Wowi am Kotti

Der Regierende erfährt etwas über das Kreuzberger Gewerbe

Für die Junkies war es an diesem Tag nicht einfach, den direkten Weg aus dem U-Bahnhof zum Dealer zu finden, denn die Menschentraube, die sich um Wowi scharte, versperrte gewohnte Pfade. So huschten sie, vor sich hinschimpfend, sich klein machend, Wowi keines Blickes würdigend und völlig irritiert außen herum oder durch die Masse hindurch.

Wowi – bürgernah Foto: mr

Mit einer Verspätung von 20 Minuten traf der Tross mit und um den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit am Kottbusser Tor ein. Der Stuhlkreis im Graefekiez hatte etwas länger gedauert. Umringt von seinen Bodyguards, Reportern, seinen politischen Mitstreitern und Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers aus Kreuzberg war für die Bevölkerung nur ein Durchkommen unter heftigstem Einsatz von Ellenbogen, gepaart mit einer nicht zu überhörenden Lautstärke. So wird Wowereit womöglich das Plakat einer Bürgerinitiative mit der Aufschrift »Wowi, rück die Verträge raus« entgangen sein. Gemeint waren hier die Verträge der Wasserbetriebe.

Nachdem sich Wowi und seine Groupies in Richtung Seniorenwohnheim, das wegen der Dominanz der Junkies unter Bewohnermangel leidet, in Bewegung setzte, hatte Houda Tautenhahn endlich die Chance, Klaus Wowereit ihr Projekt vorzustellen. Houda Tautenhahn ist im Auftrag von LOK im Projekt »Kreuzberg handelt« seit Januar rund um das Kottbusser Tor unterwegs mit dem Ziel, die ansässigen Geschäftsleute zu einer Ideenwerkstatt zu ermutigen. Am Kottbusser Tor können in den Geschäften keine hohen Preise verlangt werden, hier sind die Lebenssituationen der Kiezbewohner in der Regel prekär, der Cent wird vor dem Ausgeben mehrfach umgedreht. »Im Verhältnis zu den Einnahmen sind die Mieten genauso hoch wie am Kudamm«, so einer der anwesenden Geschäftsinhaber zu Wowereit. Die studierte Sozialwissenschaftlerin und perfekt arabisch sprechende Houda Tautenhahn zeigt mit großem Engagement, wie es geht: »zwei bis dreimal pro Woche besuche ich die ansässigen Geschäftsleute, immerhin gibt es einen intensiven Kontakt bereits zu fünf Geschäftsinhabern, die ihre Situation gemeinsam ändern möchten.« Eine stolze Leistung, denn Houda Tautenhahns Auftritt rund um den Kotti wurde zunächst sehr kritisch beäugt. Ihr Charme, ihre respektvolle Haltung gegenüber Menschen und ihre Unermüdlichkeit machten dies möglich. »Und wir sind erst am Anfang«, denn das Projekt ist auf drei Jahre angelegt“, so Houda Tautenhahn. Wer weiß, vielleicht macht der Kreuzberger aus dem Bergmann- oder Graefekiez in drei Jahren einen Ausflug zum Flanieren in der Adalbertstraße.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2010.

Gute Idee bringt bares Geld

Mediatorinnen loben Preis für Admiralbrückenbefriedung aus

Kommt nun Bewegung in den Streit um die Admiralbrücke? Im Mai wurde »Streit Entknoten – Büro für Mediation und Interkulturelle Kommunikation« vom Bezirksamt eingeschaltet, nachdem sich der Bezirk darauf geeignet hatte, den Konflikt durch eine Mediation zu lösen.

Sosan Azad und Doris Wietfeldt sollen nun erst einmal herausfinden, wo die Konfliktlinien verlaufen und wo Gespräche sinnvoll geführt werden können.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Mediation ist strikte Neutralität. Mediatoren sind dazu da, zwei Seiten miteinander ins Gespräch zu bringen, die bislang im gegenseitigen Umgang sprachlos waren.

Der Streit um die Admiralbrücke schwelt nun schon seit mehr als zwei Jahren. Zum ersten Mal drang er ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, als Stadträtin Jutta Kalepky ein Schild an der Admiralbrücke anbringen ließ. Darauf bat sie die Brückenbesucher höflich darum, die Brücke sauber zu halten, den Müll selbst zu entsorgen, ab 22 Uhr die Nachtruhe der Anwohner zu beachten und auf das Musizieren zu verzichten. Sie begründete dies mit dem denkwürdigen Satz: »Wasser ist ein guter Schallüberträger«. Das Schild hing nicht besonders lange.

Spätestens nun wurde jedem klar, dass die Admiralbrücke an lauen Sommerabenden eine der angesagtesten Feierlocations der Stadt ist.

Die Anwohner wehrten sich gegen Krach und Müll auf der Brücke, doch je höher sich der Streit aufschaukelte, desto mehr zog die eiserne Brücke im Jugendstil junge Leute zum abendlichen Sonnenuntergangs­spektakel mit Musik an. Inzwischen vergeht kaum eine Woche, an der nicht irgendein Fernsehteam an der Brücke auftaucht, um junge Menschen zu interviewen.

Einerseits ist hier eine Art Touristenattraktion entstanden, andererseits klagen die Anwohner ihr Recht auf Nachtruhe ein. Und hier wollen Sosan Azad und Doris Wietfeldt nun einen Weg finden.

Sie wählen nun eine für eine Mediation vielleicht etwas ungewöhnliche Methode: Sie haben einen Ideen-Wettbewerb ausgeschrieben. Wer glaubt, eine Methode zu kennen, den Frieden zwischen Anwohnern und Brückenbesuchern herzustellen, kann sich daran beteiligen. Die fünf besten Vorschläge werden mit 100 Euro prämiert. Das Geld kommt aus dem Resort von Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers (SPD), der »Streit Entknoten« mit der Mediation beauftragt hat. Sechs Monate soll das Mediationsverfahren dauern.

Die Vorschläge können formlos bis zum 31. August eingereicht werden. Alle Informationen zu den Teilnahmebedingungen gibt es auf der Webseite des Mediationsbüros.

Die Mediatorinnen hoffen auf eine rege Beteiligung. »Mit dem Ideenwettbewerb haben Sie die Möglichkeit, sich für ein konfliktfreies Miteinander auf der Admiralbrücke einzusetzen und das Leben im öffentlichen Raum mitzugestalten. Die Brücke soll als Ort der Begegnung bewahrt und der verantwortungsvolle Umgang soll gefördert werden«, heißt es in einer Mitteilung der Mediatorinnen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2010.

Landet ooch in Tempelhof

Sportmaschine muss im neuen Park notlanden

Socata TB 10 landete in TempelhofErlebnispark Tempelhof. Foto: Felix Passenberg

Es ist ja nichts passiert, aber dem einen oder anderen Radler oder Skater ist dann doch ein wenig das Herz in die Hose gerutscht, als neben ihm an diesem strahlenden Sommertag eine einmotorige Socata TB 10 niederging. Die einen halten es für unerhört, mit einer Sportmaschine mitten in einem belebten Park zu landen, andere finden, dass es eine glückliche Fügung des Schicksals ist, dass es auf dem ehemaligen Cityairport Tempelhof noch intakte Landebahnen gibt.

Der Pilot der einmotorigen TB 10 hatte drei Passagiere an Bord und war mit ihnen zu einem 15minütigen Rundflug von Tegel aus gestartet. Als der Motor beim Pflichtmeldepunkt Echo 2 über Neukölln aus nicht geklärten Gründen zu stottern begann, landete der 31jährige, nach Absprache mit der Flugsicherung in Schönefeld auf der südlichen Landebahn des ehemaligen Flughafens.

Vorsichtshalber wurde die Feuerwehr in Marsch gesetzt, die jedoch nicht eingreifen musste. Die Polizei sperrte die Maschine ab.

Die ungeplante Landung fand bei den Besuchern der Parks ein unterschiedliches Echo. Die einen beschimpften den Flieger als »bescheuert«, eine andere fühlte sich gar an den Fliegerstreich von Mathias Rust erinnert, der vor 23 Jahren mit einer Cessna neben dem Roten Platz in Moskau landete.

Nun ist der Rote Platz definitv kein Flughafen, das Tempelhofer Feld war es aber bis vor kurzem. Viele Parkbesucher hatten dennoch gemerkt, dass es sich bei dieser unplanmäßigen Landung um einen Notfall gehandelt hatte.

Wenn die Maschine repariert und gecheckt ist, könnte sie theoretisch wieder abheben und zurückfliegen. So einfach ist das aber nicht, denn um abheben zu dürfen braucht der Pilot eine Sondergenehmigung vom Senat. Bekommt er die nicht, muss die Maschine mit einem LKW abtransportiert werden. Ohnehin dürfte sich die Reparatur des Motorschadens mangels Werkstatt schwierig gestalten.

Fußball satt in fast allen Kneipen

Zur WM in Südafrika gibt es diesmal kaum fußballfreie Zonen

Fußballmuffel werden es in den nächsten Wochen schwer haben – schwerer vielleicht noch als vor vier Jahren, als ganz Deutschland im Sommermärchenfieber taumelte. Einige mutige Wirte hatten damals versucht, gegen den Trend zu fahren und fußballfreie Zonen anzubieten. Im »Valentin« in der Körtestraße hielt der Vorsatz genau bis zum Viertelfinale, »Mrs. Lovell« in der Gneisenau versuchte tapfer durchzuhalten.

»Natürlich zeigen wir Fußball. Fußballfreie Zone machen wir nicht mehr«, erklärt Yana vom »Mrs. Lovell«. Die Erfahrungen bei der WM in Deutschland waren einfach zu bestürzend. In dem englischen Pub gibt es bei dieser Fußballweltmeisterschaft in Südafrika zumindest die Deutschlandspiele auf Großbildleinwand.

Auch Joachim Mühle vom »Valentin« ist dieses Mal vom ersten Spiel an mit von der Partie. Allerdings nun am neuen Standort in der Hasenheide.

Groß rüstete die »Cantina Orange« in der Mittenwalder Straße auf. Fußball gibt es dort gleich auf drei Leinwänden. Auf einer gibt es sogar Out-Door-Public-Viewing. Wenn in der letzten Vorrunde Spiele parallel laufen, können auch zwei Spiele gleichzeitig übertragen werden. Außerdem gibt auch es wieder ein großes Tippspiel.

Das hat auch im »Too Dark« in der Fürbringerstraße eine gewisse Tradition, ebenso wie der riesige Spielplan, der dann an der Wand prangen soll.

An die Tradition des ehemaligen Baghira knüpft der Nachfolger »Martinique« in der Monumentenstraße an. Da gibt‘s Fußball satt auf drei Leinwänden.

Zu den Profis in Sachen Fußball-Public-Viewing gehört das »Brauhaus Südstern« an der Hasenheide. Dagegen gibt es in den »Sieben Stufen« in der Großbeerenstraße eine echte Fußballpremiere. Auch das »Bierkombinat« in der Manteuffelstraße will zum ersten Mal Fußball präsentieren.

Public-Viewing soll es auch im Bürgerbüro der Bundestagsabgeordeneten der Linken, Halina Wawzyniak geben, die selbst begeisterte Fußballerin ist. Dort gibt es nicht nur die Spiele der deutschen Nationalmannschaft. Fans des Teams von Nordkorea kommen am Mehringplatz auch auf ihre Kosten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2010.

Heiter bis wolkig

1. Mai in Kreuzberg verlief weitgehend friedlich

Frau mit kleinem Kind auf dem Arm, das Ohrenschützer trägtEin ruhiger 1. Mai – wer wünscht sich das nicht? Foto: rsp

Noch wenige Tage vor dem 1. Mai waren die Medien geprägt von übelsten Befürchtungen zum Verlauf der Kreuzberger Maifeierlichkeiten. Doch trotz Schwarzmalerei im Vorfeld verlief die Traditionsveranstaltung bis auf einige wenige Scharmützel weitgehend friedlich.

Dazu trug sicher auch die gelöste Stimmung nach dem erfolgreich verhinderten Nazi-Aufmarsch in Prenzlauer Berg bei. Linke Gegendemonstranten hatten am Nachmittag, teilweise gewissermaßen gemeinsam mit der Polizei, die Straßen blockiert, so dass die Rechtsextremisten ihre Route auf rund 800 Meter verkürzen mussten. Im Kreuzberger MyFest-Gebiet rund um den Mariannenplatz wurde derweil kräftig gefeiert und gebechert – im wahren Sinne des Wortes, denn das Glasflaschenverkaufsverbot des Bezirks (KuK berichtete im April) wurde relativ konsequent durchgesetzt. Selbst die Aral-Tankstelle in der Skalitzer Straße musste ihr Sortiment kurzfristig auf Bier in Plastikflaschen umstellen – offiziell über das Verkaufsverbot informiert wurde Tankstellenpächter Thomas Kalweit erst am Morgen des 1. Mai.

Nicht ungetrübt war die Veranstaltung auch für die Organisatoren des »Netzwerk MyFest«. Nach Angaben der Initiative, die seit 2003 das MyFest organisiert, wurde der Etat für Bühnen durch den Bezirk gekürzt, so dass die ursprünglich geplante Rockbühne am Oranienplatz kurzfristig abgesagt wurde. Die Finanzierung notwendiger Sicherheitsmaßnahmen wäre auch mit Erlösen aus Getränkeausschank nicht gewährleistet gewesen.

Räuber und Gendarm

Für einige Aufregung sorgte dieses youtube-Video

Zu kleineren Reibereien zwischen Polizei und Demonstranten kam es im Zuge der traditionellen 18-Uhr-Demo. Für einige Aufregung sorgte allerdings eine im Laufe des Abends beim Video­portal youtube veröffentlichte Aufnahme, die zeigt, wie ein Demonstrant am Spreewaldplatz von einem Polizisten ins Gesicht getreten wird. Erfreulicherweise hat die Polizei noch am Abend mit internen Ermittlungen begonnen.

Doch auch die Polizei hat mindestens einen schwerverletzten Beamten zu beklagen, der allerdings nicht, wie es zunächst hieß, mit einem Messer in den Rücken gestochen wurde.

Rangeleien mit der PolizeiNachts um drei kam es nur noch zu den üblichen Rangeleien. Foto: rsp

Spätestens als gegen 22 Uhr Regen einsetzte, war der größte Teil des Krawalls vorbei, vermutlich auch, da zahlreiche potentiell Beteiligte den Heimweg antraten. Erst einige Stunden später kam es in der Adalbertstraße noch zu den üblichen »Räuber-und-Gendarm«-Spielchen. Ausgehend von einigen wenigen amüsierwilligen Krawallmachern, die mitgebrachte Feuerwerkskörper und herumliegenden Müll entzündeten, sahen sich die Ordnungshüter schließlich genötigt, die Straße gegen 4 Uhr morgens komplett zu räumen.

Beste Gelegenheit für die BSR, den gesammelten Müll eines rauschenden Festes von den Straßen zu schaffen. Der bestand – insofern ging die Rechnung des Bezirks auf – tatsächlich kaum aus Glasscherben sondern zum größten Teil aus Plastikbechern.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2010.

Protest, Polizeipräsenz und Party

Wissenschaftliche Studie zum 1. Mai in Kreuzberg veröffentlicht

Die Auseinandersetzung mit den alljährlichen Geschehnissen am 1. Mai in Kreuzberg wird seit jeher sehr emotional geführt. Jetzt hat sich ein Forschungsteam der FU Berlin wissenschaftlich mit dem Phänomen auseinandergesetzt. Die Wissenschaftler um den Strafrechtler Prof. Dr. Klaus Hoffmann-Holland haben einen ersten Forschungsbericht veröffentlicht, der die Gewalthandlungen aus kriminologischer Sicht analysiert.

Grundlage für die Studie waren Strafakten der Berliner Justiz zum 1. Mai 2009, Interviews mit Besuchern und Beteiligten sowie die Auswertung von Weblogs.

Ein Fazit der Studie ist die Erkenntnis, dass es sich bei den Ereignissen um »ein komplexes soziales Geschehen« handelt, dass »von den verschiedenen Akteuren sehr unterschiedlich gedeutet wird«. Denn selbst die Gruppe der Teilnehmer der traditionellen 18-Uhr-Demo, der das Hauptaugenmerk der Forscher galt, ist mitnichten homogen und hat teilweise sehr widersprüchliche Wahrnehmungen von den gleichen Abläufen. Dies zeigt etwa die Rekon-struktion der Geschehnisse entlang der Demo-Route. Wer wann wen provoziert oder angegriffen hat, was zuerst war, Festnahmen durch die Polizei oder Flaschenwürfe – all das ist selbst unter Demonstrationsteilnehmern bestenfalls unklar.

Ganz grob unterschieden werden drei Gruppen von teilnehmenden Privatpersonen: Diejenigen, die grundsätzlichen politischen Protest zum Ausdruck bringen wollen, diejenigen, die sich vor allem gegen die Polizeipräsenz wenden, und die, für die das »aufregende Erlebnis« im Vordergrund steht.

Erwartungsgemäß viel Raum nimmt die Beschäftigung mit der Wahrnehmung des Verhaltens der Polizei durch MyFest-Besucher und Demonstranten ein.

Katz-und-Mausspiel mit vielen Akteuren

Während ein Teil der Beobachter das Verhalten der Polizei als einschüchternd und bedrohlich wahrnimmt, halten andere es für professionell und routiniert. Von manchen wiederum wird die bloße Präsenz der Polizei als Provokation begriffen und entsprechend reagiert.

Einschüchtern und bedrohlich oder professionell und routiniert? Polizeieinsatz am 1. Mai.

Foto: rspEinschüchtern und bedrohlich oder professionell und routiniert? Polizeieinsatz am 1. Mai. Foto: rsp

Interessant sind auch die Analysen der Wissenschaftler zum weiteren Verlauf des Abends gegen Ende der eigentlichen Demonstration am Kottbusser Tor. Übereinstimmend wird die Situation als chaotisch und unübersichtlich beschrieben. Vielfach wird der Ritualcharakter der Auseinandersetzungen mit der Polizei betont, die von vielen als »Katz-und-Mausspiel« oder als »Sportveranstaltung« gesehen wird. Zunehmend verschwimmen dabei auch die Grenzen zwischen Zuschauern und Beteiligten.

Immer wieder steht dabei auch die Gewaltbereitschaft der Polizei im Fokus der Beobachtungen der Interviewten und Blogger. Häufig wird das Verhalten der Beamten als überzogen kritisiert, auch wenn selbst direkt involvierte gelegentlich Verständnis für »die Bullen« mitbringen und auch übertriebene Gewaltbereitschaft in den eigenen Reihen eingestehen.

Deutlich zeigt die Studie in einer umfangreichen Auswertung der Strafanzeigen aber auch, dass die in den Medien genannten Zahlen von Gewalttätern mit einiger Vorsicht zu genießen sind.

Indessen machen die Forscher in ihrem Bericht keine konkreten Vorschläge zur Prävention. Das war allerdings auch nicht die Aufgabenstellung. Vielmehr ging es um ein grundsätzliches Verstehen der Akteure und Zusammenhänge. Weitere Erkenntnisse könnten sich nach Ansicht der Autoren der Studie etwa durch qualitative Interviews mit beteiligten Polizisten ergeben – und durch Erhebungen zu Strafanzeigen wegen Körperverletzung im Amt.

Weitere Informationen sowie der ausführliche Bericht finden sich auf der Webseite des Lehrstuhls unter: fu-berlin.de/maistudie

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2010.

Der Wrangelkiez entwickelt Perspektive

Erstaunliche Ergebnisse der Sozialstudie des Senats

Das Wort von Klaus Wowereit ist ja inzwischen schon ein geflügeltes, nach dem Berlin arm aber sexy sei. Wenn das stimmt, dann ist Kreuzberg zwar am ärmsten, sicher aber auch am sexiesten. Wer es nicht glaubt, soll sich nur einmal die jüngste Sozialstudie des Senats betrachten.

Danach ist Kreuzberg eigentlich ziemlich hoffnungslos. Doch wer sich die Karte bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mal genauer anschaut, der stutzt dann doch ein wenig.

Dass es dem Süden Kreuzbergs besser geht als dem Norden, ist eine Binsenweisheit, doch dass der Entwicklungsindex beispielsweise der Düttmannsiedlung so hoch wie der des Chamissoplatzes sein soll, erschließt sich dem kiezkundigen Bewohner dann doch nicht so schnell.

Ganz heimlich träumt ja so mancher Kreuzberger seinen kleinbürgerlichen Traum von einer schönen Wohnung am Fraenkel- oder Paul-Lincke-Ufer. Doch Vorsicht! Das Fraenkel-Ufer hat einen sehr niedrigen und das Paul-Lincke-Ufer immerhin noch einen niedrigen Entwicklungsindex. Überhaupt gibt es nördlich des Landwehrkanals nur einen kleinen Fleck, dem ein mittleres Entwicklungspotential zugestanden wird. In Kreuzberg ist das übrigens schon das allerhöchste der Gefühle und entspricht dann dem Chamissokiez.

Dieses kleine Fleckchen umfaßt den Wrangelkiez zwischen Görlitzer Park und Spree-Ufer. Manch einer mag sich nun fragen, ob es sich um den Wrangelkiez handelt, in dem die Polizei eine Hundertschaft braucht, um einen zwölfjährigen Handydieb festzunehmen. Wenn sich der Grafiker beim Erstellen der Karte nicht sehr getäuscht hat, dann handelt es sich genau um jenen Problemkiez.

Nun geht es bei der Studie um Entwicklungsperspektiven. So liegt es nahe, dass in diesem Fall vielleicht schon das Entwicklungspotential der Mediaspree eingepreist ist. Tatsächlich werden die Gebiete in SO 36 auf der Karte immer roter, je weiter sie von der Spree entfernt sind.

Zwischen Heinrich- und Oranienplatz, Wassertor und Engelbecken heißt es dann laut Senatsstudie alle Hoffung fahren lassen. Der Entwicklungsindex dort heißt: sehr gering!

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2010.

Cocktails und Gänsekeulen

Tipps für Weihnachtsmuffel

Auf einmal steht es wieder mit seiner frech-freundlich grinsenden Fratze vor der Tür und begehrt Einlass. Ja, ja, es ist schon wieder so weit, das Christkind ist im Anmarsch, da hilft kein Jammern und kein Flehen der Weihnachtsskeptiker.

Bekennende Weihnachtshasser haben es in diesen Tagen schwer. Dem einen oder anderen ist es schon passiert, dass er ausgerechnet an Heiligabend vor der Kneipe seines Vertrauens vor verschlossenen Türen stand. Das kann den Freunden des Brauhauses Südstern dieses Jahr ebenso passieren, wie den Too-Dark-Gängern, die sich bis Silvester gedulden müssen, ehe der Keller wieder aufmacht. Doch es gibt einige Ausweichmöglichkeiten. Wie in jedem Jahr erheben diese Tipps natürlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Wer es traditionell und beschaulich mag, für den öffnen Jana und Rick die Pforten des »Mrs Lovell«. An den beiden Weihnachtsfeiertagen ist schon ab elf Uhr geöffnet.

Für wen zu den Festtagen Gänsekeulen unabdingbar sind, findet das festlich zubereitete Federvieh in der Cantina Orange schon ab 12 Uhr an Heiligabend.

Garantiert unweihnachtsfestlich geht es im Bierkombinat zu. Business as usual heißt es dort an den Feiertagen.

Die Stammgäste im Heidelberger Krug bekommen auch an Heiligabend ihr Bier, aber erst ab 21 Uhr. Wer nach Absingen von Weihnachtsliedern, dem Besuch der Christmette und dem Öffnen der Paketchen doch noch fliehen will und Appetit auf einen Cocktail verspürt, für den macht das Galander in der Großbeerenstraße an Heiligabend ab 22 Uhr auf. Über die Feiertage ist normal geöffnet.

An Silvester ist dann auch wieder das Brauhaus mit einer rauschenden Jahresendparty dabei. Im Too Dark wird dann ebenso gefeiert wie in Cantina, Mrs Lovell, Kombinat, Heidelkrug und vielen anderen Kiezkneipen die jetzt an dieser Stelle gar nicht alle genannt werden können. Das Galander allerdings bleibt zum Jahresende zu.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2009.

Beobachtungen zur Bergmannstraße

Die Vertreibung der Singvögel

Wimpelmeer in der Bergmannstraße

Foto: csWimpelmeer in der Bergmannstraße Foto: cs

Kurz nach dem diesjährigen Jazzfest in der Bergmannstraße machte der interessierte Kreuzberger Bürger eine eigenartige Beobachtung: von einem Tag zum anderen war die Straße mit dreieckigen Fähnchen in den munteren Farben gelb, blau, rot und weiß geschmückt. Von einem Haus zum anderen auf der gegenüber liegende Straßenseite waren in unterschiedlicher Höhe und kreuz und quer diese kleinen Wimpel, die sich eifrig im Wind bewegten, zu sehen.

Neugierig fragte der interessierte Kreuzberger nach: Sollte vielleicht ein weiteres Straßenfest angekündigt werden oder hatte man einen Feiertag vergessen oder war das vielleicht eine politische Aktion? »Nein, diese kleinen Fähnchen sind Kunst«, sagte eine aufgeklärte Geschäftsfrau. Oh, das also ist Kunst.

Kurze Zeit darauf beklagten Anwohner eine verminderte Wohnqualität, denn die kleinen bunten Fähnchen verursachen durch ihr Gewedel ein Geräusch, das sich wie Regen anhört. Also wurden die Fenster geschlossen, der Sonnenschein sollte doch nicht vom Regengeräusch gestört werden und man schwitzte lieber hinter geschlossenen Fenstern.

»Das alles ließe sich noch ertragen, wenn nicht alle Singvögel vor dem Gewedel geflohen wären«, so eine Vogelliebhaberin. In der Tat lassen sich Vögel von flatternden Wimpeln vertreiben. Ersatzweise kann auch Wäsche genommen werden. Nun war dies sicherlich nicht beabsichtigt.

In der Bergmannstraße gibt es etliche Vogelfreunde, die sich auch im Winter darum sorgen, dass die Vögel gut versorgt werden. Das hatte zur Folge, dass neben Staren, Amseln und Rotkehlchen auch Buchfinken über die Jahre mitten in der Straße heimisch wurden. Die Anwohner haben immer wieder mit Stolz auf die Artenvielfalt der Singvögel verwiesen und hatten große Freude an deren Gesang.

So kann Kunst auch Lebensfreude trüben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2009.

Cantina in Cannstatter Hand

VfB-Fans vom Prenzelberg finden neue Heimat

Fans des VfB Stuttgart haben in der Cantina Orange ihre neue Heimat gefunden.

Foto: pskFans des VfB Stuttgart haben in der Cantina Orange ihre neue Heimat gefunden. Foto: psk

Es mag ja vielleicht auch daran liegen, dass man in Kreuzberg Minderheiten gegenüber wesentlich toleranter ist als am Prenzelberg. Dort jedenfalls hatte der VfB-Fanclub »Landesvertretung Cannstatt 07« lange Zeit sein Domizil. Aber am Prenzelberg sind auch Plakate aufgetaucht, die den Weg zurück nach Stuttgart weisen (650 Kilometer). Als es dann auch noch innerhalb der Fangruppe Differenzen gab, zog der größere Teil hinaus, um sein Glück zu suchen.

Er fand es in der Cantina Orange. Die Schwäbisch-Albanische Kneipe in der Mittenwalder Straße nahm die Landsleute aus dem Südwesten auch sogleich mit offenen Armen auf. Die VfB-Fans landeten zwar nicht im Land wo Milch und Honig fließen, aber dafür in einer Kneipe, wo sich schwäbische Köstlichkeiten nicht nur in Kässpätzle und Maultaschen erschöpfen. »Außerdem versteht man hier, wenn man eine Halbe bestellt«, schildert einer der Fans die Vorzüge der neuen Fan-Arena.

Seit Anfang Oktober werden die Spiele des VfB Stuttgart in der Cantina nun in voller Länge übertragen, die Konferenz gibt es nur noch dann, wenn die Schwaben nicht spielen. Für das Wirtepaar Carmen und Bashkim rechnet sich das allemal. So drängten sich zum Championsleague-Spiel Stuttgart gegen Sevilla so viele Fußballfans wie noch nie zuvor über die beiden Stockwerke.

Allerdings begannen die ersten Stuttgarter Fans schon zu zweifeln, denn die ersten Spiele an neuer Stätte verliefen durch die Bank nicht gerade so, wie sie sich die erhofft hatten. Der VfB verlor eine Begegnung nach der anderen. Immerhin gab es Trost von den letzten verbliebenen Hertha-Fans. Denen ging es noch schlechter.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2009.

Bau auf, Bau auf

Baustellen legen Verkehr in Kreuzberg lahm

Hier baut der Bund: Baustelle Gneisenau.

Foto: piHier baut der Bund: Baustelle Gneisenau. Foto: pi

Selbst das Bauamt hat es inzwischen wohl aufgegeben und den Überblick über die Baustellen verloren. Eine Liste gibt es jedenfalls nicht. Nur soviel ist klar: Die Bauorgie im Bezirk wird noch einige Wochen weitergehen.

Ärgerlich ist es für die Autofahrer vor allem, wenn sie in Ost-West-Richtung unterwegs sind. Die drei Magistralen Gitschiner/Skalitzer, Urbanstraße und Gneise­nau­straße sind alle unterschiedlich von Baustellen betroffen. Es nützt also nicht besonders viel, von der einen auf die andere auszuweichen.

Hart hat es die Bewohner rund um den Südstern getroffen. Seit gefühlten fünf Jahren wird da nun gebaut. Grund war der Umbau des U-Bahnhofs. In den letzten Jahren waren sogar Karneval der Kulturen und der Berlin-Marathon immer wieder gezwungen gewesen, ihre angestammten Routen zu verändern. Endlich, so schien es, war ein Ende abzusehen. Die Anlagen nördlich der Kirche waren frisch eingesät, die letzten Bagger verschwunden, und dann kamen schon die nächsten. Jetzt wurde die Fahrbahndecke im Zuge der Stra­ßen­sa­nie­rung erneuert.

Inzwischen ist auch die Zufahrt zur Blücherstraße blockiert, womit eine weitere Ausweichmöglichkeit, dem zwangsläufigen Stau in der Gneisenau zu entkommen, genommen ist.

Immerhin outet sich der Übeltäter an der Gneisenau sehr klar. Hier baut nämlich die Bundesregierung, die dem staunenden Autofahrer mehr oder weniger aufdringlich auf einem Schild klarmacht, dass die Gelder aus dem Konjunkturpaket II gerade in der Gneisenaustraße verbuddelt werden.

Wenn diese Gelder ihre segensreiche Wirkung getan haben werden, dann wird der Verkehr wunderbar und ungestört durch die Gnei­se­nau­straße rollen? Von wegen. Die BVG saniert derzeit die Tunnel der U7, und das bleibt auch nicht ganz ohne Auswirkungen auf den oberirdischen Verkehr.

Wer sich dem Ost-West-Chaos entziehen will, der kann es ja einfach mit einer Nord-Süd-Verbindung versuchen. Auf der Baerwald- und Prinzenstraße kommt er allerdings auch nicht besonders weit. Auch hier wird seit Wochen gebaut. Dann nichts wie raus aus der Stadt, am besten über die Stadtautobahn, doch um dorthin zu kommen, muss der Autofahrer erstmal den Engpass auf dem Tempelhofer Damm passieren.

Bleibt noch die U-Bahn zu benutzen. Aber bitte nicht die U1. Zwischen Warschauer Brücke und Kotti gibt es Schienenersatzverkehr. Vorausgesetzt, der Bus steckt nicht im Stau fest.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2009.

Es geht voran

Die Bedeutung der Baucontainer im Kiez

Der Blick auf schutt­überladene Baucontainer beim Spaziergang durch den Kiez regt den Gedanken an, die Renovierung Kreuzbergs schreite voran. Da keimt die Hoffnung auf eine Zukunft in einer zentralbeheizten Altbauwohnung mit gefliestem Badezimmer, Geschirrspülmaschine und romantischer Aussicht auf die Hasenheide auf. Doch der Blick auf die Marktsituation zum Beispiel in der Bergmannstrasse lässt dieses Luftschloss zerplatzen wie eine Seifenblase. Eine solche Wohnung muss man sich heutzutage schon kaufen, dumm nur, dass sich das kaum einer leisten kann.

Wo wie hier gebaut wird steigen vermutlich bald die Mieten.

Foto: pskWo wie hier gebaut wird steigen vermutlich bald die Mieten. Foto: psk

Dass hier irgendetwas schiefläuft, fiel sogar der Wirtschaftswoche auf. Im März 2009 bescheinigte sie dem Berliner Immobilienmarkt den drittletzten Platz: Mäßige Wirtschaftskraft, sehr mäßige Standortqualität, stagnierende Sozialstruktur – alles durch die Brille des Kapitalanlegers gesehen.

Doch unverdrossen wird weiter renoviert, entmietet, die Miete erhöht und gebaut. Nun hat ein aktiv-kreativer Umgang der Kreuzberger mit gesellschaftlich wirtschaftlichen Gegebenheiten eine lange Tradition. Die Polit-Bewegung der 70er mündete fließend in die Hausbesetzer-Bewegung der 80er, die sich gegen spekulativ erzeugten Leerstand richtete, der Platz für schöne neue Betonbunker geschaffen hätte.

Paradoxerweise wird der Erfolg dieser Hausbesetzer-Bewegung dem Kiez jetzt zum Verhängnis. Das Blatt hat sich gewendet, trotz schlechter Bewertung in Kapital-Fachzeitschriften treten auf dem Kreuzberger Wohnungsmarkt vermehrt solvente Käufer auf, die schicke, szenenahe Altbau-Eigentumswohnungen zu horrenden Preisen erstehen. Aber keine Sorge, auch diese Käufer tragen ihr eigenes Paradoxon mit sich herum. Ist der Umzug ersteinmal überstanden, geht es an die Neustrukturierung des Wohnumfeldes. Wer zwischen zweihunderttausend und einer Million Euro für eine Eigentumswohnung hinblättert, toleriert keine Lärmbelästigung. Mit Hilfe des Ordnungsamtes wird genau die Szene, wegen deren Nähe der Preis gezahlt wurde, mundtot gemacht. Kiez und Kneipe berichtet seit geraumer Zeit über die einschlägigen Probleme der Wirte in dieser Hinsicht.

Trotz der aktuellen Maßnahmen zum Milieuschutz scheint der Raum für die lebendige Szene in Kreuzberg zu schwinden. Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen?

Die politischen Direktkandidaten fordern – je nach politischer Couleur – Veränderungen im Mechanismus der Vergleichsmieten (Wawzyniak), Mietpreisbindungen (Ströbele), Raumzuweisungen für Kulturschaffende (Böhning), flexiblere Handhabung amtlicher Auflagen (Löning) oder bedingungsloses Grundeinkommen (Lengsfeld). Ob irgendeine dieser Maßnahmen gegen einen Verdrängungswettbewerb wirkt, der über die Umwandlung in (oder »Schaffung von«) Eigentumswohnungen geführt wird, bleibt zu beobachten. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass überhaupt Schutzmaßnahmen durchgesetzt werden können.

Kultur und Szene werden von real existierenden, lebendigen Menschen gemacht. Falls die aktuellen Tendenzen anhalten, werden diese Menschen durch einen Typus verdrängt, der »Szene« als ein Produkt begreift, das man kaufen und konsumieren kann. Es bleibt die Frage, wie ein kreativer Umgang mit solchen Gegebenheiten aussehen könnte. Die ersten Flucht-Tendenzen nach Neukölln werden sichtbar – sollte sich die Geschichte dort wiederholen? Der gemeinschaftliche Kauf eines Bonner Stadtteils und anschließende Umwandlung à la Worpswede scheint wenig wahrscheinlich und es ist als Kreuzberger auch nicht einzusehen, weshalb man sich von seinem eigenen Publikum aus der Stadt jagen lassen sollte.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

Surfen beim Saufen

Cordelia Sommhammer hat ihr Notebook in die Kneipe mitgenommen

Printausgabe vergriffen? Macht ja nix, die KuK kann man auch auf dem Notebook lesen – dank WLAN auch in der Stammkneipe. Foto: rspPrintausgabe vergriffen? Macht ja nix, die KuK kann man auch auf dem Notebook lesen – dank WLAN auch in der Stammkneipe. Foto: rsp

Ein Alster, ein Notebook, ein Plätzchen im Biergarten – im Schatten eines Sonnenschirms – so arbeitet es sich doch gleich entspannter als am heimischen Schreibtisch oder im Büro. Und wenn dann auch noch die Möglichkeit besteht, mit dem Notebook im Internet zu surfen, Mails abzurufen und das eigene Blog zu aktualisieren, macht es erst richtig Spaß.

Mittlerweile gibt es in vielen Kreuzberger Cafés und Kneipen einen kostenlosen WLAN-Hotspot für die Gäste. Die Motive der Wirte sind unterschiedlich. »Ein paar Gäste haben gefragt«, erzählt Carsten vom »Kollo«. Seit vier Wochen bietet er jetzt das drahtlose Surfen an, ohne es allerdings in der Karte oder an der Tafel zu bewerben, denn er möchte nicht die Klientel anziehen, die sich an einem Tee zwei Stunden aufhält. Dragan vom »Bierkombinat« sieht im WLAN einen zeitgemäßen Ersatz für herkömmliche Medien. »Früher haben die Leute im Café die Zeitung gelesen, heute lesen sie auf dem Notebook Spiegel Online – ich mach‘ das selber gerne.«

Eine große Umsatzsteigerung bringt der neue Service nicht. »Ich hatte gehofft, das Nachmittagsgeschäft vor 18 Uhr zu beleben«, sagt Memis vom »Che«. Aber die paar Gäste, die nachmittags zusätzlich kommen, gehören eher zur Milchkaffeefraktion. Die anderen Wirte haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Aber es ist halt ein Service, der die Gäste erfreut und der heute einfach irgendwie dazugehört. Der eine oder andere jedoch hat sich bewusst gegen diesen Service entschieden. »Die Laptop-Fraktion hier drinnen, mit ihrem kleinen Mineralwasser, das nervt die Stammgäste«, meint Joachim vom Valentin. Hätte er einen Biergarten, würde er hingegen WLAN anbieten.

Wer heute in der Kneipe sein Notebook auspackt, ist kein Exot mehr. Die meisten in den letzten vier oder fünf Jahren gebauten Geräte bringen bereits alles mit, was zum mobilen Surfen benötigt wird, älteren Modellen kann mit einem USB-Stick für wenig Geld das Funken beigebracht werden. Das richtige Funknetz heißt in der Regel so wie der Laden zu dem es gehört, und das dazugehörige Passwort kann am Tresen erfragt werden. Die meisten Wirte ändern es aus Sicherheitsgründen in regelmäßigen Abständen, damit nicht die ganze Nachbarschaft dauerhaft mitversorgt wird. Weiteren technischen Support kann der internetaffine Gast in der Regel nicht erwarten – die meisten Wirte sind selbst keine großen Computerspezialisten, bei der Einrichtung des Internet-Zuganges und des WLANs haben in der Regel Freunde oder Verwandte geholfen.

Der Surfer im öffentlichen WLAN sollte sich dessen bewusst sein, dass alles, was er unverschlüsselt über das Internet übermittelt, potentiell von jedem anderen im Umkreis einiger Meter mitgelesen und mitgeschnitten werden könnte. Dies ist vor allem relevant bei der Eingabe von persönlichen Daten und Passwörtern oder PINs. Auf der sicheren Seite ist, wer seine Daten verschlüsselt überträgt – bei Webseiten ist die verschlüsselte Verbindung an dem »https:« in der URL (statt »http:«) und an dem Symbol eines geschlossenen Vorhängeschlosses zu erkennen, das sich bei Internet Explorer und Safari neben der Adresszeile und beim Firefox unten in der Statuszeile finden lässt. Online-Banking und ähnlich Sicherheitskritisches sollte man in fremden Netzen freilich bleiben lassen.

Zum Schluss noch ein Geheimtipp: In den meisten Kneipen gibt es irgendwo im Gastraum die eine oder andere Steckdose und für den, der nett am Tresen fragt, eventuell auch ein Verlängerungskabel. So kann auch bei leerem Akku noch ein weiterer Milchkaffee oder vielleicht auch das ein oder andere Bier bestellt werden.

WLAN im Kiez unter anderem im:

  • Anno64
  • Baghira
  • Bierkombinat
  • Brauhaus Südstern
  • Cantina Orange
  • Che
  • Heidelberger Krug
  • Kollo
  • Murray‘s Irish Pub
  • Wilhelmine
  • Yorckschlösschen

Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wird aber beständig aktualisiert. Ergänzungen nehmen wir gerne unter info [at] kiezundkneipe.de entgegen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2009.

Krach um die Brücke

Bürgerdiskussion um die Admiralbrücke erneut ergebnislos

Partymeile im Wohnviertel

Foto: rspPartymeile im Wohnviertel Foto: rsp

Dienstagabend, 22 Uhr. Rund 70 feierfreudige junge Menschen sitzen neben und zwischen den schmalen Fahrspuren, teils auf den hässlichen Waschbetonpollern, teils auf dem Boden. Sie haben gute Laune, und manche haben eine Gitarre oder Bongotrommeln dabei. Als sich ein Polizeiwagen zwischen den Füßen der am Straßenrand sitzenden durchschiebt, hört der junge Mann, der eben noch rhythmisch mit einem Löffel auf einer Metallschüssel und seinem Flaschenbier herumgetrommelt hat, instinktiv auf, bis die Streife weitergefahren ist. Vom anderen Ende der Brücke schallt von einer größeren Gruppe Gesang herüber. Nebenan führen ein paar Teenager eine angeregte Diskussion, deren Inhalt allerdings in der allgemeinen Geräuschkulisse untergeht.

Kaum einer von ihnen weiß, dass bis vor zwei Stunden noch heftig über sie diskutiert wurde. Denn an den Ufern des Landwehrkanals, die hier von der Admiralbrücke miteinander verbunden werden, wohnen Menschen, die lieber schlafen wollen, als akustisch an der allabendlichen Party teilzuhaben. An jenem Dienstag trafen sie sich erneut zur Bürgerdiskussionsrunde, zu der Baustadträtin Jutta Kalepky ins Rathaus geladen hatte.

Eigentlich sollte es dabei um zwei Alternativvorschläge für bauliche Veränderungen an der Brücke gehen. Wenn Autos und Fahrräder in großer Zahl die Brücke kreuzten, so das Kalkül, würde die Aufenthaltsqualität für feierwillige Fußgänger so weit sinken, dass die nächtlichen Ruhestörer sich einen anderen Treffpunkt suchen würden.

Doch schon zu Anfang der Diskussionsrunde ruderte Kalepky zurück. Einerseits ginge es ihr gar nicht darum, das jugendliche Partyvolk komplett zu vertreiben, andererseits sei zumindest der eine der Vorschläge aus Gründen der Statik vermutlich nicht durchführbar. Für echten Durchgangsverkehr ist die Brücke, die derzeit als Spielstraße ausgewiesen ist, nämlich nicht stabil genug.

Die meisten Anwohner haben ja auch gar nichts gegen das lustige Treiben auf der Brücke – solange es denn irgendwann endet. Doch um zehn Uhr abends geht es auf der Brücke erst richtig los. »Man merkt regelrecht, wie sich das Publikum am späteren Abend verändert«, sagt eine genervte Anwohnerin, »es kommen jüngere, lautere und betrunkenere Leute.« Denen scheint die Nachtruhe der Anwohner egal zu sein. Einige Nachbarn rufen drei Mal am Abend die Polizei, doch die sorgt immer nur kurzzeitig für Abhilfe und erklärt sich ansonsten für unzuständig, von sich aus tätig zu werden.

So wurden dann auch teils abenteuerliche Ideen in die Diskussion geworfen. »Wäre die Straße keine Spielstraße«, so ein Anwohner, »könnte die Polizei gegen die auf der Straße sitzenden vorgehen.« Auch über ein Alkoholverbot wie auf dem Alexanderplatz oder eine uhrzeitabhängige Spielstraßenregelung wurde diskutiert.

Für einigen Unmut sorgte dann allerdings die von einem SPD-Abgeordneten der BVV zutage geförderte Presseerklärung der Grünen, in der bauliche Veränderungen kategorisch ausgeschlossen werden. »Es ist verkehrspolitischer Quatsch, wenn man die Geräusche der Brückenbesucher durch Lärm von neuem Durchgangsverkehr ersetzt«, wird darin Kalepky zitiert. Pikant daran ist, dass die Presseerklärung vorgibt, das Ergebnis der Diskussionsrunde wiederzugeben, obwohl sie bereits im Vorfeld veröffentlicht wurde. Viele Anwohner stellen sich jetzt die Frage, ob ihre Anregungen zu alternativen Umbau- und Umgestaltungsmaßnahmen in der weiteren Planung überhaupt berücksichtigt werden. Sicher scheint aber, dass sich an der derzeitigen Situation in nächster Zeit nichts ändern wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2009.