Wenn Gaia noch schläft

Ninell Oldenburg hat beim Rebschnitt am Fuße des Kreuzbergs geholfen

Rebschnitt am Fuße des KreuzbergsRebschnitt in der Kälte mit Peter (Mitte links) und Timo (Mitte rechts). Foto: no

Es ist Sonntag. Es ist kalt. Es ist nass. Berlin liegt im Bett.

Ich stehe auf, ziehe mir fünf Paar Socken und sechs Schichten obenrum an und fahre zum Kreuzberg. Ich bin verabredet: zum Rebschnitt.

So vielfältig Kreuzberg auch ist, eine der wenigen Sachen, die man neben Sonne im Januar garantiert nicht mit dem Stadtteil verbindet, ist Wein. Und nun stehe ich da wie ein Michelin-Männchen und habe eine Gartenschere, nein, Rebschere in der Hand.

Ich treffe Timo und Peter auf dem Wingert am Kreuzberg. In der vorherigen Einladung zum gemeinsamen Beschneiden der Schwestern und Brüder Rebe wurde freundlich darauf hingewiesen, bitte auf metallische Elemente an den Gartengeräten zu verzichten. Und die Handys, die sollten wir lieber am Eingang lassen. Wir wollen ja die Schwingungen spüren.

Ich weise Timo darauf hin, dass die tolle Reb­schere, die meine Schwester mir hat zukommen lassen, doch irgendwie aus Metall ist. Mir fällt in genau diesem Moment auf, dass Plastik- oder Holzscheren vielleicht gar nicht taugen würden. Timo grinst. Das würden die Reben vielleicht doch noch gerade so verkraften.

Seit den späten 60ern gibt es den »Weinberg«. Timo ist seit gut sieben Jahren, Peter seit drei Jahren dabei. Die Reben stehen bei der Hofgrün GmbH in der Methfesselstraße, und zwar auf einem historisch ziemlich wertvollen Platz. In dem Haus, das dort stand, bevor es zerbombt wurde, setzte Konrad Zuse seinerzeit den ersten laufenden programmierbaren Computer, den Z3, zusammen.

Doch zur Sache. Die Rebscheren sind am Platz, scharf und bereit zum Einsatz. »Dann gehen wir mal runter und fragen die Reben, wie sie es denn gerne haben wollen«, grinst Peter. Mit mir zusammen helfen noch zwei weitere Menschen. Einer von ihnen ist Victor, der Azubi in der Weinhandlung »Wein & Vinos« in der Mittenwalder Straße. Der soll jetzt auch mal lernen, was eigentlich vor dem Verkauf so passiert.

Und wir lernen: zwei Triebe lässt man stehen. Einen links, einen rechts. Die Verzweigung zu dem Trieb soll möglichst nah am Kopf sein. Also nah an dem Teil, wo die Triebe vom Stamm abtreiben. Die Augen, das sind die dicken Knubbel, die in regelmäßigen Abständen am Zweig sind, lassen wir mit ein bisschen Abstand stehen. Da treiben dann »im Frühjahr, wenn Gaia erwacht« die neuen Triebe aus und die Reben können »den Strom des Lebens in ihre Zweige lenken«. Vertrocknete Spitzen werden abgeschnitten, das versteht sich von selbst.

Nach zwei Stunden meditierender Arbeit im Wingert sagt das erste Mal wieder jemand etwas. Es ist Timo. »Pause! Kosten!« Der Spätburgunder aus den Jahren 15/16: Kalt und lecker. Natürlich gehöre das Weintrinken auch dazu. So passiere es ja überhaupt erstmal, dass man dazu kommt: »Drogen konsumieren, Drogen verkaufen, Drogen anbauen.« Erwerben kann man dann eine der 700-800 halben Flaschen Weiß- und 200 halben Flaschen Rotwein bei der Abteilung für Wirtschaftsförderung beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg.

Als es dunkel wird, stellen wir die Arbeit ein. Ich bin mittlerweile erkältet und zu Eis erstarrt. Und trotzdem habe ich mich lange nicht mehr so gesund gefühlt. Irgendwie gereinigt, geordnet und durchmeditiert. Gaia hat vielleicht doch ihre Spuren hinterlassen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Aktenaffäre wird nun untersucht

Hat er, oder hat er nicht? Die Frage, ob Baustadtrat Florian Schmidt Akten manipuliert hat oder nicht, ist nicht nur in Kreuzberg ein Aufreger. Selbst die in München erscheinende Süddeutsche Zeitung widmet dem derzeit vermutlich bekanntesten Kommunalpolitiker der Republik eine ganze Reportage.

Darin erfährt der Leser, dass in Schmidts Büro eine ihn selbst zeigende Karikatur im Stile Che Guevaras hängt. Damit scheint geklärt, mit wem sich der Stadtrat eher vergleicht: Mit Che oder mit Robin Hood. Als solchen hat ihn der Regierende Bürgermeister Michael Müller bezeichnet, und ihm auch noch ein »Mini-« vorangestellt.

All das sind die Folgen jener Aktenaffäre, die nun so hochkocht, dass sich Schmidt Rücktrittsforderungen, Strafanzeigen und einer Untersuchung der Senatsverwaltung des Inneren gegenüber sieht.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Ein Wohnturm für das Dragonerareal

Es sind die umstrittensten und vielleicht begehrtesten viereinhalb Hektar in Berlin: Das Dragonerareal. Nun, so scheint es, könnten die endlosen Auseinandersetzungen und Diskussionen ein Ende nehmen. Bei einem Architekturwettbewerb setzten sich die Büros »Smaq Architektur und Stadt« und »Man Made Land« durch. Ihr Entwurf beinhaltet so ziemlich alles das, was man sich von einer zentralen Bebauung im Herzen Kreuzbergs vorstellt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Da kann ja jeder kommen

Wie ich mich doch noch mit einem Plattenhändler anfreunde Auf die Frage, ob ich denn mal ein Interview führen dürfe, reagierten in meiner noch jungen Journalistenkarriere so ziemlich alle Menschen gleich: ja, sehr gern, man wisse zwar nicht, was ich wolle, aber an sich, na klar. Detlef Dieter Müller reagiert nicht so. Er verschränkt die […]

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Lenau-Abriss vor dem Aus?

Er hatte früher als andere erfahren, was der Schule blühte. Um sich den liebgewonnenen Anblick so lange als möglich zu gönnen, verstärkte er seine Spaziergangsaktivitäten und erlebte eines schönen Sonntags, vor dem schmiedeeisernen Tor zum großen Schulhof, was noch niemand erlebt hatte.

Eine Feuerwanze schritt aufrechten Ganges dem Tor zu, unterquerte es, tat einen deutlich hörbaren Seufzer und brach nach circa zwanzig Zentimetern tot zusammen.

Ein selten Tier, dachte der nun interessierte Anwohner. Dann legte er eine Schweigeminute ein.

Was geht und was nicht geht

Rolf-Dieter Reuter erinnert sich an einen alten Wiener Trick Mal abgesehen davon, dass ich die Lektüre der Kolumne meines hochverehrten Kollegen Marotzke wieder einmal sehr erquicklich fand, so fiel mir doch spontan ein, dass dort etwas fehlt. Nun gut, die Anekdote ist schon ein paar Jahre älter und dürfte sich noch vor der Zeit meines […]

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Ein Kellnerblock, der deinen Namen trägt

Marcel Marotzke enthüllt ein gastronomisches Geheimnis Alles begann, als es in der Stammkneipe kürzlich ans Bezahlen ging. Der Betrag, den die Bedienung genannt hatte, entsprach zwar im Großen und Ganzen meinem Trunkenheitsgrad, aber irgendwas war dann doch komisch. Jedenfalls studierte ich die vorgelegte Seite des Kellnerblocks ein wenig aufmerksamer als sonst. Tatsächlich stimmte alles, soweit […]

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Vom Bauarbeiter zum Buchhändler

Die Buchhandlung Hammett in der Kreuzberger Friesenstraße kann man guten Gewissens als Institution in Sachen Kriminalliteratur bezeichnen. Seit bald einem Vierteljahrhundert versorgt das nach dem Schriftsteller Dashiell Hammett benannte Geschäft nicht nur Kiezbewohner mit Lesestoff. Dass das trotz aller Widrigkeiten, mit denen der Buchhandel im Allgemeinen und das Hammett im Besonderen in den letzten Jahren und Monaten zu kämpfen hatte, schon so lange so gut klappt, liegt vor allem an einer Person: Inhaber Christian Koch.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Ein Happy End für die Kunst

Schwarzlichtkünstler vor Kammergericht erfolgreich Sechs Jahre lang haben sich die Schwarzlichtkünstler Sundew und FlashToBe von der Gruppe Sinneswandeln durch alle Instanzen gekämpft – und nun vor dem Berliner Kammergericht Recht bekommen. Mitte 2010 hatten die beiden Künstler für die Schwarzlicht-Minigolf-Anlage im Görlitzer Park zwei aufwendige Installationen und Objekte geschaffen. Sie gingen von einer langjährigen Kooperation […]

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Über die Vielfalt in der Gemeinschaft

Projekt »Art up« präsentiert erste Gemeinschaftsausstellung Kreuzberg definiert sich auch über seine Künstler. Das ist ein Grund dafür, dass der Bezirk das Projekt »Art up – Erfolg im Team« fördert. Hier sollen Kreuzberger Künstler genau in dem Bereich gestärkt werden, der vielen besonders schwer fällt: der Vermarktung der eigenen Kunst. Geleitet wird das Projekt von […]

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Kein Liebeslied

Hobo Johnson & the LoveMakers machen: Liebe »Hi, wie ist dein Name? Wie geht‘s dir? Wie ist dein Leben? Oh, du hast einen Freund? Bist du verliebt? Wenn ja, auf welche Art?« So lautet oder so jedenfalls die deutsche Übersetzung des Songs über Peach Scones. Oder, na ja, so zumindest ist der Name des Songs. […]

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2020.

Glühlämpchen, Glühlämpchen flimmre (flimmre)

Mein Freund Stefan könnte stundenlang über Lichtstimmungen philosophieren. Schon Jahre bevor das »Smart Home« zum Massenphänomen wurde und selbst bei Aldi und Lidl in den Regalen mit der Aktionsware irgendwelche »smarten« Fernost-Leuchter mit App-Steuerung auf experimentierfreudige Käufer warteten, hatte Stefan seine Anderthalbzimmerwohnung komplett auf LEDs umgestellt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2019.

Was kommt da noch?

Das Jahr geht zu Ende und man würde ihm wohl kaum ein Unrecht antun, wenn man es als etwas zäh bezeichnen würde.

In den USA reiht sich eine trumpsche Ungeheuerlichkeit an die andere, und jede neue Ungeheuerlichkeit ist noch ungeheurer als die vorige, und je ungeheurer die Ungeheurigkeiten werden, desto wurstiger werden die Wähler, die Trump in einem Jahr wiederwählen werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2019.