Kisch & Co kämpft gegen Verdrängung

Auch nGbK e.V. und Museum der Dinge sind mittelfristig bedroht

Kundgebung vor der Oranienstraße 25 in KreuzbergGut 150 Menschen demonstrierten Ende Juni für den Erhalt der Buchhandlung Kisch & Co. Foto: rsp

Gut 150 Menschen kamen Ende Juni zu einer Kundgebung vor der Oranienstraße 25 zusammen. Die dort seit 23 Jahren ansässige Buchhandlung Kisch & Co ist akut von Verdrängung bedroht. Nachdem Verhandlungen über eine Mietvertragsverlängerung mit dem neuen Hausbesitzer, einem anonymen luxemburger Immobilienfonds, gescheitert waren, steht der Buchladen seit Anfang Juni ohne Mietvertrag, aber dafür mit Räumungsaufforderung da.

Schon nach dem letzen Eigentümerwechsel hatten Buchhändler Thorsten Willenbrock und sein Kompagnon Frank Martens das Ende vor drei Jahren nur durch eine Mieterhöhung auf 20 Euro pro Quadratmeter abwenden können. Eine Verlängerung zu gleichen oder gar besseren Konditionen kam für den neuen Eigentümer offenbar nicht infrage. Dem ebenfalls im Haus ansässigen Architekturbüro kleyer.koblitz wurde jedenfalls eine Quadratmetermiete von 38 Euro angeboten.

Tatsächlich hatte man der Buchhandlung zwar eine leicht reduzierte Miete angeboten, verbunden aber mit dem definitiven Aus zum 31. Dezember – und einer Verschwiegenheitsklausel sowie der Verpflichtung, auf YouTube und gegenüber Politik und Presse Positives über das Entgegenkommen zu berichten – ein Ansinnen, das bei der Kundgebung für amüsiertes Kopfschütteln sorgte, als Willenbrock die Klausel verlas.

»Wir wollen uns nicht vertreiben lassen, wir wollen hierbleiben«, erklärte er unter Applaus und rief auch andere von Verdrängung akut bedrohte Gewerbemieter dazu auf, dem Beispiel der Buchhandlung nachzueifern.

Kommentar: Hauptsache nicht in aller Stille

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2020.

Ungewöhnliche Offenheit

Marie Hoepfner macht eine literarische Entdeckung

»Was du nie siehst« von Tibor Baumann ist ein biographischer Roman mit und über Hansi Mühlbauer. Ob ich ein 378 Seiten langes Buch über das Leben eines fremden Mannes, der weder berühmt noch mir irgendwie bekannt ist, lesen möchte, fragte ich mich beim Aufschlagen. Grenzt es nicht an Voyeurismus, zumal Hansi blind ist?

Nein! Ganz im Gegenteil! In »Was du nie siehst« tauchen wir in die Welt eines blinden Menschen und sein Innerstes ein. Der Titel – im Einband wie Brailleschrift hervorgehoben – spielt auf das Kinderspiel »Ich sehe was, was du nicht siehst« an. Baumann stellt diese beiden Sichtweisen – die des sehenden und die des blinden Menschen – in seinem Roman nebeneinander.

Der Roman erzählt das ganze Leben von Hansi anhand einer fiktiven Woche, die damit be­ginnt, dass Hansi sein Handy mit der Nummer von Alexa, einer tollen Frau, vielleicht sogar seiner große Liebe, verloren hat. Der Leser wird auf die verzweifelte Suche nach dem verlorenen Handy mitgenommen und während dieser Reise mit dem Leben des Protagonisten auf berührende Weise vertraut gemacht.

Johann »Hansi« Mühlbauer bekam mit 2 Jahren beide Augäpfel entfernt, um ihn von einem Retinoblastom, einem bösartigen Augen-Tumor, zu befreien. Von Kind an bis zum beruflichen Werdegang als Physiotherapeut, durchlebt er Phasen der tiefsten Niedergeschlagenheit, aber auch Augenblicke der Hoffnung und des Glückes. Er führt ein vergleichsweise autonomes Leben. Fingerspitzen, Ohren und Intuition ersetzen seine Augen. Er hat einen Job und eine Wohnung. Mit seinen sehenden Freunden führt er zahlreiche Unternehmungen durch, wie Surfen, Klettern, pädagogische Leitung einer Wildnisschule oder das Singen in einer Rockband, mit der er Charitykonzerte organisiert. Sein Leben ist voller Leidenschaft, er bereist die Welt, geht gerne aus, raucht und trinkt, war kurz verheiratet und bandelt gelegentlich mit Frauen an, wenn die Chemie stimmt. Sogar Radio- und Fernsehbeiträge wurden über ihn veröffentlich. Eigentlich ein ganz normaler cooler Typ.

»Was du nie siehst« ist ein wirklich ungewöhnlicher Roman. Nicht nur, dass man die Geschichte aus der Sicht des Protagonisten Hansi erlebt, sondern auch weil der Autor als Ich-Erzähler vorkommt. Literarisch hat Tibor Baumann eine Metafiktion, also einen Roman im Roman, mit einem Literaturhybrid zwischen Fiktion und Biografie geschaffen, in der Protagonist und Autor abwechselnd erzählen. So enthält die Geschichte immer wieder unerwartete Wendungen und Überraschungen und erst zum Ende hin bekommt man ein Gesamtbild.

Mit »Was du nie siehst« hat Tibor Baumann es geschafft, dass man sich als Leser in die Welt eines erblindeten Menschen versetzen kann. Obwohl manche Szenen so absurd anmuten, sind sie so real beschrieben, dass man eine Gänsehaut bekommt. Wie zum Beispiel, als Hansi auf einer Party tastend durch ein mit Menschen gefülltes Zimmer den Dieb seines Handys verfolgt und sich mit ihm prügelt.

In diesem Buch stellt sich der Autor mit ungewöhnlicher Offenheit, Nachdenklichkeit, humoriger Attitüde und »augenzwinkernden« Dialogen diesen aufeinanderprallenden Welten von Blinden und Sehenden.

Ein absolut empfehlenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt. Tiefgründig, dabei aber leicht zu lesen und vor allem spannend. Es waren lange Lesenächte, in denen es mir schwerfiel, dieses Buch aus der Hand zu legen, nachdem ich mich einmal auf die turbulente Achterbahnfahrt durch die Tücken des Alltags mit Hansi, diesem so besonderen blinden Typen, eingelassen hatte.

Tibor Baumann: »Was du nie siehst«, Carpathia Verlag, ISBN 978-3-943709-75-9, Hardcover, 25 Euro. Das Buch ist auch als E-Book erhältlich und erscheint voraussichtlich im Herbst als Braille-Version.
Marie Hoepfner, die Rezensentin, engagiert sich ehrenamtlich im Mitarbeiterkreis des Evangelischen Blindendienstes Berlin der Berliner Stadtmission. Sie begleitet blinde Menschen bei Freizeitausflügen, kulturellen Veranstaltungen sowie bei Workshops und Seminaren in und außerhalb Berlins.

Mehr zum Buch auf der Website des Verlags

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2020.

Eine Geschichte der Aufmüpfigkeit

Jürgen Enkemanns Kreuzbergbuch ist erschienen

Buchcover »Kreuzberg – das andere Berlin« von Jürgen Enkemann

Jürgen Enkemann kann wohl mit gutem Gewissen als »Kreuzbergversteher« bezeichnet werden. 1963 zog er nach Abschluss eines philologischen Studiums von Göttingen nach Kreuzberg und blieb dort. Als Mitbegründer und Mitglied zahlreicher Ini­tiativen im Bezirk und Herausgeber des Kiezmagazins »Kreuzberger Horn« (seit 1998) hat er viele der Ereignisse und Entwicklungen selbst miterlebt und mitgestaltet, von denen er in seinem jetzt im vbb verlag für berlin-brandenburg erschienenen Buch berichtet.

»Kreuzberg – das andere Berlin« lautet der Titel des 240 Seiten starken Werks. Was genau Kreuzberg jetzt so anders macht als die anderen Berliner Stadtteile, analysiert Enkemann gründlich und fundiert in zwölf Kapiteln, die jeweils einen thematischen Schwerpunkt näher beleuchten, der für das Werden und Sein, das Selbstverständnis und die Außenwahrnehmung Kreuzbergs eine Rolle spielte und spielt.

Er geht dabei (anders als etwa Martin Düs­pohl in seiner an mehreren Stellen von Enkemann zitierten »Kleinen Kreuzberggeschichte« von 2009) nicht strikt chronologisch vor. Vielmehr ordnet er die Phänomene nach der Zeit ihres ersten Auftretens an und konzentriert sich innerhalb der Kapitel auf die Ereignisse und Entwicklungen des jeweiligen Themas.

Beispielsweise be­ginnt das Kapitel über die (später legendäre) Kreuzberger Künstlerszene mit der Gründung der Galerie zinke 1959 und endet mit Entstehung, Rezeption und Wirkungsgeschichte des Lieds »Kreuzberger Nächte« der Gebrüder Blattschuss, während das darauffolgende Kapitel über die Entwicklung des multikulturellen Kreuzbergs den Bogen von der Anwerbung der ersten türkischen Arbeitskräfte 1961 bis hin zu aktuellen Debatten der Migrationsforschung spannt.

Als roter Faden durch die Geschichte zieht sich immer wieder die Aufmüpfigkeit, die Widerständigkeit des Bezirks, seiner Bewohner und – auch das mit einer überraschenden Kontinuität – seiner Verwaltung.

»Kreuzberg – das andere Berlin« ist keine Bedienungsanleitung für Touristen und Zugezogene, keine launige Anekdotensammlung und auch kein Geschichtsbuch mit Anspruch auf Vollständigkeit und Objektivität. Es ist eine wissenschaftlich fundierte und gleichwohl subjektive Analyse von Tendenzen, Kontinuitäten und Brüchen, reich bebildert mit zeitgenössischen Fotografien, Flugblättern, Plakaten, einem akribisch geführten Quellennachweis und Personenverzeichnis im Anhang.

Auch wenn der Text stellenweise recht nüchtern und sachlich daherkommt, ist das Buch dennoch von der ersten bis zur letzten Seite hochinteressant und uneingeschränkt lesenswert. Auch Leser, die sich (wie die Rezensentin) insgeheim selbst als Kreuzbergversteher verorten, können noch eine ganze Menge erstaunliche Details und Fakten über »ihr« Kreuzberg dazulernen.

Jürgen Enkemann: »Kreuzberg – das andere Berlin«, 240 Seiten, 179 Abbildungen. ISBN 978-3-947215-57-7, 25 Euro

Mehr zum Buch auf der Website des Verlags

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2020.

Von der Bühne auf den Bildschirm

Victor F. Breidenbach sondiert die Online-Theaterlandschaft

Notebook auf KüchentischKultur in pandemischen Zeiten findet unter anderem am Küchentisch statt. Foto: vfb

Spätestens seit dem 13. März und mindestens bis zum 19. April kann man nicht mehr ins Theater gehen. Doch der Spielbetrieb ist nicht gänzlich eingestellt. Viele Theater retten nicht unbeträchtliche Teile ihres Programms in den virtuellen Raum. Es folgt ein kursorischer Einblick in diese neue Theaterlandschaft.

Das Hebbel am Ufer etwa verlegte ein ganzes Festival auf YouTube: »Spy On Me #2 – künstlerische Manöver für die digitale Gegenwart«. »Im Theater forschen wir nach Auswegen aus Gefühlen der Ohnmacht und der Überforderung, die viele Nutzer*innen internetbasierter Technologien empfinden.« Ich berichte aus meiner Küche.

Obwohl die Videoaufnahmen nicht besonders interessant sind, übt James Bridles Kurzfilm »Se ti sabir« aufgrund der eigenwilligen Monologe des Künstlers auch einen eigenartigen Sog aus. Wir folgen ihm auf einem Spaziergang durch die belgische Provinz Limburg, wo er uns zuerst einen seismologischen Messapparat in einem Schieferbruch zeigt. Der Apparat soll feststellen, ob dieser Ort, der für seine geologische Stabilität ausgewählt wurde, tatsächlich stabil genug ist, um das geplante Einsteinteleskop zu beherbergen – ein Gerät, das sehr langsame Gravitationswellen misst und dadurch eine Art Echolokalisierung des Urknalls ermöglicht. Diese durch absolute Ruhe ermöglichte Sensibilität für subtile Prozesse ist für Bridle ein Vorbild der Entschleunigung: »Mich interessierteigentlichnur dieser Moment, in dem wir still genug werden, um die Vibrationen des Universums wahrzunehmen.« Bridle zeigt uns noch weitere Orte und führt ausufernde Monologe über, unter anderem, die einst auf dem Mittelmeer gängige Lingua Franca, das Gehirn von Cephalopoden und seine Vision für künstliche Intelligenz.

Auch »Future Tense: AI from the Margins«, ein poetischer Videovortrag von Nakeema Stefflbauer und Nushin Yazdani, lässt sich problemlos ins Internet übertragen. Wie beim Screensharing sieht man einen unaufgeräumten Desktop, auf dem Videodateien und Browserfenster nacheinander und übereinander geöffnet werden. Auf eingängige Weise kritisieren Stefflbauer und Yazdani die normativen Standards von Algorithmen und die Formen der Diskriminierung, die sie zur Folge haben: In der Justiz benutzte Algorithmen, die das Risiko einschätzen, ob jemand zum Wiederholungstäter wird, diskriminieren zum Beispiel Schwarze, weil sie an Weißen entwickelt wurden. Die künstliche Intelligenz spiegelt und reproduziert gesellschaftliche Vorurteile. Aufzeichnungen des gesamten Festivals sind auf dem HAU YouTube-Kanal abrufbar.

Noch zwei Empfehlungen: Die Schaubühne stellt derzeit für jeweils einen Tag Fernsehaufzeichnungen aus ihrem Repertoire online. Man kann also vieles sehen, wofür man nie Karten gekriegt hat, oder ältere Produktionen beispielsweise von Peter Stein. Auch das Berliner Ensemble stellt großartige Produktionen für jeweils eine Woche ins Netz.

Diese Angebote sind alle kostenlos. Wer es sich leisten kann, sollte deshalb darüber nachdenken, dem jeweiligen Theater etwas zu spenden oder bei bereits gekauften Karten auf Rückerstattung zu verzichten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2020.

Virenfreie Livekultur

Spätestens seit dem 13. März kann man nicht mehr ins Theater gehen. Victor F. Breidenbach gibt hier einen kursorischen Einblick in diese neue Theaterlandschaft.

Auch auf den Musik- und Kabarettbühnen des Kiezes herrscht derzeit so etwas wie Notbetrieb. Das BKA beispielsweise bietet einige seiner geplanten Veranstaltungen als Livestream »aus dem BKA Theater Hauptstadtstudio« an. So findet etwa Sigrid Grajeks Claire-Waldoff-Revue »Berliner Luft« wie geplant am 4. April statt – nur eben ausschließlich auf bka-theater.de beziehungsweise der Facebook-Seite der Bühne. Weitere Termine werden dort ebenfalls kurzfristig bekanntgegeben.

Einige der Stammmusiker des Yorckschlösschens haben ebenfalls eigene Streamingangebote ins Leben gerufen. Hier empfiehlt sich eine Suche auf den Facebook-Seiten der Künstler. Mit dabei sind unter anderem Jan Hirte (mit wechselnden musikalischen Gästen) und Andrej Hermlin, die regelmäßige Wohnzimmerkonzerte veranstalten.

Alle Angebote sind zwar kostenlos zugänglich, es besteht aber die Möglichkeit Ticket zu er- werben beziehungsweise Geldspenden zu überweisen.

Weitere online empfangbare Kulturangebote aus dem Kiez und anderswo sammeln wir hier auf kiezundkneipe.de/livekultur. Hinweise gerne an corona@kiezundkneipe.de

Der Eine

Eine Ausstandskolumne wird würdig geschrieben: Bowie!

David Bowie. Was für ein Name. David Bowie habe ich mir für diese Kolumne immer aufgehoben. Ich dachte, darauf greife ich zurück, wenn mir mal wirklich überhaupt nichts mehr einfällt. Und nun feiere ich Ausstand und das Ende dieser Kolumne, was nicht heißt, dass ich nicht noch ein paar musikalische Gastbeiträge aus meiner neuen Wahlheimat Spanien schicken werde. Zweieinhalb Jahre lang durfte ich die Kreuzberger Nächte aus der Nähe und Ferne betrachten, durfte mit Künstlerinnen reden, Konzerte besuchen, Plattenhändler kennenlernen. Und habe dabei noch kein einziges Mal Bowie erwähnt.

Zugegebenermaßen hat sich dieser ja auch viel in Schöneberg bewegt. Die Umbenennung der dortigen Hauptstraße, in der sich die Wohnung von ihm und seinem damaligen Mitbewohner Iggy Pop befand, steht wohl noch aus. Nach Kreuzberg hat es den Popstar allerdings doch so einige Male verschlagen, als er sich in den hier ansässigen Bars und Clubs umhertrieb.

Obwohl Bowie ja summa summarum nur drei Jahre in Berlin lebte, ziehen diese Jahre in alle Biografien als extrem wichtige Phase seines Werkes ein. Entzug von harten Drogen, eine Filmhauptrolle, wichtige Bekanntschaften, die sein Leben verändern sollten. Und auch Berlin ist mächtig stolz auf seinen Adoptivsohn: Immer wieder taucht der Name »Bowie« in allen Ecken der Stadt auf, es gibt Filme über die Berlin-Trilogie, ja sogar geführte Bowie-Touren werden angeboten.
Alles nur clevere Inszenesetzung? Auch. Und trotzdem veröffentlichte Bowie mit den drei Alben Low (1977), Lodger (1979), doch vor allen Dingen Heroes (1977) drei seiner wichtigsten Meisterwerke. Wussten Sie, dass Bowie neben naheliegenden Mauereindrücken im Song »Heroes« auch die Eindrücke des 20er-Jahre-Expressionismus verarbeitete?

Aufgenommen wurde das Ganze jedenfalls in – Sie ahnen es: Kreuzberg. Die Hansa-Studios sind mindestens so berühmtberüchtigt, wie Bowie selbst. Und entgegen einiger abtrünniger Meinungen eben nicht im Hansa-Viertel, sondern am Anhalter Bahnhof lokalisiert.

Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot. Bowie – unsterblich.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2020.

Türkische Nächte

Typisch Kreuzberg, konnten wir natürlich für den Türkischen Beitrag nicht nur bei einer Person bleiben. Da holen wir uns doch schon mehrere Meinungen ein. Zum einen sind das Cansel Kı­zıl­te­pe (SPD), MdB, zum anderen Erbatur Çavuşoğlu, der Inhaber des Plattenladens Lefter Records in der Gneisenaustraße.

Kreuzberg geceleri uzun

Die Bundestagsabgeordnete Cansel Kı­zıl­te­pe (SPD): Es ist schön, den Satz »Kreuzberger Nächte sind lang« im Türkischen zu lesen, denn die türkische Sprache gehört für mich ganz fest zu Kreuzberg. Ich bin in Kreuzberg aufgewachsen und muss an meine Kindheit und Jugend im Wrangelkiez denken. Die Nächte sind noch immer lang in Kreuzberg, aber es hat sich auch vieles verändert. Viele Bekannte, Freundinnen und Freunde mussten ihren Kiez verlassen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten konnten, oder sind akut von Verdrängung bedroht. Damit Kreuzberg ein Ort für alle bleibt, müssen wir unbedingt etwas tun!

Kreuzberg geceleri yoldaşim oldu

Erbatur Çavuşoğlu erinnert der Originaltitel der Gebrüder Blattschuss an den alten, türkischen Song Geceler, in dem es so viel heißt wie »Nächte sind meine Kameraden« (anzuhören hier). So würde er die langen Kreuzberger Nächte eben zu seinen Kameraden machen: »Kreuzberg geceleri yoldaşim oldu«. Interessanter Nebenfakt: Geceler wurde vom der ersten türkischen Trans-Künstler Bülent Ersoy gesungen, eine Subkultur, die wohl unteilbar zu Kreuzberg gehört. Oh, diese Nächte!

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2020.

Wie echt ist van Gogh?

Erster Kunst-Krimi von Leif Karpe

»Würde uns die ‚Sternennacht‘ weniger interessieren, wenn sie nicht von Vincent van Gogh wäre?« Die Frage steht auf der Rückseite des Covers von Leif Karpes erstem Roman »Der Mann, der in die Bilder fiel«. Derjenige, der da fällt, ist der New Yorker Kunsthistoriker und Detektiv wider Willen Peter Falcon, der eigentlich nur seinen kleinen Comic-Laden am Leben erhalten will.
Der Auftrag des großen Auktionshauses Chrosebys, nach Europa zu reisen, um dort ein berühmtes Gemälde auf seine Echtheit zu überprüfen, kommt ihm da gerade recht – trotz seiner Flugangst.
Was wie eine Routineangelegenheit aussieht, entpuppt sich als rasanter Kriminalfall, der Peter Falcon quer durch Paris und die halbe Provence führt, immer auf der Spur der großen Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts.
Peter Falcon kommt dabei eine einzigartige Fähigkeit zu Hilfe. Er kann sich nämlich in die Bilder der großen Impressionisten und Expressionisten hineinleben. Alles um ihn wird plötzlich so real, dass er, und damit auch der Leser, den großen Künstlern direkt begegnet. Diesen Kniff des Autors umweht zwar ein Hauch des Esoterischen, doch er entpuppt sich auch als genial, wenn all die Monets und van Goghs die reale Geschichte voranantreiben.
Angenehm ist, dass bei einem Krimi nicht Mord und Totschlag im Zentrum des Geschehens stehen müssen, sondern dass das Thema Fälschung nicht weniger spannend sein kann.
In der Tat ist gerade die Frage »Was ist ein echter van Gogh?« seit Jahren ein heiß umstrittenes Thema. Es liegt daran, dass van Goghs Arzt Dr. Gachet selbst künstlerische Ambitionen verspürte. Er ließ sich von van Gogh mit Bildern honorieren. »Das Porträt des Dr. Gachet« war eine Zeitlang das teuerste Gemälde der Welt.
Doch ist so mancher vermeintliche van Gogh nicht in Wirklichkeit ein Gachet? Der Arzt und seine Nachkommen galten immerhin als sehr begabte Kopisten, manche würden Fälscher sagen.
In einer Zeit, in der für einen van Gogh zwei-, ja bald dreistellige Millionen-Beträge bezahlt werden, ist die Herausforderung für die wichtigen Auktionshäuser noch größer geworden, das Richtige vom Nachgemachten zu unterscheiden.
So tut sich dem Leser, der in der Kunstbranche weniger beheimatet ist, eine völlig neue Welt auf, in der es um Täuschen und Tarnen, um Illusion und Realität geht. Diese Welt ist der Hintergrund eines sehr spannenden und rasanten Krimis, bei dem der Leser auch noch eine Menge lernen kann – und eine bezaubernde Reise durch Frankreich erlebt.
Und die Reise geht weiter. Der Verlag Nagel & Kimche will mit den Peter-Falcon-Krimis das Genre Kunst-Krimi etablieren.
Peter S. Kaspar

Leif Karpe: Der Mann, der in die Bilder fiel, 272 Seiten, ISBN 978-3-312-01161-2, 22 Euro

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Da kann ja jeder kommen

Wie ich mich doch noch mit einem Plattenhändler anfreunde

Auf die Frage, ob ich denn mal ein Interview führen dürfe, reagierten in meiner noch jungen Journalistenkarriere so ziemlich alle Menschen gleich: ja, sehr gern, man wisse zwar nicht, was ich wolle, aber an sich, na klar.

Detlef Dieter Müller reagiert nicht so. Er verschränkt die Arme. Fragt, was das für ein Magazin sei. Mit irgendwelchen Kommerz-Heinis wolle er nicht reden. Sein Laden sei schon bekannt genug, die ganzen Gentrifizierer rennen ihm die Bude ein. Die Fragen seien eh immer die gleichen. Und ihr aus 61? Waschlappen! Wer habe denn Kreuzberg damals verteidigt? Toll, denke ich mir. Da habe ich mir ja was eingebrockt.

Ich bleibe. Oder besser: ich verharre. Wir kommen irgendwie ins Gespräch. Keine Kommerzkacke, ich interessiere mich wirklich für Musik. Und als ich sage, dass Tocotronic meine Lieblingsband ist, kann ich sogar sowas wie ein kleines Lächeln erahnen. Oder zumindest so ein verräterisches Zucken.

Ich glaube, Detlef hat einen weichen Kern. Dass ich ihn nun genau an dem Tag erwische, an dem er die frischen Erinnerungen ans Wochenende verarbeiten muss, an dem er drei Verabschiedungen von Läden aus seinem Kiez feiern musste, ist mein Pech. Der Kiez gehe kaputt und alle ließen es zu. Niemand würde sich mehr so richtig für die Geschichte des Kiezes interessieren. Langsam verstehe ich seinen Punkt.

Detlef hat 1985 seinen Laden Groove Records in der Pücklerstraße eröffnet. Ziemlich direkt neben der Markthalle Neun verkauft er Platten durch die komplette Bandbreite der Musikvarietät. Nur die Top 100 der Charts, die wolle er nicht bestellen.

Heute heißt der Beruf, den er damals gelernt hat, Musikfachhändler. Ob die Musik von damals noch jemand aus der heutigen Generation aufholen könnte? Er glaube nicht. Was es heute noch an guter Musik gäbe? Na pass uff, ick spiel dir mal wat vor. Ich freue mich. Ich fühle mich aufgenommen. Weicher Kern: ja. Und zwar ein sehr musikalischer.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Ein Happy End für die Kunst

Schwarzlichtkünstler vor Kammergericht erfolgreich

Schwarzlichtkunst von Sinneswandeln.Auch Auftragskunstwerke dürfen nicht so ohne Weiteres zerstört werden. Foto: phils

Sechs Jahre lang haben sich die Schwarzlichtkünstler Sundew und FlashToBe von der Gruppe Sinneswandeln durch alle Instanzen gekämpft – und nun vor dem Berliner Kammergericht Recht bekommen. Mitte 2010 hatten die beiden Künstler für die Schwarzlicht-Minigolf-Anlage im Görlitzer Park zwei aufwendige Installationen und Objekte geschaffen. Sie gingen von einer langjährigen Kooperation inklusive Werkpflege und künstlerischer wie finanzieller Partizipation aus.

Als die Kunstwerke nach circa anderthalb Jahren entfernt und zerstört wurden, klagten sie auf Schadensersatz. Unabhängig davon, ob die Betreiberin Eigentümerin der Werke geworden sei, so ihre Argumentation, sei die Beeinträchtigung eines Werkes durch das Urheberrecht verboten, wenn sie geeignet sei, die berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen des Künstlers zu gefährden.

Doch ist eine Zerstörung gewissermaßen »die maximale Beeinträchtigung«, wie es ihre Anwältin Cornelia M. Bauer ausdrückt? Diese Frage hatte der Bundesgerichtshof (BGH), bei dem die Schwarzlichtkünstler zuletzt Re­vision eingereicht hatten, Anfang des Jahres grundsätzlich bejaht. Ob das Recht des Eigentümers, mit seinem Eigentum zu machen, was er möchte, oder das Recht des Künstlers an seinem Werk überwiege, bedürfe immer einer gründlichen Interessenabwägung. Damit war die Sache ans Berliner Kammergericht zurückverwiesen worden.

Dort sei es vor allem um die Frage gegangen, ob die Betreiberin der Anlage tatsächlich eine Rückgabe der Werke angeboten habe, berichtet Anwältin Bauer. »Doch das konnte nicht nachgewiesen werden.«

Es ist der erste Fall, in dem nach den neuen Grundsätzen des BGH entschieden wurde. Das Urteil ist damit auch ein Stück Rechtsgeschichte. Vor allem stärke es die Position von anderen Künstlern bei Verhandlungen mit Auftraggebern, ist Bauer überzeugt. »Kunst ist kein reines Handelsgut«, diese Auffassung spiegele sich in dem Urteil wider. Häufig werde mit Referenzen geworben. Jetzt sei endlich klar: »Auch Kunstwerke, die als Auftragsarbeit an eine Person übergeben werden, dürfen nicht ohne Weiteres zerstört werden.«

Weg durch die Instanzen hat viel Zeit, Geld und Nerven gekostet

Schwarzlichtkunst von Sinneswandeln.Schwarzlichtkunst von Sinneswandeln. Foto: Sinneswandeln

Als Folgerung daraus seien eine Kooperation auf Augenhöhe und angemessene Verträge gefragt, so Bauer. Für die beiden Schwarzlichtkünstler geht damit ein Rechtsstreit zu Ende, der viel Zeit, Geld und Nerven gekostet hat. Das zugesprochene Schmerzensgeld falle trotz hart errungenem Sieg kaum ins Gewicht, zumal sie einen Großteil der Kosten der ersten Instanz selbst tragen müssen.

»Am Ende geht es darum, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass Kunst einen respektvollen Umgang und eine angemessene Bezahlung braucht«, fasst Schwarzlichtkünstlerin Sundew ihre Motivation für den langwierigen Weg durch die Instanzen zusammen. »Künstlerin ist ein Beruf, von dem Menschen leben müssen, und zur Kunstfreiheit gehört, dass Kunst mit der Gesellschaft kommunizieren darf und nicht einfach aufgrund eines geänderten Geschmacks oder sonstiger Beweggründe ungefragt zerstört wird.« Momentan denke sie darüber nach, eine Diskussionsveranstaltung mit verschiedenen Menschen aus Kultur, Recht und Historik zu organisieren. Ob die Künstler diesen Weg noch einmal gehen würden, sei schwierig zu sagen.

»Man muss die Sache in dem größeren Zusammenhang sehen, dass dabei Positives und neue Rechtswege für alle Künstlerinnen und Künstler entstanden sind. Am Ende ist das eine lange und schwierige Zeit, wo du auf vielen Ebenen, insbesondere in künstlerischer Hinsicht, blockiert wirst. Du ringst darum, dir etwas Verlorenes zurückzuholen und deine künstlerische Integrität zurückzugewinnen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Über die Vielfalt in der Gemeinschaft

Projekt »Art up« präsentiert erste Gemeinschaftsausstellung

Kreuzberg definiert sich auch über seine Künstler. Das ist ein Grund dafür, dass der Bezirk das Projekt »Art up – Erfolg im Team« fördert. Hier sollen Kreuzberger Künstler genau in dem Bereich gestärkt werden, der vielen besonders schwer fällt: der Vermarktung der eigenen Kunst. Geleitet wird das Projekt von Christine Balbach.

Jeder Projektdurchlauf präsentiert sein Schaffen am Ende in einer Gemeinschaftsausstellung. Die fünf Künstlerinnen und Künstler der ersten Gruppe sind Frauke Bohge, Angelika Encke, Juergen Motzel, Francesca Rose und Mirella Thuja. Sie stellen ab dem 10. Januar ihre Werke im K-Salon in der Bergmannstraße 54 aus.

Der Titel der Ausstellung lautet: »Körperschaft – Corporation«. In ihren Gemälden und Digitalcollagen beleuchten sie unterschiedliche Aspekte der beiden Begriffe: Körper, Menschen, Sensationen, aber auch das Stille, scheinbar völlig Körperlose und das Vergangene.

Weiter heißt es in dem begleitenden Text zur Ausstellung: »Anscheinend hat Körperschaft – Corporation wenig mit dem Zusammenspiel des Lebens zu tun. Dieser Begriff impliziert zunächst eine Trennung von Personen und Lebewesen. Dabei existiert eine viel tiefere Bedeutung: Das Wort steht für einen Zusammenschluss von Menschen. Gemeinsam erschaffen die fünf Positionen ein Universum, dessen Klang und Vielfalt überraschend wirken: Wir sehen innere und äußere Welten, Landschaften, urbane Szenen, Geishas und andere Figuren, die eine individuelle, unverkennbare Handschrift tragen. Gleichzeitig verschmelzen sie zu einem organischen Ganzen.«

Die Ausstellung im K-Salon startet am 9. Januar um 19 Uhr mit der Vernissage. Eine Einführung gibt die Künstlerin Lena Braun, die gemeinsam mit der Künstlerin Simone Haack den Praxisworkshop »Ausstellungs- und Veranstaltungsorganisation« begleitet hat.

Ab 10. Januar ist die Ausstellung donnerstags bis samstags von 16 bis 21 Uhr und sonntags von 14 bis 18 Uhr zu sehen. Sie endet am 24. Januar.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Kein Liebeslied

Hobo Johnson & the LoveMakers machen: Liebe

»Hi, wie ist dein Name? Wie geht‘s dir? Wie ist dein Leben? Oh, du hast einen Freund? Bist du verliebt? Wenn ja, auf welche Art?«

So lautet oder so jedenfalls die deutsche Übersetzung des Songs über Peach Scones. Oder, na ja, so zumindest ist der Name des Songs. In Wirklichkeit handelt er vom Verliebtsein. Vielleicht auch vom ersten Mal, verliebt zu sein. Und besonders davon, zum ersten Mal unglücklich verliebt zu sein. Vom Gefühl, dass die Liebe nicht oder nicht so richtig erwidert wird. Davon, dass die Angebete eben schon einen Freund hat. Und von der Frage, ob man wirklich mit ihr zusammen sein will oder eher nur einfach nicht allein sein möchte.

Hier höre ich mit der Zusammenfassung auf. Denn das gelingt eh nicht: Der Songtext ist mindestens doppelt so lang wie der hier vorliegende Text. Und konnte von jeder einzelnen Person im Kreuzberger Privatclub damals im Dezember mitgesungen werden. So gut sogar, dass der Frontmann die Menge manchmal schon stoppen musste.

Weiter heißt es in dem Song: Manche sagen, Hobo Johnson wäre ein Rapper. Aber das ist er nicht. Er produziert sich allein. Und darauf sei er, verdammt nochmal, sehr stolz.

Ich persönlich würde es als gesungene Poesie bezeichnen. Wikipedia sagt: Emo-Rap, HipHop, Spoken Word. Mit Musik nennt sich das Ganze dann Hobo Johnson & the LoveMakers.

Der Name ist Programm. Die Texte handeln so gut wie alle von der Liebe. Zum Leben, zu Menschen oder zum NBA-Verein »Sacramento Kings«.
Dort, in Sacramento, lebte »The Homeless Johnson« eine Weile in seinem Auto. Aus Homeless wurde dann bald Hobo. Aus Auto wurde dann irgendwann Musik machen.
»Ich hatte Tränen in den Augen. Einfach so«, sagt mein nah am Wasser gebauter Freund, als er mir die Empfehlung gibt.

Vielleicht doch nicht einfach so. Irgendwie war ja doch mal jeder zum ersten Mal verliebt. Nur vergessen wir das manchmal. Hobo Johnson vergisst es nicht. Und schafft es, dieses Gefühl erst durch seine Lyrik wieder in Erinnerung zu rufen und dann durch seine expressive Stimme zusammen mit dem eindrucksvollen Gesang wachzukitzeln. Oh, ihr Emotionen!

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Schon wieder Kult?

2020 feiern die Einstürzenden Neubauten 30-Jähriges

Ich lese einen Wikipedia-Artikel. Dort heißt es: »Die Besetzung fluktuierte anfangs und konsolidierte sich 1981 personell um Bargeld, […]«. Ha, denke ich mir, wenn man den Satz jetzt einfach jemandem zu lesen geben würde, da wüsste die Person wohl auch nicht recht, was damit anzufangen wäre.

Auflösung: es gibt einen Menschen, der heißt Blixa Bargeld. Blixa Bargeld hat Bandkollegen und -innen: NU Unruh, Gudrun Gut, Beate Bartel. Nach viel Hin und Her, Für und Wider, und einer gro­ßen Durchmischung kamen FM Einheit, Mark Chung und Alexander Hacke dazu. Und um dieses Namedropping zu beenden und zum Inhalt zu kommen: Heutzutage spielen noch Jochen Arbeit, Rudolf Moser und Felix Gebhard bei den Einstürzenden Neubauten mit.

Blixa Bargeld jedenfalls, die wohl am meisten treibende Kraft der Band, gründete eben diese nach einem Auftritt mit Freunden. Dieser Blixa Bargeld war es auch, der Gerüchten zufolge in den 80ern in der Mittenwalder Straße eine Bar namens »Blechbüchse« betrieb, quasi um die Ecke der heutigen Redaktionsräume der Kiez und Kneipe. Falsch hingegen sind Gerüchte, eine gute Freundin der KuK habe dort Bier gezapft: »Und gezapft hat man damals sowieso nicht, sondern nur Flaschenbier getrunken. Zum Zapfen gab es damals in der Mauerstadt nämlich nur Schulle und Kindl und das war Würg!«, stellt sie richtig.

Einen Musikstil, oder was man so Musikstil nennt, hat die Band nicht. Die zuständigen Schubladen wären hier wohl Post-Punk, Krautrock, Hamburger Schule. Doch lässt sich ihr Schaffen wohl eher durch »Höre ich da gerade ein Didgeridoo aus Abwasserrohren?« beschreiben.

Die Einstürzenden Neubauten bewegen sich zwischen Kult und Kultur. Blixa Bargeld ist ein Phänomen – und dabei lebt er noch. Und auch wenn die Bewerbung der neuen Platte auf der Website wohl vor Eigenlob trieft, schafft es die Band, soweit ich das beurteilen kann, seit fast 30 Jahren, sympathisch zu bleiben. Sie sind dann eben doch das Original, das alles irgendwie so macht, dass es schon passt. Sind wir gespannt, welche klangvollen Namen das in Zukunft noch einschließen wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2019.

Die Suche nach Freiheit

An welchen Song denken Sie beim Stichwort Mauerfall?

Freiheitslieder gibt es ja so einige. Kaum eine Sängerin, kaum eine Band, kein Liedermacher hat kein Lied, in dem sie über den Drang, den Wunsch oder die Schönheit der eigenen Entscheidungsmacht singen.

Neben meinem geliebten »I want to break free« von Queen und dem hinreißenden »Free as a bird« von den Beatles ist beim Thema 30 Jahre Mauerfall natürlich ein ikonischer Name an erster Stelle zu nennen. Um ihn ranken sich Mythen, manche sagen, er sei der Grund für den Mauerfall: David Hasselhoff, der Mann, der betrunken Burger isst.

Hinter dem Song steckt allerdings eine viel interessantere Geschichte als ein einfaches, melodramatisches Freiheitslied. Erstmals nämlich erschienen ist das Meis­terwerk bereits 1978, interpretiert von Marc Seaberg, einem Mann, der im zarten Alter von 6 Jahren das erste Mal auf einer Bühne in seiner Heimatstadt Erlangen stand. Produziert hat das Ganze ein gewisser Mann namens Jack White.

Jack White?, mag man sich da fragen. Wissentlich, dass der White-Stripes-Seven-Nation-Army-Jack-White da gerade einmal drei Jahre alt war und wahrscheinlich noch nicht einmal eine Gitarre halten konnte. Der Jack White, geborener Horst Nußbaum, hingegen war anfangs ein Fußballspieler. Beim SC Viktoria Köln entdeckt wechselte er später zur niederländischen Liga und holte dort sogar einen Vizemeistertitel, bevor er »Looking for Freedom« dann 1978 als Musikproduzent eben mal auf Platz 14 der deutschen Charts katapultierte.

Und genau dieser Jack White produzierte 1989 den Song und das gleichnamige Album, das den damals vielleicht noch nüchternen David Hasselhoff auch als Sänger so berühmt machte. Und auch wenn er wohl maßgeblich am Fall der Mauer beteiligt war, frage ich mich, ob er nicht lieber bei seinem Knight Rider hätte bleiben sollen.

Fragen über Fragen, doch am Ende bleibt nur noch die spannendste zu klären: Zufall oder Schicksal? Hat sich John Anthony Gillis, der Gitarrist und Sänger der White Stripes, nach dem Produzenten von »Looking for Freedom« benannt? Und wenn ja: Warum?

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.