Kreuzberg wehrt sich

Initiative gegen Initiative gegründet

Am 12. Februar titelte der Tagesspiegel: »Kreuzberger wollen Drogenabhängige vertreiben«. Dahinter verbirgt sich die Initiative einer Anwohnerin. Ihr missfällt eine Gruppe von Leuten, die sich täglich auf dem U-Bahnhof Gneisenaustraße trifft. Es handelt sich dabei um ehemalige Drogenabhängige, die in einem Methadonprogramm untergekommen sind. Die Ausgabestelle des Substituts ist in der Heimstraße. Es sind also Leidensgenossen, die sich dort treffen. Die Anwohnerin will, dass die Substituierten verschwinden. Sie verlangt auch die Schließung der Methadonausgabestelle. Unter anderem soll sie auch schon mit Flugblättern auf das Problem ausmerksam gemacht haben.

Unterdessen hat sich aber eine zweite Initiative gegründet, die eben nicht will, dass die Menschen von dort vertrieben wären. Die allerdings wären auch gerne woanders. Doch sie haben schlechterdings keine Möglichkeit, sich andernorts zu treffen. Die Initiative »Tolerantes Kreuzberg« will die Gruppe vom U-Bahnhof Gneisenaustraße nun unterstützen und erst Mal eine Vertreibung vom Bahnhof verhindert. In einem nächsten Schritt will sie mit allen beteiligten Lösungsmöglichkeiten für die verschiedenen Probleme erarbeiten. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage: Tolerantes Kreuzberg

Am Donnerstagabend wurde diese Initiative offiziell aus der Taufe gehoben. Tags darauf kommt dann auch schon die erste Pressemitteilung heraus:

Initiative wirbt für Tolerantes Kreuzberg
Über 100 Unterstützer stärken der Gruppe vom U-Bahnhof Gneisenaustraße den Rücken
»Tolerantes Kreuzberg«, diesen Namen hat sich eine neue Bürgerinitiative in Kreuzberg gegeben. Auslöser für die Gründung der Initiative waren Berichte über eine andere Initiative, die versucht, 15 bis 20 Methadon-Patienten, die sich tagsüber am U-Bahnhof Gneisenaustraße treffen, von dort zu vertreiben. Erstmals traf sich die Initiative »Tolerantes Kreuzberg« am Donnerstagabend im »Backbord« in der Gneisenaustraße. Mit dabei waren auch zwei der Betroffenen, die die Situation am U-Bahnhof aus ihrer Sicht schilderten. Dabei stellte sich heraus, dass die Gruppe sich nur deshalb dort trifft, weil sie sonst keine gar keine andere Möglichkeit habe.
Gemeinsam wollen nun die Initiative und die Gruppe vom U-Bahnhof Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Eine der ersten Maßnahmen der Initiative »Tolerantes Kreuzberg« wird eine Einladung zu einem Gespräch sein, die an den Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler geht und an die Initiative, die die Gruppe vom U-Bahnhof entfernen will. Der Verein Kiez-Community will dafür Räume in House of Life zur Verfügung stellen. Nach Vorstellung der Initiative »Tolerantes Kreuzberg« soll dieses Gespräch in der zweiten Märzwoche stattfinden.
Die Resonanz auf die Initiative im Kiez rund um den U-Bahnhof ist groß. In weniger als 48 Stunden hatten bei einer schnell improvisierten Unterschriftenaktion sich 100 Menschen solidarisch erklärt. »Vertreibung aus unserem Kiez geht gar nicht«, war dabei einer der Sätze, die die Unterschriftensammler am häufigsten zu hören bekamen. Auch die Nachbarschaftsvereine Kiezcommunity und mog61 sagten der neuen Initiative jegliche Unterstützung zu.

Bitte beachten Sie die Gegendarstellung zu diesem Artikel.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2017.

Schwamm drin oder Schwamm drüber?

Erste Ergebnisse der Initiative »Gedenkort Fontanepromenade 15«

Dringend sanierungsbedürftig: Die marode Dachkonstruktion der Fontanepromenade 15. Foto: kappaDringend sanierungsbedürftig: Die marode Dachkonstruktion der Fontanepromenade 15. Foto: kappa

In der Fontanepromenade 15 weist nur eine Stele auf die »Zentrale Dienststelle für Juden« hin, die dort ab November 1938 Juden zu Zwangsarbeitseinsätzen vermittelte. Nachdem bekannt wurde, dass das Gebäude im vergangenen Jahr an einen Investor verkauft wurde, beklagte die Stadt­teil­ini­tia­tive »Wem gehört Kreuzberg«, dass »ein solcher Geschichtsort der Immobilienspekulation geopfert wird und nicht als Gedenkort/Museum zur jüdischen Zwangsarbeit und zum Holocaust öffentlich genutzt wird« (vgl. KuK 01/2017).

Mittlerweile lud der Kultursenat zu einem ersten Sondierungsgespräch zum Gedenkort Fontanepromenade 15 ein, die BVV befasste sich in ihrer konstituierenden Sitzung damit, und das Bezirksamt stellte in Aussicht, Stellung zu nehmen und bot zwischenzeitlich zwei Gesprächstermine an, die zum Treffen mit den Akteuren, die einen sofortigem Baustopp forderten, Anfang Februar führte.

Die Initiative »Ge­denk­ort Fontanepromenade 15« (G.I. F15) hat sich am 18. Januar im Nachbarschaftshaus Urbanstraße (NHU) mit den neuen Eigentümern der Immobilie getroffen. André Schmitz-Schwarzkopf, stellvertretener Vorsitzender der Inge-Deutschkron-Stiftung und Teil der Ini, moderierte die Sitzung. In einem Artikel in der Lokalausgabe der TAZ Bremen vom 15.1. hatte der Bremer Investor und Architekt Marc Brune in Aussicht gestellt, einen Teil des Gebäudes als Gedenkort zu nutzen und dafür zu einem ortsüblichen Mietzins zu vermieten. Vor Weihnachten hatte die Ini ihn in einem Brief um einen Gesprächstermin gebeten.

Im Gespräch gewann die G.I. F15 einhellig den Eindruck, dass Marc Brune und Partnerin ein Glücksfall für den Erwerb des Hauses sind. Er und sein fachkompetentes Team legten dar, dass das Haus »maximal noch 4 bis 5 Jahre durchgehalten hätte«.

Eine Einladung auf die um die Ecke liegende Baustelle wurde ausgesprochen. Die mündlichen Schilderungen wurden praktisch erfahrbar: Schwamm-durchsetzte Balken lagen da herum, die marode Dachkonstruktion war auch für den Laien sichtbar. Der aktuelle Stand der Sanierung wurde vom Polier erläutert. Die Inaugenscheinnahme überzeugte.

Straßenland soll in das Gedenkkonzept mit einfließen

Die »Schikanepromeande« als Baudenkmal gerettet, der Investor offen für Nutzung für inhaltliche Konzepte bei Kostenbeteiligung der öffentlichen Hand – es ist ein positives bürgerschaftliches Engagement.

Ein weiteres Gespräch mit dem NHU fand statt, bei dem über inhaltliche Veranstaltungen nachgedacht wurde und die Einbeziehung der Anwohner des »Sozialraumes« in die konzeptionellen Überlegungen des Gedenkortes. Im Gespräch bestand Übereinstimmung, dass der Gedenkort nicht nur den Rest des physischen Ortes, des »jüdischen Arbeitsamtes« mit dem aktuellen Angebot des Investors der Bereitstellung eines »musealen Raumes« umfassen sollte, sondern dass das Straßenland mit Promenade in die Gedenkortkonzeption miteinfließen sollte, um einen Spannungsbogen zum politischen Heute zu spannen.

Das erste Markierungszeichen an dem Ort, die Schrifttafel von 2013, die im Rahmen des Themenjahres »Zerstörte Vielfalt« eingeweiht worden war, war eine erste öffentliche Würdigung, die von der Abteilung Gemeinwesenarbeit des NHU begleitet wurde.

Aus diesen Arbeitszusammenhängen konnte als weiteres Mitglied der G.I.F 15, die Synagogengemeinde Fraenkelufer gewonnen werden, vertreten durch ein Gemeindemitglied, das auch Historiker ist.

Die überbezirkliche Initiative »Gedenkort Fontanepromenade 15« ist in ihrer inhaltlichen Kompetenz gut aufgestellt.

Beim ersten Gespräch am 25. Januar bei der Senatskulturverwaltung wurden die Grenzen der »strukturellen Gewaltenteilung« dargelegt und die Vertreter der Ini, die aus Zeitzeugen, geschichts- und erinnerungspolitisch Erfahrenen, sowie Kunstschaffenden und sich um das historische Berlin Kümmernden, besteht, gebündelt. Die historische Expertise ist mitversammelt, wie die von Wolf Gruner, der 1997 das Grundlagenwerk zum »Geschlossenen Arbeitseinsatz der Juden« verfasste – erst ein Jahr nach der Initiierung des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus durch den kürzlich verstorbenen Bundespräsidenten Roman Herzog, der zu einem würdigen Gedenken aufrief. »Die allmähliche Eskalation der Gemeinheit fand öffentlich statt«, sagte Herzog damals, »und konnte in den Gesetzblättern nachgelesen werden.« (Komplette Rede)

Vereinbart wurde, ein Konzept zu erarbeiten, wofür sich die berlinweite Ini Anfang Februar in Klausur begibt. Mit ihrem Ergebnis wird sie wieder an den Kultursenat herantreten.

Bezirk und Senat haben sich bisher noch nicht öffentlich zu den Forderungen der Initiative geäußert und auch den offenen Brief von Inge Deutschkron unbeantwortet gelassen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2017.

Wenig Spannung im Titelkampf

Für kleinere Parteien sind Überraschungen bei der BVV-Wahl möglich

In vielen Teilen Deutschlands ist eine Kommunalwahl ein mühsames Geschäft. In Städten wie etwa Stuttgart kämpfen sich die Wähler durch wandtapetengroße Stimmzettel. Zudem wird von ihnen verlangt, sich mit Wahltechniken herumzuschlagen, die auf so schöne Namen wie Kumulieren, Panaschieren oder Unechte Teilortswahl hören. Das alles klingt mehr nach Kamasutra als nach demokratischem Urnengang.

In Berlin ist es dagegen denkbar einfach. Es gibt einen Stimmzettel und ein Kreuzchen für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung. Die 55 Sitze im Rathaus in der Yorckstraße werden dann proportional verteilt.

Klare Verhältnisse

Die Verhältnisse in der derzeitigen BVV ist sehr eindeutig. Bei momentan nur 51 Mitgliedern sind die Grünen mit ihren 22 Sitzen schon sehr nah an der absoluten Mehrheit. Dass nicht die volle Zahl der Bezirksverordneten ins Kommunalparlament einzog, lag einfach daran, dass die Piraten nach ihrem Überraschungserfolg nicht über genügend Kandidaten verfügten, um alle Sitze zu besetzen. Ihnen hätten neun zugestanden. Vier blieben frei.

Alle buhlten damals um die Gunst der Politikneulinge – und das hatte nicht nur mit Welpenschutz zu tun. Rein theoretisch hätten SPD, Linke und Piraten eine Zählgemeinschaft gegen die Grünen bilden können. Doch am Ende blieb es bei einer klassischen Rollenverteilung, die den Grünen im Bezirksamt drei von fünf Stadtratsposten bescherte.

Dass die Piraten ihren Überraschungserfolg von 2011 noch einmal wiederholen, ist sehr unwahrscheinlich. Auch die kleine Fraktion blieb nicht vom Zerfall der Gesamtpartei verschont. Statt fünf hat sie heute nur noch vier Mitglieder. Eine Bezirksverordnete verließ die Fraktion.

Das Erbe der Piraten

Es geht also bei der BVV-Wahl vermutlich um die Hinterlassenschaft der Piraten, das heißt um bis zu neun Sitze, die sich nun andere Parteien erobern können – mal ganz abgesehen von den üblichen Verschiebungen, die so eine Wahl sonst mit sich bringt. Doch ganz abschreiben kann man die Piraten auch nicht, denn um in die BVV zu gelangen, benötigen sie nur drei Prozent. Das ist etwa der Wert, den Demoskopen den Piraten berlinweit derzeit einräumen. Rechnet man den Kreuzberg-Bonus dazu – nirgendwo haben die Piraten vor fünf Jahren besser abgeschnitten – dann könnte es durchaus noch reichen.

Wer überrascht?

Monika Herrmann bleibt wohl im Amt.

Foto: Sedat Mehder Monika Herrmann bleibt wohl im Amt. Foto: Sedat Mehder

Allerdings ist es ja nicht ausgeschlossen, dass eine andere Partei ebenfalls einen solchen Überraschungscoup landen könnte, und da geht der bange Blick automatisch auf die AfD. Eigentlich scheint es ausgeschlossen, dass eine so rechte Partei in Friedrichshain-Kreuzberg reüssieren könnte, denn in ganz Berlin gibt es keine linkere BVV. Wenn man die Piraten zum linken Block zählt, blieben dem rechts-bürgerlichen Lager gerade mal vier Verordnete der CDU.

Nun haben die letzten Landtagswahlen gezeigt, dass die AfD bei allen Parteien wildern konnte. In den ostdeutschen Bundesländern wurde dabei aber ausgerechnet die Linke schwer gerupft.

Es ist also überhaupt nicht auszuschließen, dass die AfD mit einigen Bezirksverordneten in die BVV einzieht. Bei einem so meinungsfreudigen Parlament, das häufig große Zuschauermassen anzieht, dürfte das für noch wesentlich turbulentere Sitzungstage sorgen.

Bleibt das Bezirksamt?

Peter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim GernPeter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim Gern

Die wichtigste Aufgabe zu Beginn der neuen Legislatur wird die Wahl eines neuen Bezirksamtes sein. Derzeit stellen die Grünen mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Baustadtrat Hans Panhoff und Kämmerin Jana Borkamp drei der fünf Posten. Dr. Peter Beckers (SPD), zuständig für Wirtschaft, und der Linke Knut Mildner-Spindler (Soziales), vervollständigen das Gremium.

Da die beiden letzteren als Spitzenkandidaten für ihre jeweilige Partei ins Rennen gehen und bei den Grünen wenig auf ein Abweichen von der bisherigen Rollenverteilung hindeutet, könnte das alte Bezirksamt wieder das neue sein.

Es gibt jedoch ein paar Unwägbarkeiten. Da ist zunächst die Bezirksbürgermeisterin. Monika Herrmann gilt als streitbar und hat vor allem in der Auseinandersetzung mit Innensenator Frank Henkel sehr an Profil gewonnen. Vor allem dem bürgerlichen Lager gilt sie als der Fleisch gewordene Gott­sei­mit­uns. Das hilft ihr in Kreuzberg ungemein und auch die eine oder andere innerparteiliche Auseinandersetzung ist inzwischen längst vergessen. Paradoxerweise könnte Frank Henkels unsägliches Verhalten in Sachen Rigaer Straße den Grünen am 18. September ein Rekordergebnis bescheren. Der eine oder andere Grüne träumt bereits von einer absoluten Mehrheit im Kreuzberger Rathaus.

Allerdings bröckelt auch die Grüne Wählerbasis in Kreuzberg. Immer wieder bläst der Fraktion von den Zuschauerrängen im Rathaus ein rauher Wind entgegen. Von alternativem Durchregieren und mangelnder Kompromissbereitschaft im Angesicht der eigenen Stärke ist da die Rede.

Die SPD als zweit­stärks­te Fraktion ist in der BVV nur halb so stark wie die Grünen. Dass der stellvertretende Bezirksbürgermeister Peter Beckers den Chefposten erobern könnte, gilt als nahzu ausgeschlossen. Für ihn wird es ein Erfolg sein, den großen Abstand zu den Grünen zu verringern.

Linke muss kämpfen

Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.

Während sich die beiden größeren Parteien kein ernsthaftes Duell liefern, sondern bestenfalls die eigene Position etwas verbessern oder verschlechtern werden, stehen die Linken vor einer sehr schweren Wahl. Schon vor fünf Jahren war die Partei auf Rang vier abgeruscht. Dabei stellte sie – damals noch als PDS – vor nicht allzu langer Zeit sogar noch die Bezirkbürgermeisterin. Ihre Verluste in Friedrichshain hat sie in Kreuzberg nicht kompensieren können. Allerdings hat sie bei Bundestagswahlen immer gut abgeschnitten – davon könnte sie auch jetzt profitieren. Mehr als sieben Sitze wären schon ein Erfolg. Doch wenn sich der Trend fortsetzt, wird sie im schlimmsten Fall vielleicht den einen oder anderen Sitz an die AfD verlieren.

Splitterpartei CDU

Bleibt noch die CDU, die schon vor vier Jahren denkbar schlecht abgeschnitten hat. Nirgendwo werden die Henkelschen Eskapaden eine so starke Auswirkung haben wie in Kreuzberg. Sein Versagen am Gör­litzer Park, die Tatenlosigkeit am Kotti und die Tricksereien in der Rigaer Straße dürften die CDU eher Stimmen kosten, zumal die feurigsten Law-and-Order-Anhänger es dieses Mal eher mit der AfD versuchen werden.

Am Ende wird es bei der BVV-Wahl wohl eher wie in der Fußball-Bundesliga zugehen. Wie es oben ausgeht, scheint klar, aber unten wird es spannend.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Wahlkreise wurden geschrumpft

Grüne schielen in Kreuzberg auf alle Direktmandate bei der Abgeordnetenwahl

Die wichtigste Neuerung bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus betrifft die Wahlkreise. Gab es bisher drei für Friedrichshain und drei für Kreuzberg, gibt es nun mehr fünf. Den spreeübergreifenden Wahlkreis 2 teilen sich nun beide Teilbezirke und er reicht von der Stralau in Friedrichshain bis zum Kotti im Herzen Kreuzbergs. Ein kleines Stück des nördlichen Graefekiezes ist ebenfalls noch dem Wahlreis 2 zugeschlagen worden. Im Süden Kreuzbergs liegt der Wahlkreis 1, der vom Chamissoplatz bis in den Graefekiez reicht. Aus dem massiven Block ist ein fast quadratisches Stück herausgeschnitten und dem Wahlkreis 3 zugeschlagen worden. Es wird von Gneisenau-, Zossener, Baerwald- und Johanniterstraße begrenzt.

In Friedridrichshain-Kreuzberg treten SPD, CDU, FDP, ÖPD, Bergpartei und die Violetten mit Bezirkslisten an, alle anderen Parteien gehen mit Landeslisten ins Rennen. Favorit sind, wie bereits bei den letzten Wahlen, die Grünen. Sie eroberten vor fünf Jahren fünf von sechs Wahlkreisen.

Grüne

Die Direktkandidaten der Grünen: Katrin Schmidberger (WK1), Marianne Burkert-Eulitz (WK2) und Dr. Turgut Altug (WK3).

Fotos: Grüne / Erik MarquardDie Direktkandidaten der Grünen: Katrin Schmidberger (WK1), Marianne
Burkert-Eulitz (WK2) und Dr. Turgut
Altug (WK3). Fotos: Grüne / Erik Marquard

Der »Tagesspiegel« titelte: »Grüner wird’s wirklich nicht«. In der Tat scheint der neue Zuschnitt der Wahlkreise die Grünen nicht gerade zu benachteiligen. Es hat sich allerdings einiges getan. Mit Heidi Kosche und Dirk Behrendt, die nicht mehr antreten, verlieren die Grünen in Kreuzberg zwei echte Zugpferde. Behrendt hatte für die Grünen sogar das beste Ergebnis überhaupt eingefahren.

Trotzdem, diejenigen Kandidaten, die in Kreuzberg diekt antreten, sollten auch alle das Duell gegen die Mitbewerber gewinnen.

Dr. Turgut Altug (WK3), Katrin Schmidberger (WK1) und Marianne Burkert-Eulitz (WK2) sitzen alle bereits im Abgeordnetenhaus und würden auch gerne in der nächsten Legislatur dabei sein. Abgesichert über die Landesliste ist hier keiner. Es sollte trotzdem reichen.

SPD

Die Direktkandidaten der SPD: Börn Eggert (WK1), Sven Heinemann (WK2) und Sevim Aydin (WK3).

Fotos: SPD Berlin/Joachim GernDie Direktkandidaten der SPD: Börn Eggert (WK1), Sven Heinemann (WK2) und Sevim Aydin (WK3). Fotos: SPD Berlin/Joachim Gern

Die SPD ist in ihrer einstigen Hochburg inzwischen klar und ungefährdet die Nummer zwei. Björn Eggert kandidiert für den Wahlkreis 1 und dürfte es hier sehr schwer haben, sich gegen Katrin Schmidberger durchzusetzen, ihm bleibt die Hoffnung auf die Bezirksliste. Das gilt auch für Sevim Aydin, die im Wahlkreis 3 antritt. Sven Heinemann kandidiert im neugebildeten Wahlkreis 2.

Auch für ihn wird es nicht leicht. Immerhin hat die SPD in Friedrichshain vor vier Jahren ein Direktmandat gewonnen, dass sich Susanne Kitschun auch diesmal wieder holen möchte.

Linke

Direktkandidaten der Linken: Gaby Gottwald (WK1), Pascal Meisner (WK2) und Jiyan Durgun (WK3).

Fotos: Linke BerlinDirektkandidaten der Linken: Gaby Gottwald (WK1), Pascal Meisner (WK2) und Jiyan Durgun (WK3). Fotos: Linke Berlin

Für die Linke ist es klar, dass sie ihre Position als dritte Kraft verteidigen will, und sie stützt sich dabei natürlich auch auf ihre traditionelle Stärke in Friedrichshain. Doch auch in Kreuzberg sind die Linken längst angekommen und profitieren vor allem von zwei Dingen: Einerseits betreibt die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak ein sehr engagiertes Bürgerbüro am Mehringplatz, andererseits verfügt sie mit Knut Mildner-Spindler auf kommunaler Ebene über einen rührigen Bezirksstadtrat. Trotzdem wird es für das Trio um den Kreisvorsitzenden Pascal Meisner, der selbst im Wahlkreis 2 antritt, sehr schwer werden. Er und Jiyan Durgun (WK3) müssten schon direkt durchkommen. Gaby Gottwald muss auf Platz 25 der Landesliste schon auf ein sehr gutes Abschneiden der eigenen Partei hoffen, um ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.

Piraten

Es war leider ein recht kurzes Intermezzo, das die Piraten im Preußischen Landtag gegeben haben. Immerhin sorgten sie dort für viel Unterhaltung – und mit dem Vorsitz im BER-Untersuchungsausschuss prägten sie auch die Legislatur entscheidend mit. Der bekannteste Bezirkspirat ist Fabio Reinhard, der im Wahlkreis 3 antritt.

Rest-Pirat: Fabio Reinhardt wird der Einzug ins Abgeordnetenhaus kaum wieder gelingen. Als Trostpreis winkt aber die BVV. Foto: B. StadlerRest-Pirat: Fabio Reinhardt wird der Einzug ins Abgeordnetenhaus kaum wieder gelingen. Als Trostpreis winkt aber die BVV. Foto: B. Stadler
Der Ewige Wansner Kurt Wansner wird als CDU-Minderheitenvertreter für Kreuzberg wohl wieder ins Abgeordnetenhaus kommen. Foto: pskDer Ewige Wansner
Kurt Wansner wird als CDU-Minderheitenvertreter für Kreuzberg wohl wieder ins Abgeordnetenhaus kommen. Foto: psk

CDU

Dass die Kreuzberger Christdemokraten eher eine Splitterpartei im Bezirk darstellen, wissen sie selbst am besten. Trotzdem hat es für den ewigen Kurt Wansner über die Liste ins Abgeordnetenhaus gereicht. Er führt die Bezirksliste an, und so sollte der streitbare Handwerksmeister, der angeblich schon selbst die Kanzlerin zur Weißglut getrieben hat, seinen Platz in der letzten Bankreihe der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus verteidigen zu können.

FDP

Vielleicht sorgt ja die FDP für eine Überraschung. Landesweit kämpft sie derzeit um die Fünf-Prozent-Hürde. Sollte sie die überschreiten, dann ist ein FDP-Abgeordneter für Friedrichshain-Kreuzberg nicht wahrscheinlich, aber denkbar.

AfD

Ganz undenkbar scheint vielen im multikulturellen und weltoffenen Kreuzberg, dass ein AfD-Abgeordneter den Bezirk verteten könnte. Ausgeschlossen ist das nicht. Die Stimmen kämen dann auch nicht, wie man sich zwischen Kotti und PladeLü dann gerne einreden würde, nur aus Friedrichshain. Auch in Kreuzberg gibt es Ecken, wo man die AfD gar nicht so schrecklich findet. Wer mal ein wenig in die Luisenvorstadt zwischen Linden- und Alexandrinenstraße reinhört, wird da Erstaunliches vernehmen.

Und der Rest …

Bunt ist die Mischung wie immer bei Wahlen in Friedrichshain-Kreuzberg, wenngleich der Exoten weniger sind. Für die Bergpartei geht zum Beispiel der gelernte Grabredner Jan Theiler ins Rennen, der als Beruf Clown angibt. Zudem treten im Wahlkreis 3 auch noch zwei Einzelkandidaten an.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

CDU blockiert Flüchtlingsunterkunft

Flüchtlingsfamlien müssen nach Hohenschönhausen / GHS steht weiter leer

Zankapfel GHS: Im Nordflügel der Ex-Schule befindet sich seit Januar eine fertige Unterkunft für 100 Personen.

Foto: rspZankapfel GHS: Im Nordflügel der Ex-Schule befindet sich seit Januar eine fertige Unterkunft für 100 Personen. Foto: rsp

Rund 160 Flüchtlinge, die bisher in Notunterkünften in Kreuzberg untergekommen waren, müssen jetzt den Kiez verlassen, da die Turnhallen der Hector-Peterson-Schule am Tempelhofer Ufer und der Bür­ger­meis­ter-Herz-Grundschule in der Geibelstraße »freigezogen« werden sollen. Gut 100 von ihnen – alles Familien mit Kindern – hätten eigentlich in den Nordflügel der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule (GHS) umziehen sollen, die bereits seit Anfang des Jahres bezugsfertig ist. Doch unter Federführung der CDU wurde eine Entscheidung über die Unterkunft in der GHS jetzt vom Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses auf September vertagt. Den Familien steht nun ein Umzug nach Hohenschönhausen bevor, die übrigen Personen sollen berlinweit verteilt werden, unter anderem in die Hangars des Flughafens Tempelhof.

Bei »Kreuzberg hilft« hält man den Auszug aus den provisorischen Notunterkünften zwar grundsätzlich für einen dringend notwendigen Schritt, ist aber besorgt über die Art und Weise, wie die Betroffenen informiert werden. »Die Menschen brechen in eine ungewisse Zukunft auf. Das schafft Raum für Spekulationen und schürt natürlich Ängste«, so die Initiative. Zudem sei unklar, ob in Hohenschönhausen überhaupt ausreichend Kita- und Schulplätze zur Verfügung stünden.

»Planungen ignorieren Sozialraumbezüge«

Kritik erntet das Vorhaben des Lageso auch beim Nachbarschaftshaus Urbanstraße (NHU), wo man sich seit Monaten mit engagierten Mitarbeitern und Freiwilligen um eine »Beheimatung« der Geflüchteten im Stadtteil bemüht. Die Planungen ignorierten soeben erst entwickelte Sozialraumbezüge, beklagt der Verein in einem offenen Brief. »Es bestürzt uns, dass Menschen mit traumatisierenden Erfahrungen der Entwurzelung nun erneut aus persönlichen Beziehungen in einer engagierten Nachbarschaft herausgerissen werden sollen.«

Adressat des NHU-Briefes ist neben Lageso-Leiter Muschter, dem Regierenden Bürgermeister Müller und dem zuständigen Staatssekretär Glietsch auch Mario Czaja (CDU), der als Sozialsenator für die Flüchtlingsunterbringung zuständig ist. Noch vor einem Monat hatte Czaja erklärt, dass bei der bevorstehenden Räumung der Turnhallen soziale Aspekte berücksichtigt und Familien mit Kindern im Kiez bleiben würden, damit Schule und Kita nicht gewechselt werden müssten. Mit der Entscheidung, die Eröffnung der Unterkunft in der GHS weiter auf die lange Bank zu schieben, düpiert die CDU so auch ihren eigenen Senator, der sich zusammen mit dem Bezirk um eine rasche Belegung der GHS bemüht hatte.

Kommentar: Wahlkampf auf Flüchtlingskosten?

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2016.

Wahlkampf auf Flüchtlingskosten?

Man muss kein ausgeprägter Verschwörungstheoretiker sein, um in der Blockadehaltung der CDU ein Wahlkampfmanöver zu wittern. Die Aussicht auf Erfolgsmeldungen in Zusammenhang mit der Gerhart-Hauptmann-Schule scheint so unerträglich zu sein, dass man bei den Christdemokraten mit Mario Czaja auch mal einen eigenen Mann zum Prügelknaben macht – nur um dem grün regierten Bezirk eins auszuwischen. Die Verlierer dabei sind wie immer die Schwächs­ten der Gesellschaft: Flüchtlingsfamilien, die jetzt wie Stückgut an den Stadtrand verfrachtet werden.

Dass die Turnhallen keine Dauerlösung sind – darüber sind sich alle einig. Aber insbesondere Familien aus ihrem neuen sozialen Umfeld zu reißen, obwohl es eine fertig eingerichtete Alternative gäbe, ist unterste Schublade – und könnte im flüchtlingsaffinen Kreuzberg bei der Wahl bös’ nach hinten losgehen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2016.

Die Qualen vor den Wahlen

Probleme mit den Wählerregistern noch immer nicht gelöst / Bezirk sieht sich gerüstet

Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler sah das Unheil schon im Mai kommen. Da wurde schon mal die Berlin-Wahl simuliert. »Die Erfahrungen stimmen mich nicht optimistisch«, lautete sein höflich umschriebenes Fazit.

Um so größer war seine Überraschung, wie das Landeswahlamt die Trockenübung bewertete. In den Wahlämtern der Bezirke waren alle schockiert. Als dann der Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach so langsam klar wurde, dass eben noch nichts klar war, schlug sie Alarm. Und so war Anfang Juni überall zu lesen und zu hören, dass der Termin der Berlin-Wahl am 18. September zur Disposition stehe.

Nun lappte die ganze Geschichte ins Kuriose. Die Bezirksämter, die ursprünglich Alarm geschlagen hatten, sollten an der ganzen Misere schuld sein. So sah es zumindest Innenstaatssekretär Bernd Krömer. Er warf einigen Bezirken vor, sie hätten veraltete Hardware, und die hätte die Pannen verursacht. Insbesondere nannte Krömer veraltete Drucker in Reinickendorf und Treptow-Köpenick.

Es braucht nicht viel technischen Sachverstand, um zu erkennen, dass Krömer den Bezirken auf einigermaßen dämliche Art und Weise den Schwarzen Peter zugeschoben hatte.

Tatsächlich scheint es unwahrscheinlich, dass es sich um ein Hardwareproblem handelt. Doch auch die Software scheint nicht das Problem zu sein. Tatsächlich ist es so, dass der zentrale Server und die Rechner in den Bezirken sehr langsam miteinander interagieren. Mildner-Spindler berichtet, dass es manchmal zwei Minuten dauere, bis sich die Seite eines Datensatzes aufgebaut habe. Er vermutet eine Art »Flaschenhals« auf dem Datenweg, denn das Phänomen trete auch auf, wenn der zentrale Server gar nicht ausgelastet sei. Der Stau an diesem Flaschenhals führe nun auch dazu, dass manche Anfragen einfach abgebrochen würden – mit der Konsequenz, dass es dann zu fehlerhaften Daten etwa im Wählerregister komme.

Die Berichterstattung über die Schwierigkeiten mit den Wahlämtern hat auch an anderen Stellen zu einer gewissen Konfusion geführt. Konkret geht es um die Initiative »Fraenkelufer retten«, die am 5. Juli die Unterschriften für ihr Bürgerbegehren abgeben will. Hier fürchtete man, dass das Bürgerbegehren deshalb scheitern könnte, weil der notwendige Adressabgleich wegen der Schwierigkeiten mit dem zentralen Server nicht möglich sei. Doch da gibt Bezirksstadtrat Mildner-Spindler Entwarnung. Das werde sicher nicht passieren.

Der Bezirk, der übrigens hardwaretechnisch auf den neusten Stand ist, will den Problemen jedensfalls mit mehr Personal zur Wahl begegnen, und dann werde in Schichten gearbeitet.

Ob die Probleme allerdings bis zum Wahltag wirklich gelöst werden können, weiß Mildner-Spindler nicht. Und einen Plan B gebe es nicht.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2016.

Der Spielplatz bleibt – die Kritik auch

Lebhafte Infoveranstaltung zum geplanten Bauprojekt in der Blücherstraße

Das Problem ist dasselbe wie vor einem Jahr. Plätze für Therapieeinrichtungen werden mit steigendem Wachstum der Stadt rarer und rarer. Die Mietpreiserhöhungen führen laut Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler (DIE LINKE) immer häufiger dazu, dass Plätze in sozialen Einrichtungen wegfallen. Um dem entgegenzuwirken, planen die sozialen Träger »Jugendwohnen im Kiez« und »Vita e.V.« ein Gebäudeensemble in der Schleiermacher- und Blücherstaße, um den nötigen Wohnraum selbst zu schaffen.

Doch als vor knapp einem Jahr in der Heilig-Kreuz-Kirche zum ersten Infoabend über das Bauvorhaben geladen wurde, forderten die späteren Mitglieder der Nachbarschaftsinitiative »NizKe« den Erhalt des örtlichen Spielplatzes. Dieser sollte nach den ursprünglichen Plänen der sozialen Einrichtungen rund 50 Meter verschoben werden.

Nach mehreren Gesprächen der Initiative mit Baustadtrat Hans Panhoff wurden die Pläne geändert und Ende Mai auf der zweiten öffentlichen Informationsveranstaltung vorgestellt. Dazu hatten Baustadtrat Hans Panhoff sowie die Bauherren Gunter Fleischmann und Roland Schirmer in die Aula des Leibniz-Gymnasiums eingeladen.

Die Kritik an dem Bauvorhaben hatte sich jedoch inzwischen weiterentwickelt. Während die Bürgerinitiative »NizKe« ihre Ziele erreichte, bildete sich eine weitere Nachbarschaftsinitiative. Die Gegner des Bauvorhabens kritisierten mangelnde Transparenz während des Planungs- und Genehmigungsprozesses. Das Ziel sei eine rechtskonforme, baum- und klimafreundliche sowie kiezangemessene Bebauung, erklärte die Sprecherin der Initiative, Claudia Bartholomeyczik. Zusätzlich forderte die »Initiative für den Kiezerhalt« eine Aufstellung eines Bebauungsplanes zur Prüfung aller relevanten Belange. In diesem Zusammenhang berief sie sich auf einen BVV-Beschluss aus dem Februar 2016, der das Bezirksamt beauftragt, die Planungen zu überdenken und eine Bürgerbeteiligung einzurichten.

Die urspüngliche Planung (links) sah eine Verlegung des Spielplatzes in den Innenbereich vor. Nach Einwänden der Anwohner soll der Spielplatz (rechts) nun an seinem bisherigen Platz bleiben. Lediglich  seine Spitze wird ein wenig gekappt, dafür wird er etwas breiter.

Foto: pskDie urspüngliche Planung (links) sah eine Verlegung des Spielplatzes in den Innenbereich vor. Nach Einwänden der Anwohner soll der Spielplatz (rechts) nun an seinem bisherigen Platz bleiben. Lediglich seine Spitze wird ein wenig gekappt, dafür wird er etwas breiter. Foto: psk

Den Wünschen der Bürgerschaft sei man nachgegangen, entgegnete Baustadtrat Hans Panhoff. Er plädierte nach Rücksprache mit dem Baukollegium für angemessene städtebauliche Formen und »günstigere Verteilung der Baukörper und Baumassen«. Dieser Prozess sei zwar nicht ganz konfliktfrei gewesen, jedoch sei man sich darüber einig, dass sich die Überarbeitung gelohnt habe.

Die neuen Pläne berücksichtigen nun den Erhalt des Spielplatzes sowie des davor liegenden »kleinen Stadtplatzes«, wie Panhoff den verbreiterten Gehweg mit seinen Parkbänken bezeichnete. Zusätzlich wurde die Höhe der geplanten Gebäude auf maximal 18 Meter begrenzt. Dies entspricht in etwa vier Altbau-Stockwerken.

Einen Bebauungsplan soll es jedoch nicht geben. Eine informelle Bürgerbeteiligung wäre nach Aussagen Panhoffs durch die Infoveranstaltung gewährleistet. Weiterhin sollten dieser und zukünftige Info­abende genutzt werden, um Wünsche zu Änderungen an dem Bauvorhaben zu äußern.

Im Anschluss an die offiziellen Satements entspann sich eine lebhafte Diskussion über das Für und Wider des Bauprojektes. Die Gegner des Projekts konzentrierten sich dabei in erster Linie auf Anwürfe gegen die Bauverwaltung. Jedoch legte sich im Verlauf des Abends zunehmend die Kritik an dem sozialen Bauvorhaben. Ganz verstummt ist sie indes nicht. Und nachdem Hans Panhoff schon weitere Informationsveranstaltungen zu diesem Thema angekündigt hat, dürfte es noch den ein oder anderen turbulenten Abend geben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2016.

Kühler Karneval-Neustart

Fehlende Klos lassen Besucher verzweifeln

In nahezu letzter Minute war im vergangenen Jahr der Karneval der Kulturen vor dem Aus gerettet worden. So war 2015 die Handschrift des neuen Veranstalters noch nicht erkennbar. 2016 sollte nun den wirklichen Neuanfang markieren.

Musikalischer und grüner sollte vor allem das Straßenfest werden. Mit dem neuen Veranstalter war auch die Hoffnung verbunden, dass die Kommerzialisierung, die in den letzten Jahren auf dem Blücherplatz stetig zugenommen hatte, ein wenig eingedämmt werden würde.

Der »Grüne Bereich« beim Straßenfest gehörte zu den Neuerungen des neuen Veranstalters.

Foto: pskDer »Grüne Bereich« beim Straßenfest gehörte zu den Neuerungen des neuen Veranstalters. Foto: psk

Momentaufnahmen während und nach dem Fest lassen eher darauf schließen, dass die Neuerungen noch nicht richtig angekommen sind, oder dass sich manche Dinge sogar fundamental verschlechtert haben.

Der »Grüne Bereich« führte bei einigen Besuchern zu gewissen Irritationen. So manch einer hatte es noch nicht einmal richtig mitbekommen, dass in der neu hinzugekommenen Baruther Straße und in der Zossener bis zur Blücherstraße eigentlich der Raum für ökologische Angebote sein sollte. Dass dazu auch Fischstände und Bierwagen gehörten, fiel wiederum jenen auf, die die Grüne Meile als solche durchaus erkannt hatten.

Die hölzernen Klo­häuschen kamen zwar pittoresk daher, waren aber offensichtlich auch nicht für jeden als solche zu erkennen. Andere, denen der Sinn und Zweck klar war, gaben unumwunden zu, dass ihnen Dixie-Klos lieber seien. Da wird also noch einige Überzeugungsarbeit auf die Öko-Klobetreiber zukommen.

Doch gerade die Notdurft war ein ganz großes Thema während des Karnevals der Kulturen. Viel zu wenig öffentliche Toiletten habe es gegeben, klagten viele Besucher. Diesem Umstand ist es wohl auch geschuldet, dass die Zahl der Wild- und Baumpinkler sprunghaft angestiegen ist. Selbst die Lücke zwischen zwei parkenden Autos musste so manches Mal als kurzfristige Bedürftnisanstalt herhalten. Hauseingänge, Bäume, Sträucher, Hecken und Zäune – nichts war vor den den Urin­strah­len sicher.

Auch die »Standpolitik« am Tag des große Umzugs warf Fragen auf. So musste ein überraschter und wenig erfreuter Wirt feststellen, dass ausgerechnet unmittelbar vor seinem Biergarten ein Zelt zum Zwecke des Bierausschanks aufgestellt worden war. Früher, so meinte der Wirt, hätten die Veranstalter Rücksicht auf die angrenzende Gastronomie im Kiez genommen.

Frühes Pfingstfest verhagelt Händlern die Geschäfte

Das erweiterte Musikprogramm dagegen stieß bei vielen Gästen auf Zuspruch. Zu den vier großen Bühnen sind nun noch acht kleine Bühnen in Seitenstraßen gekommen.

Allerdings war ein Besuch auf dem Straßenfest nun auch nicht gerade ein Schnäppchen. Der Caipi-Preis, so etwas wie die Preisreferenz des Festes, ist an manchen Ständen inzwischen auf sechs Euro geklettert. Allerdings ließ sich das nicht von jedem das ganze Fest über durchhalten. Überhaupt war es an dem sehr frühen Pfingstfest viel zu kühl und zu feucht, als dass die Straßenhändler voll auf ihre Kosten gekommen wären.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2016.

Lettland weist Demonstranten aus

KuK-Mitarbeiter darf nicht über Proteste gegen SS-Gedenken berichten

Der Protest endete noch ehe er begonnen hatte. Lothar Eberhardt, Mitarbeiter von Kiez und Kneipe, war mit vier weiteren Mitstreitern gerade in der lettischen Hauptstadt Riga gelandet, da wurden sie auch schon von Sicherheitsbeamten des baltischen Staates abgefangen. Die erklärten dem Besuch aus Berlin, dass er hier unerwünscht sei und sich sofort wieder auf die Heimreise begeben solle.

Rückblende: Zwei Jahre zuvor hatte sich schon einmal eine Delegation aus Berlin auf den Weg nach Riga gemacht. Ihre Absicht: Sie wollten gemeinsam mit lettischen Antifaschisten gegen den »Tag der Legionäre«, den Lettland traditionell am 16. März feiert, protestieren. Dahinter verbirgt sich das Gedenken an die 15. und 19. SS-Waffen-Grenadier-Division. Die beiden Großverbände waren 1943 aufgestellt worden. Von 1998 bis 1999 galt der 16. März sogar als Nationaler Gedenktag.

Abgeschoben: KuK-Mitarbeiter Lothar Ebehard (links) im Gefangenentransport auf dem Weg nach Litauen.

Foto: privatAbgeschoben: KuK-Mitarbeiter Lothar Ebehard (links) im Gefangenentransport auf dem Weg nach Litauen. Foto: privat

In Lettland ist das Gedenken an die baltischen Legionäre durchaus umstritten. Für die einen sind es Kollaborateure mit dem Naziregime, für andere Freiheitskämpfer gegen die sowjetischen Unterdrücker des Baltikums.

Von zahlreichen deutschen Demonstranten gegen den Marsch zum Nationaldenkmal wurden vor zwei Jahren die Personalien aufgenommen. Fünf von ihnen wurden am Flughafen von Riga abgefangen, einer sechste Person wurde in Hamburg der Zutritt in die Maschine nach Riga verwehrt.

Den fünf Berlinern wurde mitgeteilt, dass sie »eine Gefahr für die öffentliche Ordnung« darstellten und deshalb mit einem Einsreiseverbot bis 16. März belegt worden seien – einem Einreiseverbot, von dem sie allerdings nichts wussten. Und da sie sich weigerten, den nächsten Flieger zurück nach Deutschland zu nehmen, sollten sie zunächst in das Lager für illegale Einwanderer nach Dagopils verfrachtet werden. Pinkanterweise handelt es sich dabei um ein ehemaliges KZ.

Von dort aus ging es im vergitterten Gefangenentransport an die Litauische Grenze, wo die Abgeschobenen in einen Fernbus nach Berlin gesetzt wurden. 20 Stunden später waren sie wieder zu Hause.

Doch damit ist der Fall noch lange nicht ausgestanden. Lothar Eberhardt, der auch in seiner Eigenschaft als Journalist über den »Gedenktag der Legionäre« berichten wollte, sieht sich nicht nur in der Versammlungsfreiheit, sondern auch in der Pressefreiheit beschnitten. Er hat nun die Deutsche Journalisten-Union (dju) eingeschaltet.

dju rügt die lettischen Behörden

Die Gewerkschaft hat sich mittlerweile mit den Behörden in Lettland in Verbindung gesetzt und scharf gegen Maßnahmen und vor allem gegen die Einschränkung der Pressefreiheit protestiert.

Lothar Eberhard will aber wieder nach Lettland. Spätestens zum nächsten Aufmarsch am »Tag der Legionäre«. »Wenn ich die Chance habe, wieder einzureisen, dann werde ich das tun«, gibt er sich kämpferisch. »So etwas geht gar nicht«, sagt er und verweist darauf, dass es sich dabei um ein natio-nales Gedenken an Nazis handele. Das ist nicht nur für ihn ein unerträglicher Gedanke. Die Deutschen waren unter anderem auf Einladung lettischer Opferverbände nach Riga gereist. Auch jüdische Organisationen hatten sich an dem Protest gegen den Gedenktag, der übrigens auf Druck Russlands im Jahr 2000 seinen offiziellen Charakter verlor, be­tei­ligt. Der Tag ist auch ein großer Konfliktpunkt zwischen baltisch- und russischstämmigen Letten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2016.

Wieder Flüchtlinge in GHS

Ehemalige Schule wird nun offiziell Flüchtlingsunterkunft

Es mutet ja fast wie die Ironie des Schicksals an, dass ausgerechnet die Gerhart-Hauptmann-Schule nun zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut wird, die vorwiegend von Schwangeren und Frauen mit Kindern bewohnt werden soll.

Einst war die leer stehende Schule den protestierenden Asylbewerbern vom Oranienplatz als Winterquartier zur Verfügung gestellt worden. Doch die humanitäre Tat des Bezirks wurde bald zu einem wahren Horrortrip. Immer mehr Menschen, die eigentlich nichts mit den Protesten auf dem Oranienplatz zu tun hatten, zogen in das Haus ein, Obdachlose und Drogendealer aus dem benachbarten Görlitzer Park zogen in die Schule. Es kam zu Gewaltakten, die hygi­enischen Zustände wurden katastrophal und am Ende stand eine ebenso umstrittene wie dramatische Räumung. 20 Flüchtlinge weigerten sich, die Schule zu verlassen und drohten, sich vom Dach zu stürzen.

Sie leben heute noch immer in der Schule, aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung. Die sah auch ein Flüchtlingszentrum vor, das die Bewohner einrichten wollten. Ein Konzept dafür haben sie allerdings noch nicht vorgelegt.

Der Nordflügel ist inzwischen soweit renoviert, dass dort 109 Flüchtlinge einziehen können. Ein Konfliktpunkt könnte der Pavillion darstellen, den die Bewohner des Südflügels gerne für ihr Flüchtlingszentrum hätten, in dem aber zunächst einmal eine Krankenstation und ein Spielzimmer eingerichtet werden sollen.

Allerdings wird der Pavillion eh bald Geschichte sein, denn er soll im Herbst einem Bauprojekt weichen.

Neben der Flüchlingsthematik gibt es ja in Kreuzberg durchaus auch noch ein anderes Problem: bezahlbarer Wohnraum.

Hier nun plant der Bezirk, zusammen mit der landeseigenen HOWOGE insgesamt 121 Wohnungen zu bauen. Es handelt sich dabei in erster Linie um kleine Wohnungen, deren Bruttokaltmiete nicht über 6,50 Euro pro Quadratmeter liegen soll. Die Bauarbeiten sollen im Herbst beginnen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2015.

Soziale Stadt für Alle

Info-Veranstaltung in der Heilig-Kreuz-Kirche

Flyer zur InfoveranstaltungFlyer zur Infoveranstaltung

»Gute Wohnungen für Alle – statt Notunterkünfte für immer mehr Menschen!« Das ist die zentrale Forderung des Bündnisses Wem gehört Kreuzberg. Am 4. Februar lädt die Initiative zu einer Infoveranstaltung in die Heilig-Kreuz-Kirche ein. »Dass in Berlin Wohnraum fehlt, wissen wir nicht erst, seit Menschen, die vor Hunger, Menschenrechtsverletzungen, Bürgerkrieg und Krieg fliehen, bei uns Schutz und menschenwürdige Lebensbedingungen suchen«, heißt es in dem Flyer zur Veranstaltung. »In einem der reichsten Länder, einem Land, das mitverantwortlich ist für Krisen und Kriege, werden sie in Massenunterkünften wie den Hangars in Tempelhof untergebracht.« Auch, so der Vorwurf an die Politik, würde weiterhin völlig ungenügend darauf reagiert, dass die Einwohnerzahl schon lange steige und Wohnraum für viele zunehmend unbezahlbar ist. Die Planungen des Senats sehen bis 2017 nur 30.000 neue Wohnungen vor, davon ca. 6500 geförderte. Für Flüchtlinge sollen an 60 Standorten sogenannte »Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge« gebaut werden, die jeweils bis zu 450 Menschen Platz bieten sollen – für Wem gehört Kreuzberg ist das kein akzeptables Wohnmodell.

Wie aber könnte eine lebenswerte Stadt für alle aussehen? Über die Frage will man bei der Veranstaltung am Donnerstag ins Gespräch kommen. Als Diskussionsanregung wird es dazu Beiträge zur Wohnungspolitik und zu alternativen Modellen in Kreuzberg geben. Über den ihren Alltag sowie Wünsche und Hoffnungen werden Geflüchtete aus Turnhallen und den Hangars berichten. Musikalische Beiträge wird es unter anderem von der Neuköllner Chanson-Punk-Band The Incredible Herrengedeck geben. An Infotischen verschiedener Initiativen besteht die Möglichkeit, sich über deren Arbeit zu informieren und persönlich ins Gespräch zu kommen.

Hier gibt es den Flyer zum Downloaden.

Termin: Donnerstag, 4. Februar, 18:30 Uhr (Einlass 18:00 Uhr), Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Str. 65, 10961 Berlin

Kreuzberg wird fair

Bezirk soll zur »Fairtrade Town« werden

Angeregte Diskussion über fairen Handel und Wertschöpfungsketten.

Foto: rspAngeregte Diskussion über fairen Handel und Wertschöpfungsketten. Foto: rsp

»Bio« ist für Produkte in Friedrichshain-Kreuzberg fast schon Standard – jetzt soll der Bezirk auch zur »Fairtrade Town« werden. Hinter der Bezeichnung verbirgt sich eine Zertifizierung des Kölner TransFair e.V. für Kommunen, die sich für die Verbreitung von fair gehandelten Produkten einsetzen. Idealerweise werden dabei nicht nur gerechte Rohstoffpreise an die Erzeuger bezahlt, sondern auch direkte, langfristige und partnerschaftliche Beziehungen zu den Produzenten aufgebaut.

Nach einem entsprechenden Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, gab der Bezirk in einer Auftaktveranstaltung Ende November den Startschuss für die Kampagne. Dass Fair Trade »nicht nur Kaffee« ist, sondern auch eine politische Dimension hat, führte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann gleich bei der Begrüßung aus. Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, die auch aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, sei fairer Handel auch eine Möglichkeit »aktiv im Sinne der Menschen vor Ort« zu werden und Fluchtursachen zu minimieren.

Helena Jansen, die das Projekt als Promotorin für Kommunale Entwicklungspolitik unterstützt und auch beim Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg – San Rafael Del Sur mitarbeitet, moderierte die gut besuchte Veranstaltung im BVV-Saal und stellte klar, dass es durchaus wünschenswert sei, auch über die Mindestanforderungen der Kampgane hinauszugehen.

Was die Anforderungen sind und wie sie umgesetzt werden können, erläuterte anschließend Volkmar Lübke, langjähriger Akteur in der Fair-Trade-Bewegung. Neben dem obligatorischen (BVV-)Beschluss sowie einer hinreichend großen Zahl von Fair-Trade-Geschäften im Bezirk (in Friedrichshain-Kreuzberg: 38 Einzelhandelsgeschäfte, 19 Cafés/Restaurants), gehört dazu auch die Einbindung der Zivilgesellschaft. Produkte aus fairem Handel müssen also auch in Schulen und Kirchengemeinden verwendet werden.

Vor allem aber bedarf es der Bildung einer lokalen Steuerungsgruppe.

Über 380 Fairtrade Towns in Deutschland

Zu den Aufgaben dieser Steuerungsgruppe gehört die Koordination der Aktivitäten vor Ort.

Volkmar Lübke erläuterte das Konzept der Fairtrade Towns.

Foto: rspVolkmar Lübke erläuterte das Konzept der Fairtrade Towns. Foto: rsp

Tatsächlich fanden sich unter den gut 30 Besuchern der Veranstaltung neun Personen, die an einer Mitarbeit in einer Steuerungsgruppe interessiert wären. Wie sich in einer Vorstellungsrunde herausstellte, verfügten viele der Anwesenden bereits über einschlägige Erfahrungen im Bereich Fair Trade, beispielsweise durch jahrzehnte lange Mitarbeit in Eine-Welt-Läden.

Vorreiter in Sachen Fairtrade Town ist in Berlin der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, der sich bereits seit 2011 mit dem Titel schmücken darf. In den letzten Monaten hat es aber auch in vielen anderen Bezirken entsprechende Beschlüsse gegeben.

Die Idee der Fairtrade Towns wurde in der britischen Kleinstadt Garstang geboren, die sich 2001 zur »World’s First Fairtrade Town« erklärte. Seitdem gibt es weltweit über 1.700 Städte mit dem Siegel, über 380 davon in Deutschland.

Weitere Infos unter: fairtrade-towns.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2015.