WM oder nicht WM, das ist hier die Frage

Kreuzberger Kneipen stehen unterschiedlich zum Public Viewing

Weder draußen noch drinnen: Der unterRock zeigt keine WM. Archivfoto: rsp

Natürlich ist es nur Zufall, dass die Fußball-WM 2022 ausgerechnet am Totensonntag angepfiffen wird. Doch dass die diesjährige Weltmeis­terschaft nicht so werden wird wie etwa der 2006 in Deutschland ausgetragene Wettbewerb, dürfte schon jetzt feststehen. Selbst unter Hardcore-Fußballfans ist die Kritik am Gastgeberland Katar mit seinen Menschenrechtsproblemen und den tödlichen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen im vergangenen Jahr gewachsen. Soll man sich das Spektakel wirklich ansehen? Und wo (außer zu Hause) kann man das überhaupt? Wir haben uns bei Kreuzberger Kneipen umgehört, wie es dort in Sachen Public Viewing gehalten wird.

»Boycott Qatar« steht auf dem Plakat, das bereits seit Wochen im unterRock hängt. »Sport soll die Menschen vereinen«, sagt Inhaber Harald Jae­nicke, der selbst »ein großer Fußballfan« ist. Das passe nicht zur Menschenrechtssituation in Katar. Zudem findet er es unmöglich, »im Angesicht einer Klimakatastrophe« eine WM in klimatisierten Stadien abzuhalten. Der unterRock ist allerdings ohnehin keine Fußballkneipe, und der Fernseher wird normalerweise nur zu Welt- oder Europameisterschaften aufgestellt.

Anders stellt sich die Situation im backbord dar, wo auch regelmäßig Bundesliga-Fußball gezeigt wird. »Wir zeigen die WM«, sagt Wirt Andreas Wolf. Für die Rolle der FIFA findet er trotzdem zynische Worte: »Ich kann keine qualitative Verschlechterung im Weltfußball feststellen«, konstatiert er. »Das war schon immer scheiße und wird auch immer scheiße bleiben.«

Anno’64-Chef Gerald Merten ist da rigoroser: »Wenn jemand fragt, sag ich knallhart nö«, gibt er zu Protokoll. Ihn ärgert auch, dass für die Übertragung zusätzliche Gebühren fällig werden würden.

Viele Fußballfans sind noch hin- und hergerissen

»Das geht ja alles zu den Lizenzinhabern und nach Katar«, sagt der Wirt. »Da kann ich das Geld auch direkt Putin und den anderen Diktatoren überweisen.« Er findet, »ein bisschen Resthaltung« müsse man schon zeigen.

Joachim Mühle, Wirt des Gasthaus Valentin, ist noch unentschlossen, vor allem weil die Meinung seiner Gäste schwankt zwischen denen, die die WM unbedingt sehen und denen, die sie unbedingt boykottieren wollen. »Das wird eh kein Riesending werden«, glaubt er. Schon bei den letzten Welt- und Europameisterschaften habe es kein »richtiges« Public Viewing mehr bei ihm gegeben. »Ich geh mal davon aus, das wird so nebenher laufen.« Seine fußballinteressierten Gäs­te seien ebenfalls hin- und hergerissen, »aber letztendlich kommen sie dann doch.« Über den Weltfußballverband hat er eine ähnlich hohe Meinung wie sein Kollege aus dem backbord: »Für mich ist die ganze FIFA-Scheiße so untendurch, dass es mich eh nicht mehr interessiert.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2022.

Fragiles Gleichgewicht

Galerie des NKZDie Galerie des NKZ soll künftig eine Polizeiwache beherbergen. Foto: rsp

Die Probleme am Kotti sind vielfältig und allesamt nicht neu. Und sie sind immerhin so groß, dass selbst traditionell eher polizeikritische Akteure eine stärkere Polizeipräsenz offenbar grundsätzlich für eine einigermaßen gute Idee halten. Doch das Verhältnis zur Staatsmacht ist von einem fragilen Gleichgewicht geprägt, und Innensenatorin Iris Spranger ist auf dem besten Weg, dieses Gleichgewicht zu beschädigen. Wenn selbst Polizisten (wie etwa der Kontaktbereichsbeamte Norbert Sommerfeld Mitte Juni in der taz) daran zweifeln, dass die Wache in der geplanten Form irgendetwas bringt, dann sollte man das als kluge Politikerin ernst nehmen – außer halt, es geht einem wirklich nur darum, ein Renommierprojekt durchzuziehen. Dass eine Wache in derart exponierter Lage nicht dazu angetan ist, das Grundvertrauen in die Polizei zu stärken, wird Frau Spranger ja wohl klar sein. Oder?

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2022.

Kommt die Kotti-Wache im NKZ?

Kritik an Innensenatorin Spranger wächst

Galerie des NKZDie Galerie des NKZ soll künftig eine Polizeiwache beherbergen. Foto: rsp

Wie Mitte Juni bekannt wurde, ist der Mietvertrag für die von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) geplante Polizeiwache am Kottbusser Tor bereits unterschrieben – sehr zum Verdruss der zahlreichen lokalen Initiativen, die den Standort im ersten Stock des Neuen Kreuzberger Zentrums (in der Galerie über der Adalbertstraße) kritisch sehen. 

»Wir sind fassungslos, mit welcher Ignoranz gegenüber Widerspruch und Kritik von allen Seiten Frau Innensenatorin hier ihr persönliches Prestige-Projekt rücksichtslos durchpeitscht«, so Lino Hunger von »Kotti für alle«.

Kritik gibt es aber auch vonseiten der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die die angedachte Personalausstattung mit 20 Kräften wie auch die Fläche von rund 200 Quadratmetern für unzureichend hält und – auch aus Sicherheitsgründen – eine ebenerdige Wache präferiert. 

Bei den Anwohner- und Gewerbetreibendeninitiativen ist man nicht grundsätzlich gegen eine Polizeiwache am Kotti, sondern stört sich vor allem an der Symbolik der exponierten Lage über den Köpfen der Menschen – und daran, dass die Innensenatorin bislang nicht den Dialog mit den Initiativen oder auch der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gesucht hat. Zuletzt ließ sich Spranger für eine Sonderausschusssitzung der BVV entschuldigen. Einen runden Tisch mit den Beteiligten will die Innensenatorin frühestens im August stattfinden lassen.

BVV mahnt Bürgerbeteiligung an

Die Ausschussmitglieder, die sich am 22. Juni vor Ort dann ohne die Innensenatorin trafen, fordern dagegen, dass der runde Tisch zeitnah stattfindet und bis dahin keine Baumaßnahmen eingeleitet werden. Bis dahin solle auch »Transparenz zu den Ergebnissen der Prüfungen von alternativen Standorten für eine Polizeiwache hergestellt werden«, heißt es in der Resolution, die Ende Juni von der BVV beschlossen wurde. »Insgesamt muss die Sicherheit, Lebens- und Aufenthaltsqualität am Kottbusser Tor mit einem Bündel aus städtebaulichen, verkehrlichen und sozialen Maßnahmen, wie dem Ausbau der aufsuchenden Sozialarbeit, der Absicherung der Gesundheitsangebote der Suchthilfe und des Drogenkonsumraums, aber auch der Müllvermeidung und besseren Entsorgung sowie einer klimafreundlichen Umgestaltung durch Begrünung und Entsiegelung gesteigert werden, um die vielfältigen Problemlagen vor Ort nachhaltig lösen zu können«, so das Fazit des Antrags.

Neben der Kritik aus dem Bezirk hat die von der Innensenatorin stets als alternativlos dargestellte Kotti-Wache auf der NKZ-Galerie aber auch noch mit einer Kos­ten­ex­plo­sion zu kämpfen. Bereits im Frühjahr war klar geworden, dass die Kosten für das Projekt nicht bei den im Koalitionsvertrag ursprünglich ausgehandelten 250.000 Euro bleiben würden, sondern sich eher verzehnfachen. Inzwischen sind gar zusätzliche 3,5 Millionen Euro beschlossen. 

Wegen der Lage im ersten Stock muss unter anderem ein Aufzug gebaut werden, der aber nach der derzeitigen Planung offenbar noch nicht einmal groß genug sein wird, um mit dem Rollstuhl benutzt werden zu können. Auch die große Glasfront muss zum Schutz der Polizeiwache durch Sicherheitsglas ersetzt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2022.

Das Ende fürs Vorkaufsrecht?

Bundesverwaltungsgericht kassiert Spekulationsbremse

Haus in der Heimstraße in Berlin-KreuzbergDer Vorkauf des Anstoßes: Dieses Haus hätte nicht an die WBM verkauft werden dürfen, urteilt das Bundesverwaltungsgericht. Archivfoto: rsp

Die Nachricht aus Leipzig war ein großer Schock: Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet vermutlich das Ende für das kommunale Vorkaufsrecht. Mit diesem Instrument hatte insbesondere der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg etliche Immobilien dem Spekulationsmarkt entzogen.

Bei Immobilienverkäufen in Milieuschutzgebieten konnten Bezirke bislang zugunsten eines Dritten – etwa einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft oder einer Genossenschaft – in den Kaufvertrag einsteigen und damit eine drohende Verdrängung der Mieterinnen und Mieter verhindern. Alternativ konnten Käufer eine Abwendungsvereinbarung unterschreiben, in der sie sich unter anderem verpflichteten, 20 Jahre lang auf mieterhöhende Modernisierungsmaßnahmen zu verzichten. Doch mit dem mutmaßlichen Aus für das Vorkaufsrecht gibt es auch kein Druckmittel mehr für die Bezirke.

Im konkreten Fall war es um ein Haus in der Heimstraße gegangen, bei dem der Bezirk das Vorkaufsrecht zugunsten der landeseigenen WBM ausgeübt hatte. Bis 2026 besteht hier zwar noch eine Mietpreisbindung, doch danach bestünde die Gefahr für erhebliche Mietsteigerungen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen, so die Argumentation des Bezirks. Doch das Bundesverwaltungsgericht sah es anders als die zwei Vorinstanzen: Allein die Annahme, »dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde«, reiche nicht aus, um das Vorkaufsrecht auszuüben.

Das Urteil – dessen Urteilsbegründung allerdings noch aussteht – »ist ein herber Schlag im Kampf gegen die Spekulation mit Wohnraum und gegen die Verdrängung von Menschen aus ihrer Nachbarschaft«, kommentierte Stadtrat Florian Schmidt auf Twitter.

»20 Jahre sind keine Zeit für eine Stadt«

Der Bundesgesetzgeber müsse schnell eine rechtliche Klarstellung vornehmen und das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten stärken, so Schmidt weiter.

Hier darf sich Schmidt einig wissen mit den Bauministerien der Länder, die sich auf der Bauministerkonferenz Mitte November ebenfalls für eine gesetzliche Sicherung der bisherigen Rechtslage aussprachen – mit einer einzigen Gegenstimme, die erstaunlicherweise aus Bayern kam.

Auch bei einem digitalen Treffen des »Vorkaufsrats XHain« Ende November war das Leipziger Urteil Hauptthema. Die Initiative unterstützt Mieterinnen und Mieter, deren Häuser verkauft werden sollen, bei der Organisation eines Vorkaufs durch eine Genossenschaft oder kommunale Wohnungsbaugesellschaft. Schon ohne das Urteil laufen die Verfahren, von denen derzeit sieben in der Schwebe sind, nicht immer erfolgreich ab, denn die Frist für den Vorkauf ist mit drei Monaten knapp bemessen und viel Arbeit bleibt an den Bewohnern hängen, die sich oft erst noch organisieren müssen. So wird an dem Abend auch von gescheiterten Bemühungen berichtet.

Nicht zuletzt, da die betroffenen Hausgemeinschaften auch in Konkurrenz zueinander stehen, sei es immer auch willkürlich, wer es schaffe und wer nicht, sagt Aninka Ebert, die den Abend moderierte. Aber auch eine Abwendungsvereinbarung schütze einen nicht unbedingt. »20 Jahre sind eigentlich keine Zeit für eine Stadt.«

Die Hoffnung richtet sich jetzt auf die Urteilsbegründung aus Leipzig, die allerdings noch einige Wochen auf sich warten lassen dürfte. Immerhin besteht die Chance, dass sich das Urteil so spezifisch auf das eine Haus in der Heimstraße bezieht, dass das Vorkaufsrecht für andere Häuser noch zu retten ist.

Um eine Gesetzesänderung wird der Bund trotzdem nicht herumkommen, wenn das bisherige Instrument des Vorkaufsrechts für Milieuschutzgebiete erhalten werden soll.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2021.

Volle Fahrt voraus!

Carpathia Verlag feiert Zehnjähriges

Handlager in der Altbauwohnung. Verleger Robert S. Plaul mit den letzten Neuerscheinungen. Foto: cs

Nicht alle Dinge entwickeln sich so, wie man sie sich ursprünglich gedacht hat. Als die drei Kiez-und-Kneipe-Redakteure Peter S. Kaspar, Cordelia Sommhammer und Robert S. Plaul vor zehn Jahren den Carpathia Verlag gründeten, hatten sie eigentlich geplant, eine Satire-Zeitschrift herauszugeben. »Eisberg-Magazin« hätte die Publikation heißen sollen, eine Art freundschaftliche Kampfansage an die etablierte »Titanic«. Doch das ambitionierte Projekt kam über die Nullnummer nicht hinaus – und die junge Unternehmung wurde stattdessen zum Buchverlag.

Nach dem Start mit Kaspars Sachbuch »Koulou Tamam, Ägypten?« über die Auswirkungen der Arabellion auf den Tourismus und Experimenten mit »Kompakt­roman« getauften E-Books in Spielfilmlänge, hat sich das Carpathia-Programm zunehmend in eine belletristische Richtung weiterentwickelt.

Mit derzeit etwa drei Neuerscheinungen im Jahr ist das Verlagsprogramm zwar noch relativ überschaubar, dafür stecke umso mehr Herzblut in jedem einzelnen Buchprojekt, versichert Verleger Robert S. Plaul. »Klasse statt Masse« sei gewissermaßen das Motto. Davon zeugen auch die liebevoll gestalteten Cover und die ansprechende Ausstattung der Bücher.

»Wir können keine 500-Seiten-Bücher für ’nen Zehner verkaufen«, erklärt Plaul, »aber wenn jemand 15 oder 20 Euro für ein Buch ausgibt, dann soll das auch ein bisschen was hermachen.«

Dass es jeden Titel auch als E-Book gibt, sei heutzutage aber ebenso selbstverständlich. »Das ist dann halt nichts zum Anfassen, aber dafür natürlich viel barrierefreier.«

Das Thema Barrierefreiheit ist auch einer der Gründe, warum der Carpathia Verlag etliche seiner Titel als Hörbuch aufgenommen hat. Ende 2019 war das Buch »Was du nie siehst« über den blinden Weltreisenden und Surfer Hansi Mühlbauer erschienen (Rezension). »Hansi hat mir erzählt: Ein Buch zu lesen heißt für ihn, das Hörbuch zu hören.« Umso mehr freut sich Plaul, dass »Was du nie siehst« demnächst auch als Hörbuch erscheint – gefördert von »Neustart Kultur«, einem staatlichen Corona-Hilfsprogramm für die Kreativbranche.

Solche Programme sollte es auch außerhalb von Krisenzeiten geben, findet der Verleger, der sich auch ehrenamtlich im altehrwürdigen »Börsenverein des deutschen Buchhandels« engagiert und für eine strukturelle Verlagsförderung kämpft. »In anderen Ländern in Europa gibt es sowas seit Jahren.«

Am 15. November feiert der kleine Kreuzberger Verlag, der natürlich nach der »RMS Carpathia« benannt ist, also jenem Schiff, das 1912 die Titanic-Überlebenden rettete, sein Zehnjähriges. Zehn Tage lang gibt es zehn E-Books zum halben Preis.

Verlagswebsite: www.carpathia-verlag.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2021.

Alter Wein in neuen Flaschen

Der Wein vom Kreuzberg soll einen neuen Namen bekommen

Weingläser und Weinflaschen der Sorte »Kreuz-Neroberger«Der »Kreuz-Neroberger« und der »Kreuz-Ingelberger« bekommen einen neuen Namen. Archivfoto: rsp

Auf einem Gelände in der Methfesselstraße 10, und damit genau an jenem Ort, an dem Konrad Zuse 1941 die Z3, den ersten binären Digitalrechner, erfand, wachsen am Hang des Kreuzbergs einige Hundert Rebstöcke der Sorten Riesling und Blauer Spätburgunder. Auch wenn am Kreuzberg schon im 15. Jahrhundert Wein angebaut wurde, geht der derzeitige Bestand jedoch auf Spenden der Partnerstädte Wiesbaden, Ingelheim und dem Kreis Bergstraße ab 1968 zurück. Folgerichtig firmierten die im Auftrag des Bezirks angebauten und gekelterten Weine bisher unter dem Namen »Kreuz-Neroberger« (Weißwein) bzw. »Kreuz-Ingelberger« (Rotwein).

Doch spätestens seit der Wein nicht mehr in den Partnerstädten, sondern in Brandenburg gekeltert wird, seien die Namen nicht mehr mit der aktuellen Rechtslage vereinbar, stellte das Bezirksamt fest, und machte bereits im April einen ersten Anlauf zur Umbenennung. Doch der neue Name »01001011«, der dem Binärcode des Buchstaben »K« entspricht und Zuses Erfindung ehren sollte, stieß auf Widerstand, insbesondere vonseiten der SPD-Fraktion, die auf Zuses zumindest fragwürdiges Verhältnis zum Nationalsozialismus verwies und zudem die fehlende Einbeziehung der Partnergemeinden kritisierte.

Im Oktober kündigte das Bezirksamt nun an, dass der neue Name für die Weine im Rahmen einer Art Bürgerbeteiligung gefunden werden soll. Vorschläge können bis Jahresende ein­ge­reicht werden – per Post, per E-Mail oder via Social-Media-Post unter dem Hashtag #xwein. »Partizipation hat für uns einen hohen Stellenwert«, ließ sich Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann zitieren. Über den endgültigen Namen solle schließlich eine Jury entscheiden.

Partnerschaftsverein beklagt mangelnde Transparenz und Beteiligung

Doch zumindest Norbert Michalski, dem langjährigen Vorsitzenden des »Partnerschaftsvereins Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg e.V.«, der die innerdeutschen Städtepartnerschaften pflegt, geht die Partizipation nicht weit genug. 

Wenige Tage nach der Pressemeldung des Bezirks hat er eine Art Brandbrief verfasst, in dem er dem Bezirksamt mangelnde Transparenz vorwirft. Sein Verein sei durch die Pressemitteilung erstmalig in den Umbenennungsprozess miteinbezogen worden, die Partnerschaftsvereine und Verwaltungen der Partnerstädte seien bislang überhaupt nicht eingebunden oder beteiligt worden. Auch dass sein Verein – wenngleich ohne vorherige Absprache – einen Platz in der Jury haben solle, ändere daran nichts.

Zudem hegt Michalski Zweifel daran, dass eine Umbenennung der Weine tatsächlich erforderlich ist und fordert die Veröffentlichung des juristischen Gutachtens, auf das sich das Bezirksamt offenbar bezieht.

Dem scheidenden Bezirksamt wirft er vor, mit dem angestoßenen Bürgerbeteiligungs- und Umbenennungsprozess vollendete Tatsachen zu schaffen. Dass das neue Bezirksamt die Causa anders bewertet, scheint im Lichte der Wahlergebnisse indessen unwahrscheinlich.

Dem Zwist um die Umbenennung geht eine Änderung der Zuständigkeiten voraus: Bis 2019 wurde das kleine Weingut am Kreuzberg vom Partnerschaftsvereinsmitglied Daniel Mayer gepflegt und die Trauben zum Keltern in die Partnerstädte verbracht. Seit 2020 wird der Wein auf dem Weingut »17morgen« in Dobbrikow in Brandenburg hergestellt, um auf lange Transportwege zu verzichten. Im April hatte das Bezirksamt erklärt, dass mit der Gruppe bzw. einer noch zu gründenden Genossenschaft ein Pflegevertrag abgeschlossen werden soll, der auch die selbstständige Vermarktung des Weines durch die Brandenburger beinhaltet.

Mehr Informationen über den Bürgerbeteiligungsprozess zur Umbennung finden sich unter ­berlin.de/xwein.

Kommentar: Kein Zwist ohne Not

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2021.

Kein Zwist ohne Not

Der Partnerschaftsverein mahnt eine stärkere »Bürger- bzw. Betroffenenbeteiligung« bei der Umbenennung der Kreuzberger Weine an. Doch seien wir mal ehrlich: Ob »Kreuz-Neroberger/-Ingelberger«, »01001011« oder ganz was anderes auf den Flaschen steht, dürfte den allermeisten Bewohnern Friedrichshain-Kreuzbergs, Wiesbadens und Ingelheims herzlich egal sein. Und auch aus der SPD-Kritik an der Ehrung Konrad Zuses spricht stärker als eine Sensibilität für die Historie der verletzte Stolz. Denn die innerdeutschen Städtepartnerschaften, einst von Willy Brandt initiiert, waren immer eine SPD-Domäne. Schon dass die Weine neuerdings in Brandenburg gekeltert werden, dürften viele altgediente Genossen als Affront empfunden haben. Dass aber das Grüne Bezirksamt ohne ernsten Grund eine Umbenennung und damit neuen Zwist forciert, darf wohl bezweifelt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2021.

Über den Dächern von Kreuzberg

Die KuK geht in die Luft

Wir ahnten es schon immer: Kreuzberg ist gar keine Scheibe, sondern eine Kugel. Foto: rsp

Gut zwei Jahre ist es her, als in der Redaktion der Kiez und Kneipe das erste Mal das Bedürfnis aufkam, hoch hinaus zu gelangen, wohlgemerkt nicht selbst, sondern mit einer Kameradrohne. Doch auch wenn das damalige Experiment zwar für ein Selfie aus der Luftperspektive reichte, erwies sich der chinesische Quadrokopter aus dem Elektronikversand leider als relativ schwer steuerbar, so dass aus den damals versprochenen Luftbildern von Kreuzberg vorerst nichts wurde.

Zum Glück hat sich die Technik weiterentwickelt. Anfängerdrohnen, die mittels GPS ihre Position halten und außerdem noch erstaunlich sehenswerte Fotos und Videos abliefern, sind für wenige hundert Euro zu haben. Und so geht unser Drohnenexperiment in die zweite Runde – das Ergebnis ist auf der Mittelseite der August-Ausgabe zu bewundern. Hier gibt es außerdem eine interaktive Panoramatour sowie weitere Bilder von Kreuzberg aus der Vogel- bzw. Drohnenperspektive.

Aber ist das alles eigentlich erlaubt? Kommt drauf an. Seit spätestens Anfang des Jahres muss jedes unbemannte Flugobjekt ein Kennzeichenschild tragen, das den Halter identifiziert, zumindest sobald das Gerät eine Kamera hat. Außerdem muss zwingend eine Haftpflichtversicherung her – vor allem bei älteren Privathaftpflichtpolicen sind Drohnenflüge oft nicht oder nur unzureichend abgedeckt. Überdies muss der »Fernpilot« – ja, so heißt das – eine Art Führerschein machen, wenn die Drohne über einem bestimmten Mindestgewicht liegt.

Und überall ist das Fliegen natürlich auch nicht erlaubt: So gelten Mindestabstände beispielsweise zu Bundesstraßen, JVAs, Bundeswasserstraßen, Krankenhäusern und natürlich zu Flughäfen. Und dann ist da noch die Flugbeschränkungszone ED-R 146, die private Flüge innerhalb eines 3-Seemeilen-Radius rund ums Reichstagsgebäude (und damit quasi in ganz Kreuzberg) faktisch komplett verbietet. Auch wir mussten unsere Flüge in Kreuzberg beim Lagezentrum der Berliner Polizei anmelden, um sicherzustellen, dass nicht eine Demo, ein Staatsbesuch oder irgendein anderer Polizeieinsatz gestört wird. Ganz schön viel Aufwand für ein paar Fotos und Videos, aber auch verständlich.

»Es ist schon sinnvoll, dass es ein Konstrukt gibt, dass nicht jeder alles machen kann«, muss auch Stefan Müller zugeben. Mit seiner Firma Schwebewerk in der Fidicinstraße erstellt er professionelle Drohnenaufnahmen für Filme und Fernsehserien wie »Fast & Furious 6«, »Bad Banks« oder »Dark«. Doch die seit Anfang des Jahres geltende EU-Drohnenverordnung und die Novellierung der Luftverkehrs-Ordnung stellen den Berufsfernpiloten vor große Herausforderungen. Während die für Hobbypiloten relevante »Open«-Kategorie jetzt zwar einigermaßen nachvollziehbar geregelt ist, haben sich die Bedingungen für größere und schwerere Drohnen, die in der Nähe von Menschen oder Wohngebieten geflogen werden sollen und damit in die Kategorie »Specific« fallen, verkompliziert. Gab es früher zumindest ein eingespieltes System, nachdem sich Aufstiege außerhalb allgemeiner Erlaubnisse einzeln beantragen ließen, so ist der bürokratische Aufwand nun so stark gewachsen, dass sich aktuell schlicht keine Einzelanträge für Filmproduktionen realisieren lassen.

Von einer Behörde bekam Müller den Rat: »Fliegen Sie doch in der ‚Open‘-Kategorie.« Doch damit sind keine innerstädtischen Flüge möglich: Ab 250 Gramm Startgewicht ist faktisch Schluss, wenn Aufnahmen in Wohngebieten gemacht werden sollen, selbst dann, wenn ohnehin der ganze Block für Filmarbeiten gesperrt ist. Die größte Schwebewerk-Drohne wiegt aber mindestens 50 Mal so viel und ist dafür ausgelegt, eine digitale Filmkamera wie die Arri Alexa Mini zu transportieren, die je nach verwendetem Objektiv ebenfalls etliche Kilogramm auf die Waage bringt.

12,5 Kilo bringt die größte Drohne vom Schwebewerk auf die Waage – und kann nochmal so viel Nutzlast tragen. Foto: rsp

In Sachen Filmdrohnen ist Stefan Müller gewissermaßen ein Veteran. 2010 baute er seine erste Drohne, die eine Canon EOS 5D (eine digitale Spiegelreflexkamera, die damals häufig für kleinere Produktionen eingesetzt wurde) nicht nur tragen, sondern eben auch ansteuern konnte. Die Aufnahmen waren so sensationell, dass sich die Produktionsfirma, für die er damals als Kameraassistent arbeitete, kaum vor Aufträgen retten konnte. Insbesondere die Werbebranche entdeckte die Luftaufnahme als neuen Gold-Standard. Im Kinobereich wurde zunehmend mit Digitalkameras gedreht, und als Müller 2011 den weltweit ersten Multikopter baute, mit dem sich die frisch erschienene Red-Epic-Kamera am Filmset einsetzen ließ, sprangen auch immer mehr Filmproduktionen auf den Zug auf. Heute kommt kaum ein Film ohne Drohnenaufnahmen aus.

Eine Ende ist kaum in Sicht: Von den gut 430.000 Drohnen, die laut Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft in Deutschland umherfliegen, werden deutlich über 10 Prozent kommerziell genutzt, Tendenz steigend. Der Markt für private Drohnen scheint dagegen weitgehend gesättigt zu sein, vielleicht auch, weil sich herumgesprochen hat, dass es gewisse Regularien gibt, an die man sich halten muss. Wer das Einhalten von Gesetzen nicht grundsätzlich scheut, kann heute aber verhältnismäßig preiswert in ein spannendes Hobby an der frischen Luft einsteigen. Die neue »Aerial Unit« der KuK bleibt jedenfalls dran.

Hier gibt’s mehr Luftbilder von uns zu sehen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2021.

Kiezblocks – außenrum statt mittendurch

Zahlreiche Initiativen wollen den Durchgangsverkehr aussperren

Wollen keinen Durchgangsverkehr: Gneisenau-Kiezblock-Initiatoren Andreas Langner und Philipp Stiegel. Foto: rsp

Wer sich in den letzten Monaten mit den verkehrspolitischen Maßnahmen in Berlin und im Bezirk beschäftigt hat, dürfte auch immer wieder über den Begriff Kiezblock gestolpert sein. Aber was ist ein Kiezblock eigentlich – und was nicht?

Unter dem Dach des Vereins Changing Cities e.V. haben sich in ganz Berlin Initiativen gegründet, die die Verkehrssituation in ihrem jeweiligen Kiez verbessern wollen. Auch wenn die annähernd autofreien »Superblocks« in Barcelona Pate stehen für die Idee, geht es den Initiativen nicht um so etwas wie flächendeckende Fußgängerzonen.

»Wir sind ja keine Radikalen«, sagt Philipp Stiegel, der für den Gneisenau-Kiezblock, also den Bereich zwischen Blücher-, Schleiermacher-, Gneisenaustraße und Mehringdamm, einen Einwohner*innenantrag vorbereitet hat und derzeit Unterschriften sammelt. »Wir sind nicht grundsätzlich gegen Autoverkehr, sondern gegen motorisierten Durchgangsverkehr.« Von dem gibt es im Kiez reichlich, und das nicht nur in der Zossener Straße, die nach dem Willen der Initiative möglichst bald ihren Status als übergeordnete Straße verlieren soll, damit der Bezirk und nicht der Senat für die Straße zuständig ist. Auch die kleineren Straßen werden gerne als vermeintlich zeitsparende Schleichwege genutzt, insbesondere sobald es auf den Hauptstraßen ein wenig stockt.

Ein Problem seien auch Navigationssysteme, die die kleinen Nebenstraßen als kürzeste Route vorschlagen, ergänzt sein Mitstreiter Andreas Langner. Der hat bereits einen ersten Entwurf erstellt, der zeigt, wie man mit wenigen kleinen Maßnahmen den Durchgangsverkehr fernhalten könnte. Zu den Ideen gehören beispielsweise Dia­go­nal­sperren oder auch Einbahnstraßenregelungen, die den Kiezblock für Autos und Lkw zwar befahrbar, aber eben nicht durchfahrbar machen. Für Rettungsdienste und den 248er-Bus könnte in der Zossener Straße ein versenkbarer Poller installiert werden. In anderen Straßen würden Kraftfahrzeuge gewissermaßen in Schleifen wieder aus dem Kiez herausgeführt. Für den Fuß- und Fahrradverkehr gäbe es keine Änderungen.

Zwei Diagonalsperren, ein versenkbarer Poller – so einfach könnte der Durchgangsverkehr aus dem Kiez genommen werden. Illustration: Andreas Langner, rsp

Wieviel nur eine einzige Sperrung ausmacht, zeigte sich, als die Ampel an der Kreuzung Mittenwalder Straße/Blücherstraße errichtet wurde und der nördliche Teil der Mittenwalder zeitweise zur Sackgasse wurde. »Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht«, erzählt Philipp. Obwohl er in der Fürbringerstraße wohnt, bekommt er akustisch mehr vom Verkehr in der Mittenwalder Straße mit, als ihm lieb ist – auch wegen des Kopfsteinpflasters.

Ein anderes Mitglied der Initiative hat in der Solmsstraße die durchfahrenden Autos gezählt. Als vor einiger Zeit wegen einer Bombenentschärfung die Lindenstraße gesperrt war, seien es 40 Kraftfahrzeuge pro Stunde gewesen, an einem normalen Wochentag kam er tagsüber auf 420 pro Stunde.

Tatsächlich gibt der Einwohner*innenantrag, für den 1000 Unterschriften zusammenkommen müsen, allerdings keine konkreten Baumaßnahmen vor, sondern enthält nur die Forderung, einen verkehrsberuhigten Bereich zu schaffen und auf den angrenzenden Straßen für Tempo 30 zu sorgen. Wie das dann genau geschieht, darüber muss die Ende September zu wählende Bezirksverordnetenversammlung (BVV) abstimmen.

Es wird nicht der einzige derartige Antrag sein, weder im Bezirk, noch berlinweit. 180 potentielle Kiezblocks hat Changing Cities in Berlin ausgemacht. In 47 von ihnen gibt es entsprechende Initiativen, zehn davon allein in Kreuzberg sowie weitere drei in Friedrichshain. In der hiesigen BVV treffen die Anträge dabei auf fruchtbaren Boden. Erst Ende Mai wurde die Einrichtung eines verkehrsberuhigten Viktoriakiezes beschlossen.

Das dürfte auch daran liegen, dass die Forderungen der Kiezblock-Initiativen deutlich weniger invasiv (und preiswerter in der Umsetzung) sind als beispielsweise die umstrittene Umgestaltung des Bergmann- und Chamissokiezes oder die Pläne für die Oranienstraße, in der sämtliche Parkmöglichkeiten auch für Anwohner wegfallen sollen.

Wer die Gneise­nau-Kiezblock-Initiative kontaktieren oder unterstützen möchte, erreicht die Initiatoren per E-Mail unter und findet sie auf Twitter.

Eine ausführliche Darstellung der Forderungen und einen »Faktencheck« zu Vorbehalten gegenüber dem Vorhaben, hat Changing Cities unter kiezblocks.de/konzept veröffentlicht.

Mühlenhaupt zu Gast bei Schinkel und Schadow

Außergewöhnliche Ausstellung im Sockel des Nationaldenkmals

Man kommt in diesem Jahr in Kreuzberg nicht wirklich vorbei an dem kleinen Mann mit dem roten Hut. Das könnte daran liegen, dass der Milieumaler, Trödler und Kneipier Kurt Mühlenhaupt in diesem Jahr 100 geworden wäre. Und natürlich auch daran, dass Mühlenhaupts Witwe Hannelore, die seit dem vorigen Jahr in der Fidicinstraße das Kurt-Mühlenhaupt-Museum leitet, mit viel Energie und Herzblut unterwegs ist, um die Erinnerung an »Kurtchen« und sein Werk zu pflegen und für die Menschen zugänglich zu machen.

So sind in 2021 gleich drei Ausstellungen ge­plant. Die erste wird am 4. Juni – coronabedingt im kleineren Kreise – eröffnet und feiert neben dem des Künstlers gleich noch zwei weitere runde Geburtstage – den hundertsten des Bezirks Kreuzberg und den zweihundertsten des Nationaldenkmals auf dessen namensgebender Anhöhe im Viktoriapark.

Das Gewölbe unter dem von Karl Friedrich Schinkel entworfenen neugotischen Gusseisen-Denkmal beherbergt normalerweise lediglich Fledermäuse sowie das Lapidarium des Landes Berlin – lapidar gesagt also ein Depot von Skulpturen, Fresken und anderen steinernen Kunstwerken größtenteils aus der wilhelminischen Epoche, für die derzeit anderswo im Stadtbild gerade kein Platz ist.

Wie findet sich denn in solch verstaubt-illustrer Gesellschaft das humorvoll-bunte Werk des unangepassten Malerpoeten zurecht? Ganz famos funktioniert das, wie man anhand des auf YouTube veröffentlichtem Teaser-Videos bereits erahnen und vom 4. Juni bis 1. August immer dienstags bis sonntags zwischen 14 und 19 Uhr mit eigenen Augen erleben kann und sollte.

Tickets können online für den gewünschten Zeitslot gebucht oder an der Tageskasse erworben werden. Da das Gewölbe auch im Hochsommer nicht über 15 Grad warm wird, ist angemessene Kleidung angeraten. Die Eintrittskarte (6€ / 5€ / Kinder bis 14 frei) gilt am gleichen Tag auch für das fußläufig entfernte Mühlenhauptmuseum in der Fidicinstraße 40.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2021.

Seemann, Trödler, Kneipier

Jürgen Enkemann erinnert an Jürgen Grage

Jürgen Grage. Foto: Wolfgang Rügner

Im Yorckschlösschen wird unter den Gästen einer, der die Atmosphäre in dem Lokal über Jahrzehnte hinweg besonders mitgeprägt hat, künftig nicht mehr dabei sein: Jürgen Grage, der am 24. Mai nach schwerer Krankheit mit 76 Jahren gestorben ist.

Nach Berlin gekommen war der aus St. Pauli stammende ehemalige Seefahrer in den 1970er Jahren, als sein Bruder Karl-Heinz als anerkannter Grafikkünstler hier bereits ansässig war.

Nachdem Jürgen Grage mehrere Trödelläden betrieben hatte, stieg er für kurze Zeit als Inhaber in das Yorckschlösschen ein und war entscheidend daran beteiligt, dass die bisherige recht biedere Kneipe zu einer eher alternativen mit einem lebendigen Kulturangebot wurde.

Fortgesetzt wurde in den Jahren danach seine Laufbahn als Wirt mit dem zeitweiligen Einstieg in so legendäre Kneipen wie Leierkasten, Meisengeige, Ruine und Roxy. Schon damals war er wie bis zuletzt mit seiner Partnerin Gerlinde zusammen. Beide gehörten zu den vertrauten Gestalten an den Tischen unter dem Vordach des Lokals zur Yorckstraße hin.

Besonders im Rampenlicht stand er im Yorckschlösschen in den vergangenen Jahrzehnten jeweils zu Beginn des Winters, wenn am 1. Adventswochenende die von ihm initiierte und von der Bühne aus durchgeführte Bilderversteigerung stattfand. Das spannende Ereignis im brechend gefüllten Lokal wird vielen unvergesslich bleiben. »Ich habe ein tolles Leben gehabt«, soll er noch kurz vor seinem Abschied gesagt haben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2021.

Schwerpunktimpfungen in Kreuzberg an diesem Wochenende

In fünf Kreuzberger Kiezen wird am kommenden Wochenende geimpft. Foto: Tim Reckmann (CC BY 2.0)

Update: Wie das Bezirksamt auf Twitter mitteilt, können sich am heutigen Freitag bis 16:30 Uhr auch Kreuzberger*innen aus anderen Kiezen impfen lassen!

Wir das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg mitteilt, sind für das kommende Wochenende Schwerpunktimpfungen für Bewohnerinnen und Bewohner der fünf (ehemaligen) Quartiersmanagementgebieten am Mehringplatz, rund um den Wassertorplatz, am Mariannenplatz, im Bereich Kreuzberg Zentrum/Oranienstraße und in der Werner-Düttmann-Siedlung geplant. Geimpft werden Impfstoffe von Johnson&Johnson und Moderna.

Die Impfungen finden statt von Freitag, den 11. Juni bis Sonntag, den 13. Juni, jeweils von 9.30 Uhr bis 16.30 Uhr, in der Sporthalle Lobeckstraße (Zugang ausschließlich über die Feuerwehrzufahrt des Sportplatzes in der Ritterstraße (gegenüber der Ritterstraße 36)).

Impfberechtigt sind Personen ab 18 Jahren mit Meldeanschrift in einem der fünf Gebiete (siehe unten). Die Impfberechtigten müssen zum Termin ihren Ausweis, ggf. mit Meldebescheinigung, und idealerweise ihren Impfpass mitbringen. Es werden keine Termine für die Impfungen vergeben. Entsprechend kann es zu langen Wartezeiten kommen. Alle Impfwilligen werden daher gebeten, sich witterungsgerecht zu kleiden, an Sonnenschutz zu denken, ausreichend zum Essen und Trinken mitzubringen sowie, wenn gewünscht, eine Sitzgelegenheit wie einen Klappstuhl. Toiletten stehen zur Verfügung. Die Turnhalle ist barrierefrei.

In den nächsten Tagen soll auch über Aushänge und die soziale Infrastruktur in den Kiezen über die Möglichkeit der Impfung informiert werden. Auf der Webseite des Bezirksamtes sind alle wichtigen Informationen und Antworten auf häufige Fragen zusammengefasst. Zudem ist eine Hotline beim Bezirksamt für weitere Fragen zur Impfung geschaltet, die diese Woche Dienstag bis Sonntag von 9 bis 11 Uhr und 13 bis 15 Uhr unter 030 90298 2352 erreichbar ist. Für allgemeine Fragen zu Corona und Impfungen steht die Hotline des Gesundheitsamtes, Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, und Samstag von 10 bis 14 Uhr, unter 030 90298 8000 zur Verfügung.

Impfberechtigt sind erwachsene Personen mit folgenden Meldeadressen:

Gebiet Mehringplatz

  • Brandesstraße 1, 7
  • Friedrichstraße 1 – 14, 231 – 246
  • Hedemannstraße 1 – 7, 10 – 14
  • Lindenstraße 107 – 116
  • Mehringplatz 5 – 15, 20 – 36
  • Rahel-Varnhagen-Promenade 1 – 4
  • Stresemannstraße 30, 32, 34, 36, 38, 40, 42, 42a, 44, 46, 48, 50, 52
  • Wilhelmstraße 2 – 15, 127 – 139
  • Franz-Klühs-Straße 3, 5, 7, 9

Gebiet Wassertorplatz

  • Alexandrinenstraße 12-45
  • Bergfriedstraße 4, 6, 6a, 8, 8a, 10, 10a, 11-20, 22, 24
  • Böcklerstraße 1-12
  • Gitschiner Straße 32-38, 48-49, 59-84
  • Jakobikirchstraße 5-6
  • Lobeckstraße 5-23, 30-36, 42-48, 62-76
  • Moritzstraße 1-22
  • Oranienstraße 63-72, 130-142
  • Prinzenstraße 8-34, 84-105
  • Ritterstraße 8-36, 90-127
  • Segitzdamm 20-60
  • Stallschreiberstraße 50-55
  • Wassertorstraße 1-22, 47-65
  • Wassertorplatz, alle Hausnummern

Gebiet Mariannenplatz

  • Adalbertstraße. 19-23
  • Manteuffelstraße. 12-14, 18-23, 27-34
  • Mariannenplatz 4-9a, 12-15, 18-26
  • Mariannenstraße 2, 51-53
  • Muskauer Straße 18-40
  • Naunynstraße. 2-11, 17-32
  • Waldemarstraße 48-56, 58-74, 77a–104
  • Wrangelstraße. 2-16 und 127-131

Gebiet Zentrum Kreuzberg/ Oranienstraße

  • Adalbertstaße 1-11, 13-18, 85-98
  • Admiralstraße 1-5, 14, 33-38
  • Dresdener Straße 8‐20, 119‐128
  • Erkelenzdamm 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 29, 31, 33, 35
  • Fraenkelufer 18
  • Kohlfurter Straße 1, 3, 5, 7, 9-11, 13, 20, 22, 33, 35, 37, 39, 41, 43, 45
  • Kottbusser Straße 1-13, 15-25
  • Mariannenstraße 4-14, 18-24, 45-46
  • Oranienplatz 14, 15, 17
  • Oranienstraße 15-40, 165a-205
  • Reichenberger Straße 1-10, 18-26, 165-166, 170, 174-177, 179-185
  • Naunynstraße 48-74
  • Skalitzer Straße 2-6, 15, 18, 22-23, 108, 114, 121-122, 126-147a

Werner-Düttmann-Siedlung

  • Urbanstraße. 44 – 51
  • Jahnstraße 1 – 10
  • Hasenheide. 20 – 38
  • Graefestraße. 47 – 63

Das biografische Kreuzbergrätsel

Langeweile über Ostern? Beschäftigungsbedürftige Besserwisser im Bekanntenkreis? Dann haben wir was für Euch: unser biografisches Kreuzbergrätsel für Kiezkundige und solche, die es werden wollen. Alle Personen unseres Rätsels haben mehr oder weniger Kreuzberg in ihrer Biografie. Aber wer sind sie?

Google und Wikipedia sind natürlich erlaubt, und in den Kommentaren unter diesem Artikel und via Facebook beantworten wir Ja-Nein-Fragen.

Unter allen, die bis 30. April die richtigen Lösungen an info@kiezundkneipe.de schicken (Betreff »Kreuzbergrätsel«), verlosen wir eine Tasse aus unserem KuK-Shop. Der Rechtsweg ist natürlich ausgeschlossen.

Wappen Kreuzberg mit Fragezeichen drumherum1. Ein perfektionistischer Parodist

Er war ein waschechter Kreuzberger, hier geboren, aber schon früh an die Rummelsburger Bucht verschleppt. Schon in der Schule hatte er allerlei Dummheiten im Kopf, die ihn auf seinem späteren Lebensweg zwar immer wieder in Schwierigkeiten bringen sollten, letztlich aber auch zu seinem Erfolg beitrugen. So entwickelte er ein unglaubliches Talent dafür, seine Lehrer zu parodieren. Doch ehe er in seinem späteren Fach reüssierte, verdingte er sich erst einmal in der Hasenheide in der Werbebranche.

Er musste, wie viele seines Alters, in den Krieg ziehen, den er beinahe unbeschadet überstanden hätte. Kurz vor Kriegsende erlitt er jedoch einen Fußdurchschuss. Der Militärarzt wollte amputieren, doch es gelang dem jungen Mann durch einen Kartentrick, den Arzt davon abzuhalten. Nach dem Krieg verließ er Berlin und machte in einer anderen Branche Karriere, in der er für viele seiner nachfolgenden Kollegen Maßstäbe setzte. Er galt im Umgang als schwierig, weil er ein absoluter Perfektionist war. Ein auffälliges Kleidungsstück wurde zu seinem herausragenden Markenzeichen. So gut er auch in seinem Fach war, so schlecht war er als Geschäftsmann. Als er plötzlich mit 80.000 D-Mark beim Finanzamt in der Kreide stand, fürchtete er den Ruin. Aber auch aus dieser Krise arbeitete er sich wieder zäh heraus. Im übrigen machte er auch einen Postboten berühmt, der ihm das ein Leben lang dankte. (psk)

2. Geküsst von der leichten Muse

So richtig bekannt wurde die gebürtige Kreuzbergerin, die auch den Großteil ihres Lebens hier verbrachte, erst im hohen Alter, nach dem Tod ihres Mannes. Ihren Traumjob hatte sie da schon jahrzehntelang nicht mehr ausgeübt, auch weil ihr Mann das nicht wollte. Gegen den Job hatte zuvor schon schon ihr Vater Vorbehalte gehabt, wohl schon wegen seines eigenen Berufs und weil der Tätigkeit eine gewisse Anrüchigkeit nicht abzusprechen war.

Doch der väterliche Versuch, ihre berufliche Zukunft in andere Bahnen zu lenken, scheiterte – auch weil sie dabei die Bekanntschaft mit einer anderen jungen Frau machte, die später weltweite Berühmtheit erlangen sollte. Am Ende konnte sie sich doch gegen den Vater durchsetzen und ergatterte eine Stelle in einem inzwischen traditionsreichen Etablissement.

Über große Teile ihres langen Lebens ist außer einer zwölfjährigen Arbeit im größtenteils sitzenden Gewerbe wenig bekannt. Doch dann war es wieder eine Zufallsbekanntschaft, die sie zurück ins Rampenlicht brachte. Und als weitere 14 Jahre später jene Institution, in der sie als junge Frau gegen den väterlichen Widerstand ihre Berufung gefunden hatte, nach langer Pause neu eröffnete, war sie natürlich als Ehrengast dabei, gewissermaßen als letzte ihrer Art.

Anders als nach mehreren ihrer berühmten Weggefährten sind bislang keine Straßen oder Plätze nach ihr benannt. Aber das kann sich ja vielleicht noch ändern. (rsp)

3. Ein streitbarer Reformer

Schon sein Vater eckte an und musste einen anderen Beruf ergreifen, als er eigentlich vorhatte. Für den wiederum zeigte der Gesuchte keinerlei Begabung und strebte eine akademische Ausbildung an, die ihn vielleicht das erste Mal in Kontakt mit linken Gedanken brachte.

Nach seinem Studium ließ er sich nieder in einer Stadt, die in dieser Form heute nicht mehr existiert, und setzte sich dort für die Rechte von Menschen ein, die es aus ökonomischen oder politischen Gründen schwer hatten. Auch seine politische Karriere, die von den Querelen jener Zeit gekennzeichnet war, nahm dort ihren Anfang.

Schnell erreichte er überregionale Bekanntheit, doch einen Ruf nach Berlin lehnte er zunächst ab.

Es folgte eine Zeit des Umbruchs, in der er zwar nicht die Seiten, aber die Stoßrichtung seines Engagements wechselte.

Wie er dann schließlich, 15 Jahre später, doch noch nach Berlin und schließlich nach Kreuzberg kam, ist nicht so ganz klar, sein gewaltsamer Abgang zwölf Jahre später ist dafür umso besser dokumentiert.

Ein paar Jahre noch blieb er, doch dann verließ er Berlin für immer, kämpfte aber weiter für seine Überzeugung. Weitere 12 Jahre später verstarb er am Mittelmeer.

In Kreuzberg wird an mehreren Orten an ihn erinnert. Einer davon befindet sich in unmittelbarer Nähe zu seiner damaligen Wirkungsstätte, auch wenn es dort baulich inzwischen etwas anders aussieht. (rsp)

4. Sarg mit Fenstern

Sie wollte auf Nummer sicher gehen und verfügte, dass ihr Leichnam zunächst mal nicht bestattet wurde. Sie hätte ja auch scheintot sein können, und deshalb sollte ihr Doppelsarg auch mit Fenstern ausgestattet werden. 20 Jahre wollte sie im Kolumbarium des Dreifaltigkeitsfriedhofs aufgebahrt werden, ehe sie unter die Erde gebracht würde. Es wurden am Ende 36, ehe sie mit ihrem Mann dann doch noch die letzte Ruhe auf dem Friedhof am Halleschen Tor fand.

So ungewöhnlich die Umstände ihrer Beisetzung waren, so ungewöhnlich war sie auch zu ihren Lebzeiten. So war sie für ihre Zeit eine ungewöhnlich gebildete Frau, die vier Sprachen sprach. Illuster war der Kreis, den sie um sich versammelte: Dichter, Philosophen, Naturwissenschaftler und sogar gekrönte Häupter. Erstaunlich ist, dass all diese Gäste samt und sonders damals recht unbekannt waren, aber in späteren Jahren zu wahren Popstars in ihren Fächern werden sollten.

Ihre erste Liebe endete unglücklich, eine weitere im Streit, und ein paar Liebschaften später heiratete sie einen Mann, der um die Kleinigkeit von 14 Jahren jünger war als sie. Auch das war für die damalige Zeit ausgesprochen ungewöhnlich. Aber die Heirat machte sie zu eine Frau von Adel. Nicht, dass das für sie von größerem Interesse gewesen wäre, aber aufgrund der Zeitläufte brachte der Titel, vor allem für ihren jungen Mann, einen gewissen Schutz.

Sie starb 25 Jahre vor ihrem Mann. Doch der wurde gleich in die Erde des Dreifaltigkeitsfriedhofes versenkt. Erst neun Jahre später wurde sie neben ihm bestattet. (psk)

5. Mit Drumsticks und Häkelnadel

Wenige Jahre vor dem Mauerfall verschlug es die studierte Lehrerin aus der westeuropäischen Provinz der Liebe wegen nach West-Berlin. Dort verdingte sie sich zunächst bei einer Tageszeitung als Layouterin, trieb sich in der Hausbesetzerszene herum und gründete eine Band mit, in der sie nicht nur mit dem charakteristischen Akzent sang, den sie bis zu ihrem Lebensende nicht ablegte, sondern auch das Schlagzeug spielte. Einige Jahre später gründete sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten, dessen Künstlernamen vorne an ein süddeutsches Backwerk erinnert, eine weitere Formation, die in eingeweihten Kreisen eine gewisse internationale Bekanntheit erlangte.

Doch nicht nur mit ihren Drumsticks schuf sie avantgardistische Popkultur, sondern auch mit der Häkelnadel. Unerwartete Aufmerksamkeit der hauptstädtischen Boulevardpresse erregte ein von ihr gefertigtes textiles Kunstwerk, das im Bethanien als Teil einer Ausstellung zu sehen war. Dort gleich um die Ecke, am Oranienplatz, hatte sie jahrzehntelang ihren Lebensmittelpunkt, musizierte jenseits aber auch in der Tradition aller Konventionen des 20. Jahrhunderts, schrieb Bücher und produzierte Hörspiele.

In den letzten Jahren vor ihrem recht plötzlichen Tod moderierte sie eine regelmäßige Radiosendung, in der sie konsequent nur Vinylplatten auflegte und mit ihrem profunden Wissen »nicht nur über Autos, Sex, Tiere, Frauen, Männer und Tanzen« kommentierte, wie eine Radiokollegin in einem Nachruf sehr treffend subsummierte. (cs)

6. Ein Mann mit Hut

Geboren wurde der Gesuchte auf der Reise. Aufgewachsen ist er in einer Berliner Laubenkolonie. Vielleicht hatte ja bereits da seine spätere Affinität zu Keramikfiguren ihren Ursprung – insbesondere zu denen mit Mütze. Eine nicht ganz unauffällige Kopfbedeckung hat er selbst stets gerne getragen, sie wurde für ihn zu einer Art Markenzeichen.

Dreimal eingezogen zum Kriegsdienst wurde er jedes Mal teils schwer verwundet. Die körperlichen und seelischen Verletzungen prägten ihn sein Leben lang. Dennoch verlor er nicht den Lebensmut und den positiven Blick auf die Dinge, auch nicht auf die auf den ersten Blick weniger schönen. Wenn er sich seiner Motive annahm, wurden sie schön, oder zumindest authentisch, berührend und wichtig.

Die akademische Ausbildung zu der Profession, mit der er in seiner zweiten Lebenshälfte dann doch seinen Lebensunterhalt verdienen konnte, führte er nicht zu Ende. Der Vorwurf eines seiner Lehrer, er verstehe nicht, mit Farben umzugehen, traf ihn tief. Er verdingte sich fortan als Händler von Tieren, Bieren und Dingen, die andere nicht mehr haben wollten. Wurde zu einem Nabel einer Welt von Gleichgesinnten, die Kunst im Alltag schufen.

Er starb an einem Ostersonntag. Begraben liegt er hier in Kreuzberg, unweit seiner früheren gastronomischen Wirkungsstätte in einem von ihm selbst gestaltenen Familiengrab. (cs)

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2021.

Jetzt geht es um die Wurst

Sensationsfund bei Kneipenrenovierung

Currywurst mit Pelle und KetchupCurrywurst, der es vermutlich an Heuwers Geheim­sauce fehlt. Foto: Sumit Surai (CC BY-SA 4.0) (Quelle )

Archäologische Sensation in Kreuzberg: Bei Ausgrabungsarbeiten in einer coronabedingt geschlossenen Kreuzberger Eckkneipe wurde eine handschriftliche Aufzeichnung gefunden, bei der es sich offenbar um das Rezept für die berühmte »Chillup«-Sauce der mutmaßlichen Currywursterfinderin Herta Heuwer handelt.

»Wir wollten die Gelegenheit nutzen und endlich mal die Küche rausreißen, die wir als Raucherkneipe ohnehin nicht mehr betreiben dürfen«, erzählt Gastwirt Günther P., der vorerst anonym bleiben will. »Da fanden wir hinter der Spüle das Rezept.«

Schon länger hatten Farcimenologen (Wurstwissenschaftler) vermutet, dass Heuwer ihr 1949 entwickeltes Geheimrezept jemandem mitgeteilt haben musste, bevor sie 1999 starb. In den späten Achtzigerjahren, an die sich allerdings kaum jemand erinnert, der sie erlebt hat, soll die ältere Dame Stammgast bei Günther P.s Vorvorgänger gewesen sein und dem damaligen Wirt ihr Rezept anvertraut haben. Doch ein Beweis für das Gerücht konnte nicht gefunden werden – bis jetzt.

Selbst benutzen will Günther P. das Rezept nicht. »Ich habe jetzt ja keine Küche mehr«, stellt er enttäuscht fest. Allerdings habe er bereits mehrere interessante Anfragen von Sterneköchen erhalten, die ihm das Rezept unbedingt abkaufen wollen.

Bevor es so weit ist, muss aber erst die Authentizität des Schriftstücks nachgewiesen werden. Ein entsprechendes Gutachten wird zum 1. April 2022 erwartet. P. ist aber zuversichtlich.

»Das Magazin ‚stern‘ hat mir 9,3 Millionen Euro geboten, und das würden die ja wohl nie tun, wenn es sich um eine Fälschung handelte.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2021.