»Wenn wir immer einig wären, wären wir in einer Partei«

Die künftige Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihr Stellvertreter Oliver Nöll im Gespräch

Oliver Nöll (Linke) und Clara Herrmann (Grüne)Oliver Nöll und Clara Herrmann beim Gespräch mit Kiez und Kneipe. Foto: rsp

Ein Blick auf das Wahlergebnis in Friedrichshain-Kreuzberg ließe vermuten, dass es im Bezirksamt genau so weitergehen könnte, wie in den vergangenen fünf Jahren. Tatsächlich ändert sich aber eine ganze Menge – und das liegt nicht nur daran, dass es künftig sechs statt fünf Stadträte und Stadträtinnen geben wird. Kiez und Kneipe hat sich mit der künftigen Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihrem neuen Stellvertreter Oliver Nöll getroffen, um zu erfahren, was die Bürgerinnen und Bürger in den nächsten fünf Jahren vom neuen Bezirksamt erwarten können.

Die erste Erkenntnis aus diesem Gespräch ist: Zwischen der Grünen und dem Linken stimmt die Chemie. In vielen Bereichen sind die Ansichten nahezu deckungsgleich. Allerdings betont Oliver Nöll auch die Unterschiede: »Wenn wir alle einer Meinung wären, dann wären wir in der gleichen Partei.« Seine Partei, die Linke, profitiert im Übrigen von der Neuordnung, denn für sie gibt es einen Stadtratsposten mehr, den Regine Sommer-Wetter einnehmen wird. Für die Grünen rückt Annika Gerold nach. Clara Herrmann, Florian Schmidt und Andy Hehmke von der SPD gehörten dem Bezirksamt schon in den vergangenen fünf Jahren an.

Was den Zuschnitt der Ressorts bestrifft, wird sich einiges ändern: Clara Herrmann dazu: »Durch die neuen Regelungen sind wir in unseren Ressortzuschnitten eingeschränkt. Bestimmte Kombinationen sind nicht mehr möglich.« Trotzdem zeichnet sich ein Ressortzuschnitt ab: Der Bürgermeisterin fällt nun automatisch das Ressort Finanzen zu, das Clara Herrmann aber ohnehin schon in den letzten fünf Jahren verwaltet hat. An ihren Stellvertreter Oliver Nöll gehen Arbeit und Soziales sowie Bürgerdienste. Schulstadtrat Andy Hehm­ke wird das Ordnungsamt abgeben. Das geht wohl an Annika Gerold, die auch die öffentlichen Räume mit dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) verwalten soll. Jugendstadträtin wird Regine Sommer-Wetter.

Florian Schmidt bleibt Baustadtrat. Er war in der vergangenen Legislatur das umstrittenste Mitglied des Bezirksamts. Doch Oliver Nöll signalisiert, dass sich seine Fraktion dem Personalvorschlag der Grünen nicht entgegenstellen wird. Er legt auch Wert auf die Feststellung, dass die Linke sich nie gegen das Instrument des Vorkaufsrechts gestellt habe. Nur in der Umsetzung sei man nicht immer einer Meinung gewesen.

Doch das Vorkaufsrecht ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jetzt erst einmal Geschichte. Clara Herrmann nennt das »eine Katastrophe« und sieht nun die neue Bundesregierung in der Pflicht. Dem schließt sich ihr künftiger Stellvertreter ausdrücklich an.

Während auf vielen Gebieten nahezu Harmonie herrscht, gibt es einen Bereich, an dem die unterschiedlichen Standpunkte sehr deutlich werden. Es geht um das Thema Verkehr. Zwar sind sich beide einig, dass eine Verkehrswende im Bezirk umgesetzt wird, doch beim Wie gehen die Meinungen auseinander. Clara Herrmann setzt hier voll auf die Initiativen der Kiezblocks. Sie verweist darauf, dass es zwar auch bei der hochumstrittenen Umwandlung der Bergmannstraße sehr heftige Debatten gegeben habe, »aber am Ende hat das mit der Beteiligung sehr gut funktioniert. Wie wir das auf den letzten Metern gemacht haben, kann auch eine Blaupause dafür sein, wie man das in anderen Kiezen angeht.«

Hier widerspricht ihr Oliver Nöll. »In der Bergmannstraße wohnt jetzt nicht gerade das Prekariat«, meint er. Grundsätzlich sind die Linken der Meinung, dass die Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungen mehr mitgenommen werden muss.

Ein großes Thema in ganz Berlin sind die Bürgerdienste. Bürger, die monatelang auf einen Reisepass oder einen Personalausweis warten und dann von Kreuzberg möglicherweise auch noch nach Hellersdorf oder nach Spandau fah­ren müssen, sind keine Ausnahme, sondern fast schon die Regel. Bundesweit gilt das als Paradebeispiel für die dysfunktionale Verwaltung Berlins. Jüngst hatte ausgerechnet der ehemalige regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Bezirksämter für das Versagen verantwortlich gemacht.

Das macht die beiden Kommunalpolitiker gleichermaßen wütend. Tatsächlich sei die zentrale Terminvergabe ja unter Wowereits Regierung eingeführt worden, die gleichzeitig auch die Mittel so stark gekürzt habe, dass das Personal immer stärker zurückgefahren wurde.

Doch beide belassen es nicht bei Schuldzuweisungen, sondern haben auch ganz konkrete Vorschläge, wie die Situation entschärft werden kann.

»Beim Ausweis zum Beispiel«, meint Clara Herrmann, »würde ich mir wünschen, dass man einen Hinweis vom Bürgeramt bekommt, wenn er ausläuft, und gleichzeitig einen Terminvorschlag für die Verlängerung.«

Oliver Nöll regt an, den Antrag von Personalausweisen und Reisepässen zu digitalisieren. Der Abgleich von Bild und Unterschrift könne dann bei der Abholung geleistet werden.

Da dieser Bereich in die Zuständigkeit des Landes falle, könne der Bezirk aber immerhin versuchen, hier Einfluss zu nehmen. Für neue Verfahren könne der Bezirk auch Vorreiter sein, dazu sei er bereit.

Darüber hinaus glaubt Clara Herrmann, dass Dinge, die immer wieder neu beantragt werden müssen, nicht jedesmal mit einem Gang aufs Bürgeramt verbunden sein sollten. Sie nennt als Beispiel Anwohner-Park­ausweise. »Das könnte man machen wie mit einem Zeitungsabo, das sich auch immer wieder verlängert. Nur wenn sich etwas verändert, müsste man dann noch kommen.«

Um die Arbeit des Bezirks effektiver zu machen, benötigt es allerdings Geld. Und das ist ein Punkt, der ebenfalls beiden Sorgen macht. Während die Kommunen in den Flächenstaaten über eigene Steuereinnahmen, etwa über die Gewerbesteuer, verfügen, hängen die Bezirke Berlins komplett am Tropf des Senats. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit sogar immer wieder Bestrebungen gegeben, die Bezirke als un­ters­te Verwaltungseinheit komplett abzuschaffen. Ein sogenannter Verfassungskonvent soll in der neuen Legislaturperiode das Verhältnis zwischen Senat und Bezirken klären. Bestrebungen hin zu mehr Zentralismus in Berlin erteilen beide eine entschiedene Absage. Clara Herrmann weist darauf hin, dass sowohl sie selbst als auch Oliver Nöll ja durchaus auf Erfahrungen auf Landes­ebene verweisen können, sie als ehemalige Abgeordnete und er als Bediensteter in der Senatsverwaltung für Soziales.

Allerdings droht jetzt erst einmal Ungemach: Es gibt noch keinen Haushalt, sondern nur einen Senatsbeschluss. »Wenn der zum Tragen kommt, müssen im Bürgeramt Stellen abgebaut werden«, meint Oliver Nöll und Clara Herrmann fügt hinzu: »Das betrifft nicht nur das Bürgeramt, sondern alle Bereiche.

Beide hoffen, dass es soweit nicht kommt. Oliver Nöll erinnert die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey an ihr Versprechen. »Sie hat mit diesem Thema Wahlkampf gemacht und versprochen, dass es allen Berlinern besser gehen wird. Das bedeutet, dass wir an dieser Stelle mehr Geld brauchen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2021.

Die Nacht ist nicht lang genug

Marcel Marotzke hat eine Filmidee

Ein Glas Grüne Berliner Weisse»Weisse mit Schuss. Gerührt, nicht geschüttelt.« Foto: cs

Man kann über die Corona-Pandemie und die Social-Distancing-Maßnahmen sagen, was man will, aber zu einem waren sie immerhin gut: Ich konnte mich endlich einmal mit dieser DVD-Box beschäftigen, die vor ein paar Monaten im Sonderangebot war: eine vollständige Sammlung sämtlicher James-Bond-Filme, die bislang erschienen sind und von denen ich tatsächlich einige noch nicht kannte.

Der Film-Marathon brachte im Wesentlichen drei Erkenntnisse:

Erstens: Eigentlich gibt es nur ein bis zwei wahre Bond-Darsteller.

Zweitens: Das ist aber egal. Heutzutage darf offenbar jeder Bond spielen.

Drittens: Die Handlung ist eigentlich genauso beliebig wie die Besetzung.

Aus all dem folgt zwingend, dass es auch genauso gut einen Kreuzberger Bond-Ableger geben könnte, um nicht zu sagen: sollte.

»Mein Name ist Grabowski. Günther Grabowski.« Als Doppelschrägstrichagent im Geheimdienst des Ordnungsamtes hat Grabowski, von den Kollegen nach seinem Stellenkürzel stets »//7« genannt, die Lizenz zum Abschleppen. Er berichtet direkt an M, die ihn als Bezirksbürgermeisterin mit den wirklich heiklen Aufträgen betraut.

Seine jüngsten Ermittlungen im Kneipenmilieu führen ihn auf die Spuren der mächtigen Geheimorganisation DEHOGA, die offenbar die Übernahme der kulinarischen Weltherrschaft plant. Nach einer wilden Nacht mit Punk-Mädchen Heike, Bedienung in einer widerständigen Alternativkneipe in SO 36, kommt es zu einer Verfolgungsjagd auf dem Landwehrkanal, bei der ein Ausflugsdampfer der Reederei Riedel kentert und einige Gitarren von Touristen auf der Admiralbrücke zu Bruch gehen. M ist not amused über //7s Vorgehensweise, die dem Bezirkshaushalt empfindlichen Schaden zugefügt hat. Auch Q, Bastler in einem Friedrichshainer Maker-Space, ist wenig erbaut vom Ablauf der Verfolgungsjagd, weil dabei das von ihm konstruierte schwimmende Dienstlastenfahrrad vollständig zerstört wurde.

M, eigentlich loyal zu ihrem Mitarbeiter, hat keine andere Wahl, als Grabowski vorübergehend freizustellen, auch weil seitens des Senats Vorwürfe laut wurden, Grabowski sei ein Maulwurf der Gegenseite. Doch beim Verlassen von Ms Büros überreicht ihre Sekretärin Gudrun Moneypenny //7 ein Dossier, aus dem sich ein Zusammenhang des Falles mit den Machenschaften der Immobilienbranche ergibt.

Während des Umzugs beim Karneval der Kulturen kommt es schließlich zum Showdown. Grabowski kapert eine Kameradrohne des rbb und gelangt nach einer spektakulären Stunt-Szene auf das Dach des Post-Towers, wo Oberschurke Christian Blofeld sein Hauptquartier bezogen hat. An seiner Seite: eine weiße Katze und ein buntes Punk-Mädchen. Heike ist die unfreiwillige Gespielin des Bösewichts!

Tja, und an dieser Stelle sollte jetzt eigentlich das ganze Gebäude einstürzen, dem Grabowski und Heike in letzter Sekunde mit Blofelds Privat-Gyrokopter entkommen. Leider war der Baustadtrat für die Einholung der Genehmigung telefonisch nicht erreichbar.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2020.

Verbotene Verbote

Was ist eigentlich unerträglicher? Diese üblen Plakate der NPD? Der Versuch, sie zu verbieten? Oder die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das Verbot zu verbieten? Genau in dieser Abfolge liegt die Dramaturgie des Infamen. Dr. Peter Beckers ist ein ehrenwerter Mann und er wurde von ehrenwerten Motiven geleitet, als er mit einer Untersagungsverfügung die NPD zwingen wollte, die Plakate wieder abzunehmen. Aber was hat er damit erreicht? Er hat eine Niederlage vor dem Verwaltungsgericht erlitten, die der Demokratie mehr schadet und der NPD mehr nützt, als ein paar geschmacklose Plakate. Vielleicht ist es mal Zeit es in der Härte zu sagen: Der Satz »Die NPD muss mit aller Entschiedenheit bekämpft werden«  ist schlicht und einfach falsch. Genau aus diesem Kampf schöpfen die Braunen doch ihre Lebenskraft. Sie müssen doch provozieren, alleine darin sehen sie doch ihre Existenzberechtigung. Jeder weiß doch, dass die NPD keine Unterabteilung der Heilsarmee ist. Die Rechten tun doch genau das, was man von ihnen erwartet.

Es müßte ganz anders heißen: »Die NPD muß mit aller Klugheit und Intelligenz bekämpft werden.« Der sonst nicht immer geschmackssichere Martin Sonneborn hat es mutmaßlich vorgemacht, als er die »Gas geben«-Plakate mit Haiders Todeswrack überkleben ließ. Das allerschlimmste, was der Demokratie im Bezug auf die Rechten passieren kann, ist, dass sie sich immer wieder an den Schranken des Gerichts eine blutige Nase holt. Darüber freuen sich am Ende nur die Rechten. Sonst keiner.

Bezirk muss NPD-Plakate dulden

Die NPD hat ihren Vorsitzenden Udo Voigt an einen Laternenmast gehängt und ihm die Worte: »Gas geben« in den Mund gelegt. Kreuzberger Farbbeutel-Kunstwerfer haben dazu ihr eigenes Statement abgegeben. Foto: psk

Ausgerechnet in der Kreuzberger Lindenstraße, in Sichtweite des Jüdischen Museums hat die NPD Wahlplakate angebracht, auf denen der zynische Spruch »Gas geben« zu lesen ist. Der stellvertretende Bezirksbürgermeister Peter Beckers reagiert als Leiter der Ordnungsamtes darauf mit einer Untersagungsverfügung. Der NPD wurde dabei ein Zwangsgeld angedroht, wenn sie nicht die Plakte mit dem Inhalt »Gas geben« und »Gute Reise« aus dem Straßenbild entfernen würde. »Bei den beiden Plakaten handelt es sich nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums um Äußerungen, die nicht zu billigen sind und die den Tatbestand der Volksverhetzung nach dem Strafgesetzbuch erfüllen, so dass ein behördliches Eingreifen geboten ist«, erklärt Dr. Peter Beckers. Das wurde am 7. September gegen Mittag als Pressemitteilung verbreitet. Doch letztlich blieb es nur bei dem Versuch, sich der rechten Wahlpropaganda zu entledigen.

Am gleichen Tag entschied die erste Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts: Die Plakate dürfen hängen bleiben. Das Gericht wollte in den Inhalten keine Volksverhetzung sehen. Zwar schließt das VG nicht einmal aus, dass das »Gas geben« auf die Verfolgung der Juden im dritten Reich abzielt, aber die Kammer zieht auch in Betracht, dass eine andere Deutung möglich sei.

Die Kreuzberger haben allerdings schon vor Wochen ihre Haltung zu den Plakaten der NPD deutlich gemacht. In der Lindenstraße hängt kein einziges NPD-Plakat, das nicht durch Farbbeutel ziemlich unkenntlich gemacht wurde. Dabei hingen diese »Werbemittel« sowieso stets ganz oben an den Laternenpfählen. Wäre eigentlich auch ein guter Slogan für die NPD: »Höher hängen«.

Heiter bis wolkig

1. Mai in Kreuzberg verlief weitgehend friedlich

Frau mit kleinem Kind auf dem Arm, das Ohrenschützer trägtEin ruhiger 1. Mai – wer wünscht sich das nicht? Foto: rsp

Noch wenige Tage vor dem 1. Mai waren die Medien geprägt von übelsten Befürchtungen zum Verlauf der Kreuzberger Maifeierlichkeiten. Doch trotz Schwarzmalerei im Vorfeld verlief die Traditionsveranstaltung bis auf einige wenige Scharmützel weitgehend friedlich.

Dazu trug sicher auch die gelöste Stimmung nach dem erfolgreich verhinderten Nazi-Aufmarsch in Prenzlauer Berg bei. Linke Gegendemonstranten hatten am Nachmittag, teilweise gewissermaßen gemeinsam mit der Polizei, die Straßen blockiert, so dass die Rechtsextremisten ihre Route auf rund 800 Meter verkürzen mussten. Im Kreuzberger MyFest-Gebiet rund um den Mariannenplatz wurde derweil kräftig gefeiert und gebechert – im wahren Sinne des Wortes, denn das Glasflaschenverkaufsverbot des Bezirks (KuK berichtete im April) wurde relativ konsequent durchgesetzt. Selbst die Aral-Tankstelle in der Skalitzer Straße musste ihr Sortiment kurzfristig auf Bier in Plastikflaschen umstellen – offiziell über das Verkaufsverbot informiert wurde Tankstellenpächter Thomas Kalweit erst am Morgen des 1. Mai.

Nicht ungetrübt war die Veranstaltung auch für die Organisatoren des »Netzwerk MyFest«. Nach Angaben der Initiative, die seit 2003 das MyFest organisiert, wurde der Etat für Bühnen durch den Bezirk gekürzt, so dass die ursprünglich geplante Rockbühne am Oranienplatz kurzfristig abgesagt wurde. Die Finanzierung notwendiger Sicherheitsmaßnahmen wäre auch mit Erlösen aus Getränkeausschank nicht gewährleistet gewesen.

Räuber und Gendarm

Für einige Aufregung sorgte dieses youtube-Video

Zu kleineren Reibereien zwischen Polizei und Demonstranten kam es im Zuge der traditionellen 18-Uhr-Demo. Für einige Aufregung sorgte allerdings eine im Laufe des Abends beim Video­portal youtube veröffentlichte Aufnahme, die zeigt, wie ein Demonstrant am Spreewaldplatz von einem Polizisten ins Gesicht getreten wird. Erfreulicherweise hat die Polizei noch am Abend mit internen Ermittlungen begonnen.

Doch auch die Polizei hat mindestens einen schwerverletzten Beamten zu beklagen, der allerdings nicht, wie es zunächst hieß, mit einem Messer in den Rücken gestochen wurde.

Rangeleien mit der PolizeiNachts um drei kam es nur noch zu den üblichen Rangeleien. Foto: rsp

Spätestens als gegen 22 Uhr Regen einsetzte, war der größte Teil des Krawalls vorbei, vermutlich auch, da zahlreiche potentiell Beteiligte den Heimweg antraten. Erst einige Stunden später kam es in der Adalbertstraße noch zu den üblichen »Räuber-und-Gendarm«-Spielchen. Ausgehend von einigen wenigen amüsierwilligen Krawallmachern, die mitgebrachte Feuerwerkskörper und herumliegenden Müll entzündeten, sahen sich die Ordnungshüter schließlich genötigt, die Straße gegen 4 Uhr morgens komplett zu räumen.

Beste Gelegenheit für die BSR, den gesammelten Müll eines rauschenden Festes von den Straßen zu schaffen. Der bestand – insofern ging die Rechnung des Bezirks auf – tatsächlich kaum aus Glasscherben sondern zum größten Teil aus Plastikbechern.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2010.

Alkoholfrei in den Mai

Bezirksamt verhängt Verkaufsverbot für Glasflaschen

Wer am Morgen eines 2. Mais zwischen Mariannenplatz und Kotti durch die Straßen von Kreuzberg 36 schlendert, darf sich auf das Durchwaten etlicher Scherbenhaufen gefasst machen. Wenn es nach dem Bezirksamt geht, soll sich das dieses Jahr ändern.

Bald arbeitslos? (Glas-)Flaschensammler auf dem Mariannenplatz Foto: rsp

In einem im Internet veröffentlichten Schreiben teilte man Mitte März den Anwohnern und ansässigen Gewerbetreibenden mit, dass dieses Jahr ein umfassendes Verkaufsverbot für Glasflaschen und Getränkedosen bestehe. Darüber hinaus dürfe an Anwohnerständen kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden, auch nicht in Pappbechern. Auch wolle man die ohnehin bestehenden gesetzlichen Regelungen zu Ladenöffnungszeiten konsequent verfolgen. Im Klartext heißt das, dass Kiosk- und Spätkaufbesitzer ihre Geschäfte nicht öffnen dürfen und auch Dönerläden und Kneipen der Außer-Haus-Verkauf von Glasflaschen untersagt ist.

Begründet wird das Verkaufsverbot mit der Unfallgefahr, aber auch mit der besonderen Eignung von herumliegenden Flaschen als Wurfgeschoss bei den alljährlichen Randalen. Und »auch gefüllte Dosen«, so der stellvertretende Bezirksbürgermeister Dr. Peter Beckers, »sind Wurfgeschosse.«

Mit Vorgaben oder Vorschlägen der Polizei habe die neue Regelung nichts zu tun, vielmehr handle es sich Ideen der MyFest-Organisatoren, erklärte Beckers weiter. Betroffen ist das gesamte Areal zwischen Mariannenplatz, Oranienplatz und Skalitzer Straße.

Eben dort, Skalitzer Ecke Mariannenstraße, befindet sich der Getränkehändler, der am 1. Mai vermutlich den größten Umsatz erwirtschaftet: Die Aral-Tankstelle von Thomas Kalweit. Laut Beckers soll das Flaschenverkaufsverbot auch hier gelten.

Glasflaschenverkaufsverbot soll auch für Tankstelle gelten

Für Thomas Kalweit würde ein Verkaufsverbot einen Umsatzausfall von 40.000 Euro bedeuten, immerhin mehr als ein Viertel des MyFest-Etats. Bescheid gesagt hat ihm indessen noch niemand. »Da kann man mir auch nicht mit Staatsraison kommen«, sagt der Aral-Pächter, der der Angelegenheit aber gelassen entgegensieht und auch auf die Lobby seiner ‚Company‘ vertraut.

Das mit der Regelung einhergehende faktische Alkoholverkaufsverbot hält er selbst für keine gute Idee: »Solange die immer noch ihren Alkohol kriegen, sind sie friedlich.«

Wenn er wirklich kein Bier verkaufen darf, wird er seine Tankstelle am 1. Mai einfach schließen. Das wäre ärgerlich für die Einsatzkräfte von Polizei und Rettungsdienst, dient ihnen doch die Tankstelle traditionell auch als eine Art Knotenpunkt und Rückzugsort.

Noch ist nicht hundertprozentig sicher, ob sich das Flaschenverbot tatsächlich auch auf die Aral-Tankstelle bezieht, und Kalweit will erst einmal abwarten, bis er direkt vom Ordnungsamt angesprochen wird. Fest steht aber schon jetzt, dass das Vorhaben des Bezirksamts in der Umsetzung nicht unproblematisch sein wird. Das Mitbringen von Flaschen in die ‚Bannmeile‘ ist nicht verboten, folglich wird es auch keine Taschenkon­trollen geben, die, wie es hieß, ohnehin nicht politisch gewünscht seien. So dürfte es, was den Alkoholkonsum aber auch die Anzahl potentieller »Wurfgeschosse« angeht, kaum einen Unterschied zu den Vorjahren geben, in denen teilweise sogar noch Mehrweg-Flaschen zum Zwecke der Müllvermeidung propagiert wurden.

Für Kalweit, aber vor allem auch die vielen kleinen Geschäfte in der Festzone werden die Umsatzeinbußen sicher spürbar sein. Profitieren werden höchstens die Betreiber der wenigen Alkohol ausschenkenden Stände, die in der Nähe von Bühnen genehmigt werden. Abzuwarten bleibt, wie die Besucher angesichts der Mangelsituation reagieren. Ob Alkoholentzug bei den Feierwilligen zur guten Laune beiträgt, ist wohl eher ungewiss.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2010.

Club im Clinch

Hausverwaltung kündigt dem SO36

Anstatt sein 30. Jubiläum in Ruhe zu feiern, muss sich das SO36 in der Oranienstraße mit immer neuen Problemen herumschlagen.

Mitte des Monats fanden die Betreiber des über die Grenzen der Stadt bekannten Veranstaltungsortes die Kündigung ihres Mietvertrags in der Post. Der Grund: die ausstehende August-Miete, die mitt­lerweile beglichen ist. Vorangegangen waren dem Schreiben diverse Auseinandersetzungen des Betreiberkollektivs mit der Hausverwaltung über vom Ordnungsamt geforderte Baumaßnahmen – eine 80.000 Euro teure Schallschutzmauer war die letzte Hoffnung gegen einen beständig über Lärm klagenden Nachbarn des Clubs.

Immerhin die Hälfte der immensen Kosten für die Mauer sind mitt­ler­wei­le durch Spenden und ein Benefizkonzert der Toten Hosen zusammengekommen, aber die Hausverwalterin Simone Stober scheint dem Vorhaben skeptisch gegenüber zu stehen. Zumindest ließ sie dem »Tip« gegenüber verlauten, dass sie bezweifelt, ob eine Mauer überhaupt etwas bringt. Auch ihre Äußerungen in der Berliner Zeitung erwecken den Eindruck, dass der legendäre Punk-Schuppen nicht ihr Traummieter ist. Sie wünscht sich eine »harmonischere« Oranienstraße, in der sich auch Familien wohlfühlen

Fünf der sieben Häuser in der »O-Straße«, die von der Firma Retus verwaltet werden und der Schwiegermutter von Simone Stober gehören, sind bereits saniert, und die Mieten wurden deutlich erhöht.

Auch die traditionsreiche Ecke rund um den Heinrichplatz ist inzwischen von der Gentrifizierungswelle überrollt worden. Die »Aufwertung« gewachsener Kiezstrukturen durch die Schaffung von höherwertigem und -preisigem Wohnraum für Familien und Besserverdienende hat schon für so manche kulturelle Institution das Aus bedeutet, Institutionen, die gerade das spezielle Flair und damit die Attraktivität des Kiezes ausmachen.

Im Falle der Institution SO36 gibt es noch eine leise Hoffnung. Immerhin redet man inzwischen wieder miteinander. Am 24. September saßen Betreiberverein, Hausverwaltung und Bezirksbürgermeister Franz Schulz zusammen am Runden Tisch, und sowohl im Bezirksamt als auch auf der Web­seite des SO36 ist man zuversichtlich, das Gespräch soll konstruktiv verlaufen sein.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2009.

Es geht voran

Die Bedeutung der Baucontainer im Kiez

Der Blick auf schutt­überladene Baucontainer beim Spaziergang durch den Kiez regt den Gedanken an, die Renovierung Kreuzbergs schreite voran. Da keimt die Hoffnung auf eine Zukunft in einer zentralbeheizten Altbauwohnung mit gefliestem Badezimmer, Geschirrspülmaschine und romantischer Aussicht auf die Hasenheide auf. Doch der Blick auf die Marktsituation zum Beispiel in der Bergmannstrasse lässt dieses Luftschloss zerplatzen wie eine Seifenblase. Eine solche Wohnung muss man sich heutzutage schon kaufen, dumm nur, dass sich das kaum einer leisten kann.

Wo wie hier gebaut wird steigen vermutlich bald die Mieten.

Foto: pskWo wie hier gebaut wird steigen vermutlich bald die Mieten. Foto: psk

Dass hier irgendetwas schiefläuft, fiel sogar der Wirtschaftswoche auf. Im März 2009 bescheinigte sie dem Berliner Immobilienmarkt den drittletzten Platz: Mäßige Wirtschaftskraft, sehr mäßige Standortqualität, stagnierende Sozialstruktur – alles durch die Brille des Kapitalanlegers gesehen.

Doch unverdrossen wird weiter renoviert, entmietet, die Miete erhöht und gebaut. Nun hat ein aktiv-kreativer Umgang der Kreuzberger mit gesellschaftlich wirtschaftlichen Gegebenheiten eine lange Tradition. Die Polit-Bewegung der 70er mündete fließend in die Hausbesetzer-Bewegung der 80er, die sich gegen spekulativ erzeugten Leerstand richtete, der Platz für schöne neue Betonbunker geschaffen hätte.

Paradoxerweise wird der Erfolg dieser Hausbesetzer-Bewegung dem Kiez jetzt zum Verhängnis. Das Blatt hat sich gewendet, trotz schlechter Bewertung in Kapital-Fachzeitschriften treten auf dem Kreuzberger Wohnungsmarkt vermehrt solvente Käufer auf, die schicke, szenenahe Altbau-Eigentumswohnungen zu horrenden Preisen erstehen. Aber keine Sorge, auch diese Käufer tragen ihr eigenes Paradoxon mit sich herum. Ist der Umzug ersteinmal überstanden, geht es an die Neustrukturierung des Wohnumfeldes. Wer zwischen zweihunderttausend und einer Million Euro für eine Eigentumswohnung hinblättert, toleriert keine Lärmbelästigung. Mit Hilfe des Ordnungsamtes wird genau die Szene, wegen deren Nähe der Preis gezahlt wurde, mundtot gemacht. Kiez und Kneipe berichtet seit geraumer Zeit über die einschlägigen Probleme der Wirte in dieser Hinsicht.

Trotz der aktuellen Maßnahmen zum Milieuschutz scheint der Raum für die lebendige Szene in Kreuzberg zu schwinden. Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen?

Die politischen Direktkandidaten fordern – je nach politischer Couleur – Veränderungen im Mechanismus der Vergleichsmieten (Wawzyniak), Mietpreisbindungen (Ströbele), Raumzuweisungen für Kulturschaffende (Böhning), flexiblere Handhabung amtlicher Auflagen (Löning) oder bedingungsloses Grundeinkommen (Lengsfeld). Ob irgendeine dieser Maßnahmen gegen einen Verdrängungswettbewerb wirkt, der über die Umwandlung in (oder »Schaffung von«) Eigentumswohnungen geführt wird, bleibt zu beobachten. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass überhaupt Schutzmaßnahmen durchgesetzt werden können.

Kultur und Szene werden von real existierenden, lebendigen Menschen gemacht. Falls die aktuellen Tendenzen anhalten, werden diese Menschen durch einen Typus verdrängt, der »Szene« als ein Produkt begreift, das man kaufen und konsumieren kann. Es bleibt die Frage, wie ein kreativer Umgang mit solchen Gegebenheiten aussehen könnte. Die ersten Flucht-Tendenzen nach Neukölln werden sichtbar – sollte sich die Geschichte dort wiederholen? Der gemeinschaftliche Kauf eines Bonner Stadtteils und anschließende Umwandlung à la Worpswede scheint wenig wahrscheinlich und es ist als Kreuzberger auch nicht einzusehen, weshalb man sich von seinem eigenen Publikum aus der Stadt jagen lassen sollte.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

Glück und Pech und Willkür

»Glücksrad könnte auch zu Jubel führen, und Sie wissen, das dürfen Sie nicht.« Diese Auskunft einer Mitarbeiterin des Umweltamtes war wenig hilfreich für Gerald, Wirt des Anno64, der unlängst sämtliche Konzerte in seiner Kneipe bis auf weiteres absagen musste und jetzt nach Alternativen sucht. Denn für Live-Musik fehlt ihm die passende Konzession, und ohne beträchtlichen finanziellen Aufwand für Lärmschutzmaßnahmen und Gutachten wird sich daran auch nichts ändern. Denn was schon immer geduldet wurde, wird auf einmal behördlich verfolgt. Und damit ist Gerald nicht alleine. Die meisten Gastwirte im Kiez hatten schon Besuch vom Ordnungsamt und fühlen sich immer mehr gegängelt. Daher lud die KuK eine Reihe von Wirten zu einem Treffen ein, um über die Problematik zu sprechen.

Joachim vom Valentin konnte von ähnlichen Problemen berichten. Für seinen »Kabarettistischen Jahresrückblick« hatte er eigens eine Sondergenehmigung für 200 Euro beantragt – nachdem er einen längeren Behördenmarathon zwischen Ordnungs- und Umweltamt absolviert hatte. Dabei nützt ihm der teure Wisch im Zweifelsfall auch nichts, sollte es Beschwerden über Lärmbelästigungen geben. Und die gibt es bei fast jedem Gastronom, und sei es, weil er seine Gäste vorschriftsmäßig zum Rauchen vor die Tür schickt.

Vor die Tür schicken muss auch Sylvia ihre Gäste, denn weil es im hinteren Bereich Billard und Kicker gibt, herrscht im Logo trotz eigens eingerichtetem Raucherraum Rauchverbot. Gerade im Winter gehen da viele Gäste lieber gleich nach Hause statt noch auf ein Bier wieder reinzukommen. Andere Wirte, wie zum Beispiel Andreas vom Backbord, gerieten in Konflikt mit der behördlichen Definition von »zubereiteten Speisen«: Obwohl das Backbord unter die Einraumkneipenregelung des Bundesverfassungsgerichtes fällt, darf er das Rauchen nicht erlauben, ohne sein Essensangebot einzustellen. Genau das hat er jetzt getan, denn seinen Gästen ist die Möglichkeit, auch im Winter im Warmen zu rauchen, wichtiger.

»Glück und Pech und Willkür finden momentan ganz unten statt«, meint Andreas. Denn häufig scheint es von der Tagesform der Kontrolleure abzuhängen, was erlaubt sein soll und was nicht oder welche Bußgelder fällig werden.

So erntete dann auch Sylvias Vorschlag, sich einen gemeinsamen Rechtsbeistand zu suchen, der auch die einzelnen laufenden Verfahren miteinander vergleicht, regen Zuspruch. Überhaupt würde sie gerne eine Art Interessensgemeinschaft gründen, die dem Erfahrungsaustausch dienen soll. Zwar wurden organisatorische Details noch vertagt, doch einigte man sich darauf, sich auf jeden Fall wiedertreffen zu wollen. Dann sollen auch weitere ‚Schlachtpläne‘ geschmiedet werden, um die schwierige Situation gemeinsam zu meistern. Gefragt sein werden einerseits Ideen, wie die Bedrohung der Kneipenkultur auch politisch zu thematisieren ist, andererseits gilt es, die Probleme auch als Chance für neue Konzepte wahrzunehmen und zu nutzen. So hat etwa Gerald gerade ein neues Programm angekündigt – mit wöchentlichen Terminen für Kartenspiel und After-Work-Partys, letztere sogar mit Glücksrad. Jetzt kann er nur hoffen, dass der Jubel unbemerkt bleibt.

Der Wirtestammtisch trifft sich wieder am 16.3. um 18:00 Uhr im Mrs. Lovell’s in der Gneisenaustraße 53. Weitere interessierte Gastwirte sind herzlich eingeladen vorbeizukommen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2009.