Eine Geschichte der Aufmüpfigkeit

Jürgen Enkemanns Kreuzbergbuch ist erschienen

Buchcover »Kreuzberg – das andere Berlin« von Jürgen Enkemann

Jürgen Enkemann kann wohl mit gutem Gewissen als »Kreuzbergversteher« bezeichnet werden. 1963 zog er nach Abschluss eines philologischen Studiums von Göttingen nach Kreuzberg und blieb dort. Als Mitbegründer und Mitglied zahlreicher Ini­tiativen im Bezirk und Herausgeber des Kiezmagazins »Kreuzberger Horn« (seit 1998) hat er viele der Ereignisse und Entwicklungen selbst miterlebt und mitgestaltet, von denen er in seinem jetzt im vbb verlag für berlin-brandenburg erschienenen Buch berichtet.

»Kreuzberg – das andere Berlin« lautet der Titel des 240 Seiten starken Werks. Was genau Kreuzberg jetzt so anders macht als die anderen Berliner Stadtteile, analysiert Enkemann gründlich und fundiert in zwölf Kapiteln, die jeweils einen thematischen Schwerpunkt näher beleuchten, der für das Werden und Sein, das Selbstverständnis und die Außenwahrnehmung Kreuzbergs eine Rolle spielte und spielt.

Er geht dabei (anders als etwa Martin Düs­pohl in seiner an mehreren Stellen von Enkemann zitierten »Kleinen Kreuzberggeschichte« von 2009) nicht strikt chronologisch vor. Vielmehr ordnet er die Phänomene nach der Zeit ihres ersten Auftretens an und konzentriert sich innerhalb der Kapitel auf die Ereignisse und Entwicklungen des jeweiligen Themas.

Beispielsweise be­ginnt das Kapitel über die (später legendäre) Kreuzberger Künstlerszene mit der Gründung der Galerie zinke 1959 und endet mit Entstehung, Rezeption und Wirkungsgeschichte des Lieds »Kreuzberger Nächte« der Gebrüder Blattschuss, während das darauffolgende Kapitel über die Entwicklung des multikulturellen Kreuzbergs den Bogen von der Anwerbung der ersten türkischen Arbeitskräfte 1961 bis hin zu aktuellen Debatten der Migrationsforschung spannt.

Als roter Faden durch die Geschichte zieht sich immer wieder die Aufmüpfigkeit, die Widerständigkeit des Bezirks, seiner Bewohner und – auch das mit einer überraschenden Kontinuität – seiner Verwaltung.

»Kreuzberg – das andere Berlin« ist keine Bedienungsanleitung für Touristen und Zugezogene, keine launige Anekdotensammlung und auch kein Geschichtsbuch mit Anspruch auf Vollständigkeit und Objektivität. Es ist eine wissenschaftlich fundierte und gleichwohl subjektive Analyse von Tendenzen, Kontinuitäten und Brüchen, reich bebildert mit zeitgenössischen Fotografien, Flugblättern, Plakaten, einem akribisch geführten Quellennachweis und Personenverzeichnis im Anhang.

Auch wenn der Text stellenweise recht nüchtern und sachlich daherkommt, ist das Buch dennoch von der ersten bis zur letzten Seite hochinteressant und uneingeschränkt lesenswert. Auch Leser, die sich (wie die Rezensentin) insgeheim selbst als Kreuzbergversteher verorten, können noch eine ganze Menge erstaunliche Details und Fakten über »ihr« Kreuzberg dazulernen.

Jürgen Enkemann: »Kreuzberg – das andere Berlin«, 240 Seiten, 179 Abbildungen. ISBN 978-3-947215-57-7, 25 Euro

Mehr zum Buch auf der Website des Verlags

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2020.

»Wir werden nicht da weitermachen, wo wir aufgehört haben«

BVV nimmt die Arbeit bald wieder auf

Die Bezirksverordneten-Versammlung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg hat sieben Wochen nicht getagt. Auch Ausschüsse und Fraktionssitzungen hat es in dieser zeit nicht gegeben. Am 29. April tagt die BVV erstmals wieder, allerdings verschlankt, mit Gesichtsmasken und in einer Turnhalle. Kiez und Kneipe hat den Fraktionsvorsitzenden der Linken, Oliver Nöll gefragt, wie es nun weitergeht.

»Wir lassen uns nicht unterkriegen!«

Kreuzberger Geschäfte, Restaurants, Kneipen und Selbstständige leiden unter dem Corona-Virus

Schild "Sorry, we are closed"Viele Geschäfte geschlossen, die Trottoirs leer wie sonst nur an Weihnachten. Auch in Kreuzberg kommt das öffentliche Leben teilweise zum Erliegen. Foto: ksk

Die wegen des Corona-Virus erlassene Kontaktsperre trifft in Kreuzberg viele Geschäfte, Restaurants, Cafés, Ateliers und Kulturschaffende sehr hart. Nur wenige Läden bleiben geöffnet. Die KuK hat sich umgesehen und umgehört.

Das DODO musste als Raucherkneipe bereits Mitte März seine Türen schließen. Wirt Rolf Jungklaus geht die Sache mit Humor an: »Der Dodo ist seit etwa 330 Jahren ausgestorben. Und das macht ihn unsterblich! Denn wer stirbt schon zweimal aus? Wir lassen uns jedenfalls nicht unterkriegen. Auf dodo-berlin.de gibt es ein Spendenkonto. Wenn wir dann wieder öffnen, feiern wir eine ganze Woche jede Nacht!«

Auch Olaf Dähmlow, Chef des Yorckschlösschens, hofft auf ein feucht-fröhliches Wiedersehen. »Wir versuchen die Situation zu überstehen, haben aber jede Menge Zahlungsverpflichtungen. Das Lokal haben wir komplett runtergefahren und alles leer und sauber gemacht. Viele Musiker sind nun leider ohne Einkommen und haben es sehr schwer.«

Chorleiter Horst Zimmermann von Con Forza ist selbst Musiker: »Mal ehr­­lich, ich genieße die Zwangspause. Der Himmel strahlend blau, keine Kondensstreifen, fast kein Abgasgestank. Der Klavier­unter­richt ist abgesagt, Chor natürlich zuerst, Klaviere stimmen geht mit Abstand und Desinfektionsmitteln am besten, aber mein kleines finanzielles Polster ist in ein paar Wochen geschwunden.«

Sieht man die teilweise leeren Regale im Edeka-Markt an der Ecke Mittenwalder / Gneise­naustraße, könnte man meinen, das Geschäft gehöre zu den Profiteuren der Pandemie. Doch im Gegenteil: »Ich mache deutlich weniger Umsatz als sonst«, erklärt Betreiber Huseyin Geyik. Weil Edeka die großen Märkte bevorzugt beliefert, kommen nur 35 bis 40 Prozent der bestellten Ware bei ihm an.

Horst Schmahl von Radio Art hofft, dass »die allgemeine Lage stabil bleibt. Wir sind als Laden mit Reparaturwerkstatt ganz gut dran und können Kunden Termine zur Abholung der Geräte anbieten. Noch sind Aufträge für April / Mai vorhanden.«

SICK!So kommentiert Pop-Art Künstlerin Tutu die Krise. Foto: ksk

Vu Hoang von der Sprachschule Transmitter ringt wie viele andere mit der Krise: »Uns ist es in den vergangenen zwei Wochen mit viel Mühe und Aufwand gelungen, unsere Sprachkurse in Online-Formate umzuwandeln. Kopfzerbrechen bereiten uns die kommenden Monate. Aber wir sind vorsichtig optimistisch. Drückt uns die Daumen!«

Keine Veranstaltungen mehr in Passionskirche und Heilig-Kreuz-Kirche bis Ende April. Sigrid Künstner vom Akanthus Kulturmanagement: »Ein erheblicher Einnahmeausfall nicht nur für uns, auch für Agenturen, Catering, Verleihfirmen, Techniker, Grafikerin und vor allem für die Künstler.«

Huseyin Geyik in seinem nah&gut-MarktUm Mitarbeiter und Kunden zu schützen, hat Huseyin Geyik Mindestabstände markiert und in Desinfektionsmittel, Handschuhe und Masken investiert. Foto: rsp

Da Broken Eng­lish auch Lebensmittel, Getränke und Drogerieartikel anbietet, bleibt das Geschäft in der Arndtstraße offen. Antje Blank ist »angesichts der funktionierenden hiesigen Gesundheitsversorgung täglich froh, dass wir von London nach Berlin gezogen sind«.

Alan Blim von Just Juggling hingegen musste schließen, setzt aber auf Online-Verkauf: »Da die Jonglage eine hervorragende Aktivität für zu Hause ist, haben wir viel mit Versand zu tun. Wer Bock auf Jonglage hat: einfach ein Anfänger Set von vier Bällen im Online-Shop bestellen!«

CD-Broker Christof Schönberg von UnderCover Media ist täglich im Büro und arbeitet Kleinigkeiten ab: »Ein paar Bestellungen, in erster Linie Material, aber nichts Arbeitsintensives. Es gibt im Bereich der Musik derzeit keinerlei Nachfragen mehr.«

Auch der Verein moment.mal hat seine Yoga­kurse für Kinder ausgesetzt. »Die Einschränkung ist für uns aber absolut nachzuvollziehen und bringt uns finanziell nicht in Gefahr«, sagt Constanze Hashemian, »da wir uns über private Spenden finanzieren und alles ehrenamtlich machen. Wir versuchen, online ein kleines Programm auf die Beine zu stellen.«

Das kleine griechisch-mediterrane Restaurant Nonne & Zwerg hat komplett geschlossen. Außer-Haus-Verkauf allein lohne sich nicht, sagt Kaj Biermann. »Wir wollten im Sommer ein paar Wochen Urlaub machen. Das ziehen wir jetzt vor.«

Beim Kino Moviemento ist jetzt Zeit für eine Grundreinigung von Böden und Sitzpolstern. Als Problem sieht Chefin Iris Praefke die Situation von Mini-Jobbern im Kino, weil Maßnahmen wie Kurzarbeit da nicht funktionieren. Noch könne man aber allen Mitarbeitern ihr Gehalt auszahlen.

Text: Marie Hoepfner, Robert S. Plaul, Klaus Stark

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2020.

Corona blockiert den letzten Weg

Zurzeit sind keine Urnenbestattungen möglich

Aussegnungskapelle an der BergmannstraßeFür trauernde geschlossen: In der Aussegnungskapelle an der Bergmannstraße dürfen keine Trauerfeierlichkeiten mehr abgehalten werden. Derzeit sind nur Erdbestattungen und die nur in kleinem Rahmen möglich. Foto: psk

Man könnte in diesen Zeiten auf den leicht makaberen Gedanken kommen, dass es ja doch noch Corona-krisensichere Berufe geben müsste, etwa Bestatter. Doch überraschenderweise ist auch diese Branche von der Covid-19-Krise direkt betroffen. Schnell bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man hört, was Kiezbestatter Klaus-Uwe Mecklenburg zu berichten hat.

»Aktuell habe ich noch drei Urnenbestattungen«, sagt er. »Aber Urnenbegräbnisse sind zur Zeit verboten.« Für die Angehörigen sei das zwar eine Belastung, jedoch hätten sie immerhin die Möglichkeit, sich bei der Einäscherung zu verabschieden. Hier begegnen die Angehörigen der Situation auch mit einem gewissen Verständnis.

Ganz anders liegt der Fall bei Erdbestattungen. Die sind erlaubt, jedoch mit sehr strengen Auflagen. So gibt es zum Beispiel keine Trauerfeier in der Aussegnungshalle. Die ist nämlich geschlossen. Außerdem muss eine Erdbestattung in einem sehr kleinen Rahmen gehalten werden, denn auch hier gelten die Kontaktbeschränkungen. Mit einer Erdbestattung einfach zu warten, sei auch keine Möglichkeit, denn die Kosten für die notwendige Kühlung des Leichnams seien sehr hoch.

Wenn sich die Corona-Krise noch weiter verschärfen sollte und die Zahl der Todesopfer plötzlich sprunghaft steigt, könnte die Situation für die Hinterbliebenen sogar noch schlimmer werden. Im schlimmsten Fall würde, wie in Italien, das Militär dann die Bestattungen übernehmen.

Allerdings wurde auch schon ohne solch ein Horrorszenario in der zweiten Märzhälfte die Situation deutlich verschärft. Da wurden die Friedhöfe sogar für drei Tage komplett geschlossen. Bestattungen gab es gar keine mehr.

Der Grund lag allerdings nicht in einer direkten Bedrohung durch das Corona-Virus, sondern in einem ziemlich erschütternden und pie­tätlosen Verhalten von einigen Friedhofsbesuchern. Klaus-Uwe Mecklenburg nennt zwei Beispiele, die sich auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße zugetragen hatten, kurz nachdem die Kinderspielplätze geschlossen worden waren. »In einem Fall«, so berichtet er, »spielten fünf Väter mit ihren Söhnen mitten auf dem Friedhof Fußball.« Nicht weniger erschütternd ist ein anderer Fall. Da schleppten Eltern eine komplette Sandkiste für ihren Nachwuchs im Kita-Alter auf den Friedhof. »Und da begannen sie dann mit Buddelspielen«, zeigt sich Kiezbestatter Mecklenburg noch immer ziemlich fassungslos.

Ähnliche Vorfälle hat es offenbar in ganz Berlin gegeben. Das veranlasste die Verwaltung der evangelischen Friedhöfe, alle ihre 42 Gottesäcker kurzerhand komplett zu schließen. Das allerdings ließ sich dann doch nicht auf Dauer durchsetzen, Drei Tage später waren sie wieder geöffnet, und seither gibt es auch wieder Bestattungen, mit all den bereits genannten Einschränkungen allerdings.

Klaus-Uwe Mecklenburg trifft die Krise übrigens doppelt. Er betreibt neben seinem Bestattungsunternehmen auch den K-Salon in der Bergmannstraße. Doch wann es in dem kleinen Saal wieder Kultur zu sehen und zu hören gibt, ist nicht abzusehen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2020.

Die KuK erscheint weiter

Geschrumpfte Notausgabe im April

Das Corona-Virus ist auch an der Kiez und Kneipe nicht ganz spurlos vorübergegangen. Zwar fühlen sich alle Mitarbeiter gesund und wohl, doch trotzdem produzieren wir diese Ausgabe nicht in den vertrauten Redaktionsräumen, sondern – mit einer Ausnahme – am heimischen Computer, und verbunden sind wir alle über das Netz.

Viele unserer Kunden und Geschäftsfreunde mussten ihre Läden schließen, so wie alle Kneipen und Restaurants in Kreuzberg. Für Kiez und Kneipe bedeutet das einerseits einen erheblichen Anzeigenrückgang. Dass wir überhaupt erscheinen können, verdanken wir all jenen, die der Krise aus unterschiedlichsten Gründen trotzen können und uns weiterhin unterstützen. Dafür an dieser Stelle ein ganz dickes Dankeschön.

Doch nicht nur die Anzeigen gingen zurück. Von ehemals 122 Verteilstellen in Kreuzberg, sind unter 20 geblieben. Dort und vor unserer Redaktion werden wir unser geschrumpftes Blatt nun verteilen. Geschrumpft heißt ganz konkret: zwölf Seiten und eine Auflage von 500 Exemplaren.Dieser Entscheidung gingen lange Diskussionen voraus. Wir debattierten auch darüber, die nächsten Ausgaben komplett ins Netz zu verlegen. Lohnt es sich denn wirklich, eine Kiezzeitung mit 500 Exemplaren zu veröffentlichen? Selbst die erste Ausgabe der KuK ging mit 1.000 Heften an den Start.

Die KuK liegt unter normalen Umständen nicht nur in Kneipen aus. Wir liefern auch in Einrichtungen der Pflege und Seniorenbetreuung, also genau dorthin, wohin Freunde und Bekannte aus einleuchtenden Gründen nicht mehr kommen dürfen.

Die KuK mag in diesen Zeiten dann vielleicht dem ein oder anderen nur ein kleines Fetzchen Normalität bedeuten. Aber schon dafür lohnt es sich, unser schlank gewordenes Magazin auch in der realen Welt unter die Leute zu bringen.

Wir hoffen, dass Sie die KuK im Juni, vielleicht auch erst im Juli oder August, in gewohnter Form wieder lesen können. Wir versuchen durchzuhalten. Bleiben Sie gesund!

Peter S. Kaspar und das ganze Team der KuK

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2020.

Rettet die Zweitwohnzimmer!

Kreuzberger Kneipen & Clubs brauchen Unterstützung

Fassbier auf TresenGerade nicht zu haben: Fassbier. Foto: rsp

Kneipen, Bars und Clubs gehörten zu den ersten von den Corona-Eindämmungsmaßnahmen betroffenen Institutionen. Bereits ab 15. März 0:00 Uhr und bis mindestens 19. April haben alle Wirte Zwangspause. Ob die Regelungen im April gelockert werden, steht dabei ebenso in den Sternen wie die Frage, welcher Gastronom den hundertprozentigen Umsatzausfall überlebt – denn laufende Kosten fallen ja trotzdem an. Und auch für Mischbetriebe oder reine Restaurants dürften die neuen Bestimmungen, die nur noch Außer-Haus-Verkauf erlauben, ein großes wirtschaftliches Problem darstellen.
Da es unwahrscheinlich ist, dass sich der Schaden allein mit staatlicher Hilfe kompensieren lässt, haben viele Kneipen ihre Gäste um Hilfe gebeten, denn schließlich steht oft gewissermaßen ja auch deren »Zweitwohnzimmer« auf dem Spiel.

Diese Liste erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Gerne nehmen wir auch noch weitere Gastronomiebetriebe mit in diese Liste auf! Schreibt eine Mail an corona@kiezundkneipe.de.

Nicht mehr draußen spielen

Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg schließt Spielplätze

Klettergerüst auf leerem SpielplatzBitte nicht benutzen: Friedrichshain-Kreuzberg schließt Spielplätze. Foto: rsp

Auch in Friedrichshain und Kreuzberg werden ab sofort die Spielplätze gesperrt, um die Corona-Pandemie weiter einzudämmen. Dies teilte das Bezirksamt soeben in einer Pressemitteilung mit.

Die komplette Pressemitteilung:

Bis auf weiteres sind auch in Friedrichshain-Kreuzberg die Spielplätze geschlossen. Dies geschieht nach Abstimmung zwischen den Berliner Gesundheitsstadträten am gestrigen Abend und auf Empfehlung unseres Amtsarztes.

Diese Maßnahme ist zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie wichtig. Mit Blick auf die Senkung der Infektionsrate bitten wir die Familien im Bezirk eindringlich und herzlichst, dieser Anordnung Folge zu leisten.

Mit der Sperrung der Spielplätze des Bezirks folgen wir der Empfehlung der Bundesregierung: Soziale Kontakte sind so weit wie möglich zu reduzieren. Auch im Bewusstsein darüber, dass die Kinderbetreuung in dieser Zeit für viele Eltern eine sehr große Herausforderung darstellt, bitten wir die Familien und Eltern um Verständnis für diese Maßnahme.

Sie stellt eine Rücksichtnahme zum Wohle aller dar. Wir appellieren an alle Bürgerinnen und Bürger in Friedrichshain-Kreuzberg, sich im Zuge der Corona-Pandemie umsichtig zu verhalten und körperliche Kontakte durch Menschenansammlungen, aber auch private Feiern, Veranstaltungen oder ähnliches zu vermeiden. Üben Sie Solidarität mit Älteren und Menschen mit Vorerkrankungen in ihrer Nachbarschaft, mit Bekannten und Familienmitgliedern. Meiden Sie körperliche Kontakte – aber lassen Sie niemanden allein. Nutzen Sie das Telefon, sprechen Sie miteinander.

In der aktuellen Situation ist es täglich neu notwendig, Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in ihrer infektionsschützenden, aber auch in ihrer einschränkenden Wirkung neu abzuwägen. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat sich in deshalb am 18. März dazu entschlossen, die bezirklichen Spielplätze zu sperren, um potentielle Ansteckungen zu minimieren. Die für Leib und Leben drohende Gefahr durch das Virus wurde als schwerwiegender eingeschätzt als eine zeitlich beschränkte Sperrung.

Die 180 bezirkseigenen Spielplätze werden mit zwei-sprachigen Hinweisschildern versehen und mit Flatterband abgesperrt. Das Straßen- und Grünflächenamt wird die Sperrungen im Außendienst kontrollieren. Wir weisen darauf hin, dass bei Missachtung die Mitarbeiter*innen des Bezirksamts sowie Polizeibeamten*innen befugt sind, Platzverweise zur Durchsetzung der auszusprechen.

Das Ende der Lenau-Schule

Zusammenlegung, Abriss, neuer Name, Neubau

Lenau-Grundschule in der NostitzstraßeDie Lenau-Schule wird wegen Asbestbelastung nach dem Schuljahr abgerissen. Die Schüler kommen in der Lina-Morgenstern-Schule unter. Foto: psk

Die Lenau-Schule ist Geschichte. Nach Ende des Schuljahres werden die Bagger in die Nostizstraße kommen und das Gebäude abreißen, das einem Neubau weichen muss. Notwendig wurde die Maßnahme wegen der Asbestbelastung. Eine Sanierung wäre teurer gekommen, als eben ein Neubau.

Und was wird mit den rund 400 Schülern, die derzeit die erste bis sechste Klasse besuchen?

Sie werden ab August mit der Lina-Morgenstern-Schule in der Gneisenaustraße zu einer Gemeinschaftsschule zusammengelegt. Miteinbezogen in die Kooperation wird auch die Ferdinand-Freiligrath-Oberschule in der Bergmannstraße.

Die neue Gemeinschaftsschule wird dann etwa 1000 Schüler umfassen. Was im ersten Moment sehr dramatisch klingt, ist aber aus einem ganz bestimmten Grund nötig geworden, wie Schulstadtrat Andy Hehmke der Berliner Morgenpost gegenüber erklärte. Sowohl bei der Lina-Morgenstern- als auch bei der Freiligrath-Schule liegen die Aufnahmezahlen deutlich hinter den möglichen Kapazitäten zurück. Die Zusammenlegung bringe weitere pädagogische Kontinuität in das Schulkonzept, betonte der Stadtrat.

So ist es zum Beispiel einfacher, die Schulzeit in der gymnasialen Oberstufe fortzusetzen, wenn sich Lehrer in einer Gemeinschaftsschule mit den Kollegen der vorherigen Schulstufe austauchen können.

Mit der Zusammenlegung ist auch das Ende der Lenau- und der Lina-Morgenstern-Schule gekommen. Die Gesamtschule wird einen neuen Namen erhalten. Verwiesen die bisherigen Namen noch auf bestimmte Personen, so wird die neue Gemeinschaftsschule einen Namen tragen, der eher auf den Ort und nicht mehr auf eine bestimmte Person hinweisen soll. Wie der jedoch lautet, ist noch nicht klar. Darüber müssen sich erst die beiden Schulkonferenzen einigen.

Ist das dann tatsächlich das Ende von Lenau- und Lina-Morgenstern-Schule? Ja und Nein, die Namen verschwinden zwar, aber es wird in der Nostizstraße ein Neubau errichtet. In den ziehen 2023 die Schüler der ersten bis sechsten Klasse der neuen Gemeinschaftsschule. Und dann ist es fast wieder so wie früher.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2020.

Wenn Gaia noch schläft

Ninell Oldenburg hat beim Rebschnitt am Fuße des Kreuzbergs geholfen

Rebschnitt am Fuße des KreuzbergsRebschnitt in der Kälte mit Peter (Mitte links) und Timo (Mitte rechts). Foto: no

Es ist Sonntag. Es ist kalt. Es ist nass. Berlin liegt im Bett.

Ich stehe auf, ziehe mir fünf Paar Socken und sechs Schichten obenrum an und fahre zum Kreuzberg. Ich bin verabredet: zum Rebschnitt.

So vielfältig Kreuzberg auch ist, eine der wenigen Sachen, die man neben Sonne im Januar garantiert nicht mit dem Stadtteil verbindet, ist Wein. Und nun stehe ich da wie ein Michelin-Männchen und habe eine Gartenschere, nein, Rebschere in der Hand.

Ich treffe Timo und Peter auf dem Wingert am Kreuzberg. In der vorherigen Einladung zum gemeinsamen Beschneiden der Schwestern und Brüder Rebe wurde freundlich darauf hingewiesen, bitte auf metallische Elemente an den Gartengeräten zu verzichten. Und die Handys, die sollten wir lieber am Eingang lassen. Wir wollen ja die Schwingungen spüren.

Ich weise Timo darauf hin, dass die tolle Reb­schere, die meine Schwester mir hat zukommen lassen, doch irgendwie aus Metall ist. Mir fällt in genau diesem Moment auf, dass Plastik- oder Holzscheren vielleicht gar nicht taugen würden. Timo grinst. Das würden die Reben vielleicht doch noch gerade so verkraften.

Seit den späten 60ern gibt es den »Weinberg«. Timo ist seit gut sieben Jahren, Peter seit drei Jahren dabei. Die Reben stehen bei der Hofgrün GmbH in der Methfesselstraße, und zwar auf einem historisch ziemlich wertvollen Platz. In dem Haus, das dort stand, bevor es zerbombt wurde, setzte Konrad Zuse seinerzeit den ersten laufenden programmierbaren Computer, den Z3, zusammen.

Doch zur Sache. Die Rebscheren sind am Platz, scharf und bereit zum Einsatz. »Dann gehen wir mal runter und fragen die Reben, wie sie es denn gerne haben wollen«, grinst Peter. Mit mir zusammen helfen noch zwei weitere Menschen. Einer von ihnen ist Victor, der Azubi in der Weinhandlung »Wein & Vinos« in der Mittenwalder Straße. Der soll jetzt auch mal lernen, was eigentlich vor dem Verkauf so passiert.

Und wir lernen: zwei Triebe lässt man stehen. Einen links, einen rechts. Die Verzweigung zu dem Trieb soll möglichst nah am Kopf sein. Also nah an dem Teil, wo die Triebe vom Stamm abtreiben. Die Augen, das sind die dicken Knubbel, die in regelmäßigen Abständen am Zweig sind, lassen wir mit ein bisschen Abstand stehen. Da treiben dann »im Frühjahr, wenn Gaia erwacht« die neuen Triebe aus und die Reben können »den Strom des Lebens in ihre Zweige lenken«. Vertrocknete Spitzen werden abgeschnitten, das versteht sich von selbst.

Nach zwei Stunden meditierender Arbeit im Wingert sagt das erste Mal wieder jemand etwas. Es ist Timo. »Pause! Kosten!« Der Spätburgunder aus den Jahren 15/16: Kalt und lecker. Natürlich gehöre das Weintrinken auch dazu. So passiere es ja überhaupt erstmal, dass man dazu kommt: »Drogen konsumieren, Drogen verkaufen, Drogen anbauen.« Erwerben kann man dann eine der 700-800 halben Flaschen Weiß- und 200 halben Flaschen Rotwein bei der Abteilung für Wirtschaftsförderung beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg.

Als es dunkel wird, stellen wir die Arbeit ein. Ich bin mittlerweile erkältet und zu Eis erstarrt. Und trotzdem habe ich mich lange nicht mehr so gesund gefühlt. Irgendwie gereinigt, geordnet und durchmeditiert. Gaia hat vielleicht doch ihre Spuren hinterlassen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Aktenaffäre wird nun untersucht

SPD wirft Florian Schmidt Manipulation vor

Florian SchmidtFlorian Schmidt. Foto: psk

Hat er, oder hat er nicht? Die Frage, ob Baustadtrat Florian Schmidt Akten manipuliert hat oder nicht, ist nicht nur in Kreuzberg ein Aufreger. Selbst die in München erscheinende Süddeutsche Zeitung widmet dem derzeit vermutlich bekanntesten Kommunalpolitiker der Republik eine ganze Reportage.

Darin erfährt der Leser, dass in Schmidts Büro eine ihn selbst zeigende Karikatur im Stile Che Guevaras hängt. Damit scheint geklärt, mit wem sich der Stadtrat eher vergleicht: Mit Che oder mit Robin Hood. Als solchen hat ihn der Regierende Bürgermeister Michael Müller bezeichnet, und ihm auch noch ein »Mini-« vorangestellt.

All das sind die Folgen jener Aktenaffäre, die nun so hochkocht, dass sich Schmidt Rücktrittsforderungen, Strafanzeigen und einer Untersuchung der Senatsverwaltung des Inneren gegenüber sieht.

Im Grunde hängt alles mit der unkonventionellen Art zusammen, mit der Schmidt seit Jahren versucht, den Immobilienspekulanten beizukommen. Das Mittel des Vorkaufsrechts hat schon einige Male gegriffen und auch schon Inves­to­ren in die Knie gezwungen. Das Problem bei diesem Konstrukt: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg kann die Immobilien, für die er das Vorkaufsrecht geltend macht, gar nicht alle selbst kaufen. Also wird das Vorkaufsrecht an solche Investoren weitergegeben, die im Sinne des Bezirks investieren, etwa mit Blick auf die Kreuzberger Mischung, vor allem aber bezahlbaren Wohnraum.

Es war allerdings auch abzusehen, dass Schmidt diese Art von weißen Rittern irgendwann einmal ausgehen würde.

Mit der Gründung von »Diese eG« sollte Abhilfe geschaffen werden. Als die SPD nun Unterlagen zum Kauf von Wohnungen durch »Diese eG« in der Rigaer Straße einsah, fiel ihr auf, dass sie einerseits falsch paginiert waren und dass auch Teile fehlten.

In einer gemeinsamen Fraktionssitzung von Grünen, Linken und SPD räumte Florian Schmidt das zwar ein, sah darin aber keine Manipulation oder ein Versäumnis. »Er wollte verhindern, dass die Inhalte von Akten von CDU und FDP instrumentalisiert und von einem Redakteur des Tagesspiegels zur politischen Agitation genutzt werden«, heißt es in einer Pressemitteilung der SPD.

In der gleichen Pressemitteilung von 17. Januar stellte die SPD dem Baustadtrat ein Ultimatum bis zum 27. Januar. Bis dahin solle er Einsicht in alle Akten geben, »sonst ist sein Rücktritt unvermeidbar.«

Allerdings wurde inzwischen die Senatsinnenverwaltung tätig. Innensenator Geisel verfügte die Bezirksaufsicht über den Baustadtrat.

Linke hält sich im Fall Florian Schmidt zurück

Konkret heißt das, dass die Vorgänge um die fehlenden Akten nun untersucht werden. Außerdem beschäftigt sich nun auch der Landesrechnungshof mit der »Diese eG«.

Die Grünen sprangen ihrem angeschlagenen Bezirksstadtrat natürlich bei. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann sieht auch keinen Grund dafür, dass Schmidt zurücktreten müsse. Allerdings fanden auch einige Parteifreunde Schmidts Wortwahl in der gemeinsamen Fraktionssitzung ein wenig unglücklich.

Ist Schmidt nun nachhaltig gefährdet oder ist alles nur wieder so ein berühmter Sturm im Wasserglas?

Für Außenstehende ist das nur schwer einzuschätzen. Interessant ist deshalb ein Blick auf den Dritten im Bunde der grün-rot-roten Konstellation im Bezirksamt.

In den vergangenen Monaten waren es stets die Linken, die, vor allem im Falle Bergmannstraße, Florian Schmidt oft sehr hart angegangen sind. Aus ihren Reihen ist jetzt eher beredtes Schweigen zu hören.

Es gibt allerdings Ausnahmen. Der stellvertretende Bezirksbürgermeister Knut Mildner-Spindler gab jüngst der Berliner Morgenpost ein Interview, in dem er unter anderem auch zum Fall Florian Schmidt befragt wurde. Auf die Frage, ob er auch Dokumente vor einer Akteneinsicht herausnehmen würde, meinte Mildner-Spindler, dass das ein ganz normaler Vorgang sei, weil es ja auch um schutzwürdige Belange Dritter oder das öffentliche Interesse gehe. Aber man müsse dann vor Einsichtnahme darüber informieren. Allerdings kann sich Mildner-Spindler nicht erinnern, dass sein Kollege im Bezirksamt dagegen verstoßen hätte.

Das Ultimatum der SPD ist ausdrücklich nicht vom Tisch, obwohl es durch die Untersuchungen von Innenverwaltung und Landesrechnungshof im Grunde überflüssig geworden ist. Wird man nämlich an diesen Stellen fündig und erkennt gravierende Fehler Schmidts, wird er sowieso zurücktreten müssen. Wird er allerdings durch die Untersuchungen entlastet, spielt das Ultimatum der SPD auch keine Rolle mehr.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Ein Wohnturm für das Dragonerareal

Architektenwettbewerb abgeschlossen

Es sind die umstrittensten und vielleicht begehrtesten viereinhalb Hektar in Berlin: Das Dragonerareal. Nun, so scheint es, könnten die endlosen Auseinandersetzungen und Diskussionen ein Ende nehmen. Bei einem Architekturwettbewerb setzten sich die Büros »Smaq Architektur und Stadt« und »Man Made Land« durch. Ihr Entwurf beinhaltet so ziemlich alles das, was man sich von einer zentralen Bebauung im Herzen Kreuzbergs vorstellt.

Vorgesehen sind nach diesen Entwürfen 525 neue Wohnungen im bezahlbaren Segment. Gewerbe ist auf 21.000 Quadratmetern geplant. 14.000 davon sollen an sogenannte »störende Betriebe« gehen. Es geht dabei um Handwerksbetriebe wie Schreinereien oder Metallverarbeitung, die von Natur aus mit einer höheren Lärmentwicklung verbunden sind und daher immer mehr an der Stadtrand gedrängt werden.

Damit wird der klassischen Kreuzberger Mischung Rechnung getragen: Stätten für Wohnen und Arbeiten liegen eng beieinander.

Blickfang der ganzen Planung ist das Modell eines Wohnturmes, der 16 Stockwerke umfasst. Um ihn herum wird ein ganzes neues Stadtviertel geplant.

Derzeit sind viele kleine Unternehmen und Werkstätten auf dem Gelände untergebracht – zum Teil in denkmalgeschützen Gebäuden, wie den alten Remisen der Kaserne. Gerade das Gewerbe soll nicht vetrieben, sondern gehalten werden, um auch weiteres anzulocken.

Doch ausgerechnet an diesem Punkt stört sich die bislang einzige Kritik. Die ausgewiesenen Gewerbeflächen sind nämlich etwas geringer ausgefallen, als in der Aufgabenstellung vorgegeben. Das haben die Gewerbetreibenden vom Dragonerareal moniert.

Ob da noch nachjustiert wird, wird sich zeigen. Eines ist nämlich klar: Nichts ist die Stein gemeißelt. Doch die Bebauung wird sich im Großen und Ganzen an dem Siegerentwurf orientieren. Dass der sich dann in Details verändert, bis der erste Spatenstich getan ist, ist normal. Die Planung soll nächtes Jahr beginnen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Vom Bauarbeiter zum Buchhändler

Robert S. Plaul sprach mit »Hammett«-Inhaber Christian Koch

Hammett-Inhaber Christian KochChristian Koch. Foto: rsp

Die Buchhandlung Hammett in der Kreuzberger Friesenstraße kann man guten Gewissens als Institution in Sachen Kriminalliteratur bezeichnen. Seit bald einem Vierteljahrhundert versorgt das nach dem Schriftsteller Dashiell Hammett benannte Geschäft nicht nur Kiezbewohner mit Lesestoff. Dass das trotz aller Widrigkeiten, mit denen der Buchhandel im Allgemeinen und das Hammett im Besonderen in den letzten Jahren und Monaten zu kämpfen hatte, schon so lange so gut klappt, liegt vor allem an einer Person: Inhaber Christian Koch.

Dabei war Christian Kochs Weg vom Krimileser zum Krimibuchhändler keineswegs vorgezeichnet. Nach dem Abitur, das er machte, »weil es alle gemacht haben«, und 20 Monaten Zivildienst schlug sich der gebürtige Hannoveraner eher etwas ziellos durchs Leben. »Ich habe zum Beispiel mal ein halbes Jahr auf einem Segelschiff gelebt«, erzählt er, »in Südfrankreich.«

Fünf Jahre arbeitete er in seiner alten Heimat auf dem Bau, bis er 1998 schließlich der Liebe wegen nach Berlin zog. Auch in Berlin kam er zunächst mit handwerklichen Tätigkeiten über die Runden, doch das Verhältnis zu seinem neuen Chef war nicht das beste und Christian dachte darüber nach, sich selbstständig zu machen.

Genau in jener Zeit, im Sommer 1998, hörte er zufällig von einer Buchhandlung in Kreuzberg, die nur Krimis verkaufte – und, wie sich herausstellte, von einer alten Schulfreundin betrieben wurde. Und Claudia, die das Hammett 1995 gegründet hatte, suchte gerade eine Aushilfe. So wurde Christian Koch, der schon immer gerne Krimis gelesen hatte, aber nie auf die Idee gekommen wäre, im Buchhandel zu arbeiten, gewissermaßen vom Hilfsarbeiter zum Hilfsbuchhändler.

Doch dem Hammett ging es schlecht und seine alte Bekannte und neue Chefin wollte den Laden nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus privaten Gründen verkaufen.

Die beiden festen Mitarbeiter des Hammett hatten kein Interesse, das Geschäft zu übernehmen. Sie glaubten nicht an eine Zukunft der Krimibuchhandlung. Quereinsteiger Christian sah das anders. Er war davon überzeugt, dass man den Laden zum Laufen kriegen könnte, auch wenn es sicher nicht leicht werden würde. Er sollte recht behalten – und zwar mit beidem.

Bald lernte er, worauf es im Buchhandel und speziell beim Hammett ankommt: Die Leute wollen beraten werden, zumindest die meisten, und zwar ehrlich. »Am Anfang habe ich geglaubt, ich müsste jedes Buch gelesen haben«, sagt er, »aber das geht natürlich gar nicht.« Wenn man dann so tut als ob, kann das schnell peinlich werden, weiß er aus eigener Erfahrung. Lieber ist ihm da das offene Gespräch mit seinen Kunden, bei dem auch er, nach über 20 Jahren ein wandelndes Krimilexikon, immer wieder Neues dazulernt.

Die Kunden wissen seine offene Art zu schätzen. Als das Hammett kürzlich per Newsletter von seiner aktuellen wirtschaftlichen Schieflage berichtete, unter anderem eine Folge der 16-monatigen Baustelle direkt vorm Laden, schwappte ihm eine Welle der Solidarität entgegen. »Viele haben gesagt: Ach, dann mache ich meine Weihnachtseinkäufe dieses Jahr bei euch«, sagt er. Und auch ein anonymer Brief mit einer Banknote lag eines Tages im Briefkasten – ziemlich passend für einen Krimibuchhändler, findet Christian.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Über die Vielfalt in der Gemeinschaft

Projekt »Art up« präsentiert erste Gemeinschaftsausstellung

Kreuzberg definiert sich auch über seine Künstler. Das ist ein Grund dafür, dass der Bezirk das Projekt »Art up – Erfolg im Team« fördert. Hier sollen Kreuzberger Künstler genau in dem Bereich gestärkt werden, der vielen besonders schwer fällt: der Vermarktung der eigenen Kunst. Geleitet wird das Projekt von Christine Balbach.

Jeder Projektdurchlauf präsentiert sein Schaffen am Ende in einer Gemeinschaftsausstellung. Die fünf Künstlerinnen und Künstler der ersten Gruppe sind Frauke Bohge, Angelika Encke, Juergen Motzel, Francesca Rose und Mirella Thuja. Sie stellen ab dem 10. Januar ihre Werke im K-Salon in der Bergmannstraße 54 aus.

Der Titel der Ausstellung lautet: »Körperschaft – Corporation«. In ihren Gemälden und Digitalcollagen beleuchten sie unterschiedliche Aspekte der beiden Begriffe: Körper, Menschen, Sensationen, aber auch das Stille, scheinbar völlig Körperlose und das Vergangene.

Weiter heißt es in dem begleitenden Text zur Ausstellung: »Anscheinend hat Körperschaft – Corporation wenig mit dem Zusammenspiel des Lebens zu tun. Dieser Begriff impliziert zunächst eine Trennung von Personen und Lebewesen. Dabei existiert eine viel tiefere Bedeutung: Das Wort steht für einen Zusammenschluss von Menschen. Gemeinsam erschaffen die fünf Positionen ein Universum, dessen Klang und Vielfalt überraschend wirken: Wir sehen innere und äußere Welten, Landschaften, urbane Szenen, Geishas und andere Figuren, die eine individuelle, unverkennbare Handschrift tragen. Gleichzeitig verschmelzen sie zu einem organischen Ganzen.«

Die Ausstellung im K-Salon startet am 9. Januar um 19 Uhr mit der Vernissage. Eine Einführung gibt die Künstlerin Lena Braun, die gemeinsam mit der Künstlerin Simone Haack den Praxisworkshop »Ausstellungs- und Veranstaltungsorganisation« begleitet hat.

Ab 10. Januar ist die Ausstellung donnerstags bis samstags von 16 bis 21 Uhr und sonntags von 14 bis 18 Uhr zu sehen. Sie endet am 24. Januar.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

15 Jahre Kiezgeschichten

In 15 Jahren Kiez und Kneipe hat sich nicht nur die Zeitung weiterentwickelt, sondern auch der Kiez. Wir haben einige Schlaglichter aus 15 Jahren Lokaljournalismus aus dem Archiv geholt.

2004/2005

Nach der Erstausgabe im Dezember 2004 bleibt der Einzugsbereich der Kiez und Kneipe im ersten Jahr noch überschaubar. So geht es auch inhaltlich meist um Ereignisse aus dem »Kiez ohne Namen« nördlich der Gneisenaustraße. Ausgiebig berichtet das junge Kiezblatt über Partys, Konzerte und Kneipenjubiläen, die damals in der Tat mit merklich mehr Verve zelebriert wurden. Doch auch Themen, die größer sind als der Kiez, finden ihren Niederschlag in der Zeitung: Nach der Tsunamikatastrophe in Asien Ende 2004 begleitet die KuK die private Hilfsinitiative »Khao Lak Friends« medial und rührt die Spendentrommel. Zur Bundestagswahl werden die Direktkandidaten des Wahlkreises zu öffentlichen Gesprächen eingeladen.

2006

Jubel bei der Fußball-WMZum einjährigen Bestehen dehnt die KuK ihr Verbreitungsgebiet auf den Bergmannkiez aus – und der liefert prompt berichtenswerten Gesprächsstoff: Das umstrittene Projekt Ärzte­haus wird trotz enormer Widerstände von der BVV beschlossen, und bei der Marheineke-Markthalle stehen Veränderungen ins Haus. Das Lieblingsthema des Sommers aber ist die Fußball-WM im eigenen Land, die mehr denn je auch Fußball-Muffel vor die Leinwände der Kiezgastronomie lockt.

2007

FichtebunkerWährend die Markthalle am Marheinekeplatz rund zehn Monate lang aufwändig saniert wird, zeichnen sich bereits Anfang des Jahres weitere Veränderungen im Kiez und der Nachbarschaft ab. Große Uneinigkeit herrscht über die im Raum stehende Schließung des Flughafens Tempelhof. Die Pläne zur Überbauung des Fichtebunkers mit Eigentumswohnungen stoßen auf überwiegend kritische Stimmen. Nach einem Brand in der KuK-Redaktion ist die Zeitung für zwei Monate obdachlos, bevor die jetzigen Räume in der Fürbringerstraße bezogen werden.

2008

Zigaretten im Aschenbecher2007 geht und das Rauchverbot kommt, zumindest in gastronomischen Betrieben, die auch »zubereitete Speisen« anbieten – was auch immer unter diese Definition fallen mag. Lokalpolitisch stehen die Media­spree und die Zukunft von THF zur Abstimmung – mit dem bekannten Ergebnis.

2009

Menschen auf der AdmiralbrückeDas Thema Nichtraucherschutzgesetz ist noch nicht ausgestanden, aber auch lärmempfindliche Nachbarn werden für manchen Wirt zur Bedrohung. Die gibt es auch an der Admiralbrücke, die sich im Sommer eines regen Zulaufs durch laute Touristengruppen erfreut. Die Kleingärtner im Gleisdreieckpark bangen um ihre Existenz, und dann ist ja auch mal wieder Bundestagswahl.

2010

Tempelhofer Feld mit FlughafengebäudeWas lange währt wird endlich gut: Das Tempelhofer Feld wird für die Öffentlichkeit geöffnet. Im heißesten Sommer seit Jahren bevorzugen viele trotzdem ein kühles Bier zum Public Viewing der WM. Und im Nachbarbezirk gründet sich die Kiez und Kneipe Neukölln.

2011

Mitglieder der PiratenparteiIn der Mittenwalder Straße, also quasi im Zentrum von KuK-Land, gründet sich der Nachbarschaftsverein mog61 e.V., von dem man noch viel hören und lesen wird. Ende September sorgt der Papstbesuch für Verkehrschaos am Südstern. Bei der Berlinwahl überraschen die Piraten in Kreuzberg mit einem deutlich zweistelligen Ergebnis und zu wenig Abgeordneten für die gewonnenen BVV-Sitze.

2012

Schüler und Künstler bemalen TelefonkastenEs ist nicht die erste Kneipe, die dicht macht, und es wird auch nicht die letzte sein. Trotzdem trauern viele dem Mrs. Lovell hinterher. Im Graefekiez üben sich mehrere Wirte in Selbstbeschränkung, was den abendlichen Außenausschank angeht. Am Südstern eröffnet ein neuer Wochenmarkt, und mog61 bemalt Stromkästen.

2013

Gleisdreieckpark (Westgelände)Schon wieder mog61: Der Verein veranstaltet das erste Straßenfest in der Mittenwalder. Monika Herrmann löst Franz Schulz als Bezirksbürgermeisterin ab und »erbt« nicht nur einen eröffnungsreifen Gleisdreieckpark, sondern auch eine besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule (GHS). Neuer Ärger bei den Wirten: Der Bundesliga-Pay-TV-Sender SKY wird erheblich teurer.

2014

Bettie Berlin mit Kiez und KneipeNicht nur die GHS, sondern auch die Dealer im Görli schlagen hohe Wellen im Bezirk und darüber hinaus. Kiez-und-Kneipe-Chef Peter lädt das erste Mal zum Pub-Quiz ins TooDark, das, kurz nach einem rauschenden KuK-Fest zum Zehnjährigen, zwecks Umfirmierung und Inhaberwechsel seine Pforten schließt.

2015

Gemüseladen »Bizim Bakkal«Das Jahr steht im Zeichen der Ini­tiativen: Kreuzberg hilft sammelt Spenden für Geflüchtete, in der Schleiermacherstraße organisiert sich Widerstand gegen eine Verlegung des Spielplatzes an der Ecke Fürbringerstraße, und Bizim Kiez kämpft in SO36 gegen Verdrängung von Mietern – mit gewissem Erfolg: Im Dezember nimmt der Bezirk erstmals sein Vorkaufsrecht wahr, um ein Haus der Spekulation zu entziehen.

2016

Kottbusser TorManchmal schreiben auch andere die Schlagzeilen: Im Frühjahr jedenfalls erklären mehrere bundesdeutsche Medien den Kotti zur No-Go-Area. Ob da was dran ist? Unklar ebenfalls: die Zukunft der Cuvry-Brache. Nur zwei von vielen Problemen, mit denen sich die insgesamt acht in die BVV gewählten Parteien beschäftigen dürfen.

2017

Canan Bayram mit KuK-Redakteurin Manuela Albicker.Der Bericht über Methadonpatienten am U-Bahnhof Gneisenaustraße und zwei gegenläufige Initiativen beschert der Kiez und Kneipe einen kostspieligen Rechtsstreit. Bei der Bundestagswahl im September beerbt Canan Bayram den langjährigen grünen Direktkandidaten Christian Ströbele.

2018

MöckernkiezMan mochte schon gar nicht mehr dran glauben: Nach Finanzierungsproblemen und Baustopp sind die Mietwohnungen im Möckernkiez nun doch noch fertig geworden. In der Friesenstraße hingegen gehen die Bauarbeiten am Straßenbelag erst los.

2019

Elektro-Tretroller mitten auf dem BürgersteigZum Dauerthema entwickelt sich die geplante Begegnungszone in der Bergmannstraße mit ihren Parklets, Findlingen und farbigen Punkten. Der Kiez wird derweil von Elektro-Tretrollern überflutet, die auch von der Redaktion mutig getestet werden. Neue Hoffnung für Gentrifizierungsbedrohte: Der Mietendeckel kommt.

 

Fotos: Hoepfner (2012), Hungerbühler (2010), Kaspar (2007, 2008, 2015, 2016), Plaul (2009, 2011, 2013, 2017, 2018), Stark (2019), Tiesel (2014), Vierjahn (2006)

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2019.