Wulf Sörgel Mitte Oktober ereilte, war ein Schock. Denn es ist klar: Wenn die knapp 600 Quadratmeter tatsächlich für zwei Millionen über den Tisch gehen, dürfte sich die Miete locker vervierfachen – und das wäre das Aus für einen weiteren Kinobetrieb.

Doch die Schockstarre wich schnell der hektischen Planung. Mit einer Unterstützungs-Kampagne wollen die Kinomacher genug Geld zusammenbekommen, um die Räume der Spekulation zu entziehen, selbst zu erwerben und damit das langfristige Überleben des Kinos zu sichern. 400.000 Euro haben sie bereits privat und im Freundeskreis zusammengekratzt, es fehlen also noch rund 1,6 Millionen Euro.

Ein ambitioniertes Ziel für eine Crowdfunding-Kampagne, aber nicht so aussichtslos, wie es klingen mag. Einerseits besteht durchaus die Hoffnung auf größere finanzielle Unterstützung durch Akteure des gut vernetzten Filmbetriebs, andererseits ist auch der veranschlagte Kaufpreis nicht in Stein gemeißelt.

Der Eigentümer, die Delta Vivum Berlin I GmbH, gehört zum größten Teil der Deutsche Wohnen SE, die Enteignungsforderungen zuletzt mit einer Art Charmeoffensive gekonntert hatte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Geschäftsführer der Deutsche Wohnen schuld daran sein wollen, wenn Deutschlands ältestes Kino schließen muss«, glaubt Wulf Sörgel. Schließlich ist die Immobilie nur eine von Tausenden im Portfolio. »Die wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es uns gibt.«

Hier geht es zur Kampagnenseite bei Startnext. Wer ansonsten – mit Geld oder Belohnungen für die Kampagne – helfen kann, schreibt an retter@moviemento.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Senat macht den Deckel drauf

Gesetz zum Mietenstopp soll im Januar beschlossen werden und rückwirkend gelten

Es war der Aufreger in den letzten Monaten, und viel ruhiger ist es um den Berliner Mietendeckel auch nicht geworden, seit ihn der Berliner Senat am 22. Oktober nun endgültig auf den Weg gebracht hat.

Das Abgeordnetenhaus soll Anfang des neuen Jahres über den Mietendeckel abstimmen, der dann rückwirkend zum 18. Juni diesen Jahres wirksam werden soll.

Im Gegensatz zu dem ersten Entwurf von Stadtentwicklungssenatorin Lompscher, der im Sommer bekannt wurde, ist die jetzige Vorlage entschärft worden. Viele Aussnahmeregelungen sollen zum Beispiel verhindern, dass Kleinvermieter durch den Mietendeckel über die Maßen belastet werden.

Doch im Wesentlichen gilt, dass die Mieten für fünf Jahre eingefroren werden. Aber es gibt Ausnahmen. So kann ab 2022 die Miete pro Jahr um 1,3 Prozent angehoben werden, wenn die Miete bis dahin unterhalb des Mietspiegels lag.

Auch Modernisierungen können nun wieder auf die Miete umgeschlagen werden, allerdings nur mit einem Euro pro Quadratmeter. Das soll verhindern, dass durch teure Luxussanierungen die Miete schlagartig explodiert. Kritiker hingegen befürchten, dass Wohnungen gar nicht mehr saniert werden, ja dass nicht einmal repariert wird.

Eine Tabelle gibt Auskunft darüber, wie hoch die Miete pro Quadratmeter in Zukunft sein darf. Das richtet sich nach Ausstattung und Baujahr der Wohnung. Die Lage spielt indes keine Rolle.

So bewegt sich die Mietenobergrenze zwischen 3,95 Euro/m² für eine 100 Jahre alte Wohnung ohne Bad und Sammelheizung bis hin zu 9,80 Euro/m² für eine Wohnung mit Erstbezug 2003 bis 2013 mit Sammelheizung und Bad.

Wer 20 Prozent mehr als in der Tabelle angegeben bezahlt, kann die Miete laut Senatsvorlage auch kappen. In diesem Fall spielt die Lage aber dann doch eine Rolle. In der Vorlage heißt es:

»Dabei werden Zu- und Abschläge für einfache Lage (-28 ct/m²), mittlere Lage (-9 ct/m²) und gute Lage (+74 ct/m²) berücksichtigt. Die Regelungen werden erst neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes angewendet.«

Es gibt auch noch einige andere Ausnahmen.

So findet sich in der Mietentabelle zum Beispiel folgende Ergänzung:

»Liegt der Wohnraum in Gebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen, erhöht sich die Mietobergrenze um einen Zuschlag von zehn Prozent.

Für Wohnraum mit moderner Ausstattung erhöht sich die Mietobergrenze um 1 Euro. Eine moderne Ausstattung liegt vor, wenn der Wohnraum wenigstens drei der folgenden fünf Merkmale aufweist: 1) schwellenlos von der Wohnung und vom Hauseingang erreichbarer Personenaufzug, 2) Einbauküche, 3) hochwertige Sanitärausstattung, 4) hochwertiger Bodenbelag in der überwiegenden Zahl der Wohnräume und/oder 5) Energieverbrauchskennwert von weniger als 120 kWh/(m²a).«

Inzwischen wird also munter über den Mietendeckel diskutiert und kaum noch über den Volksentscheid »Deutsche Wohnen enteignen«. Im Sommer noch hatte der Senat rundweg bestritten, dass der Mietendeckel und ein mögliches Enteignungsgesetz irgendetwas miteinander zu tun haben könnten.

Auf dem Landesparteitag der SPD hörte sich das nun allerdings ganz anders an. Die Genossen sollten darüber abstimmen, ob sich die SPD der Initiative anschließen solle oder nicht – sprich: ob auch sie für die Enteignung der gro­ßen Wohnbauunternehmen wie etwa Deutsche Wohnen oder Vonovia eintritt.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller sprach sich auf dem Parteitag klar dagegen aus. Und die Begründung lässt aufhorchen: » Wenn die SPD jetzt beschließt, wir sind für eine Vergesellschaftungsinitiative, wird der Mietendeckel untergeordnet«. Damit ist klar: Entweder Mietendeckel oder Enteignung.

Die Abstimmung lieferte dann ein ziemlich klares Ergebnis: 137 Genossen stimmten gegen das Enteignungsgesetz, 97 waren dafür.

Die Initiative »Deutsche Wohnen enteignen« reagierte enttäuscht und twitterte: »60% der Delegierten auf dem SPD #LPT19 haben gegen die Unterstützung unserer Kampagne gestimmt. Damit verpasst die SPD eine Chance, sich wirklich auf die Seite der Mieter*innen zu stellen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.